Nationale Kontinuität in Ostdeutschland
Die NDR-Reportage „Rechts und Radikal: Warum gerade im Osten?“ geht der Frage nach, warum Rechtsradikale in Ostdeutschland so erfolgreich sind. Der Film legt nahe, dass es eine nationale Kontinuität über die DDR-Zeit hinweg gibt.
Die Journalistin Birgit Wärnke will verstehen, warum in ihrer Heimat Ostdeutschland die AfD so viel Anklang findet und Rechtsradikale von der Mitte der Gesellschaft häufig toleriert werden. Immer wieder kehrt ihr Blick auf die Nachwendezeit in den 90er Jahren zurück, als dutzende Asylbewerberheim brannten und Neonazis die ostdeutschen Straßen und Jugendkultur dominierten. Sie entgeht dabei erfreulicherweise dem naheliegenden und weit verbreiteten Reflex, diese Entwicklungen allein mit den sozialen Verwerfungen der Nachwendezeit erklären zu wollen. Stattdessen sucht sie gemeinsam mit ihrem Co-Autoren Julian Feldmann nach Ursachen, die tiefer gehen und schon in der DDR ihren Anfang nahmen.
Vielleicht verfolgt die Reportage einen zu sehr verengten Blick auf die Neonazi-Szene. Aber diese Szene ist ein Anzeiger für ein tieferliegendes Problem. In der Reportage wird beschrieben, wie westdeutsche Neonazis nach der Wende ihr Glück gar nicht fassen konnten, dass im Osten so viele rechtsradikale „Kameraden“ ihre Gesinnung im öffentlichen Raum ganz unangefochten auch äußerlich zur Schau stellen konnten.
Historikerin Prof. Christina Morina sagt im Film: „Der Gegendruck der nichtradikalen Mitte der Gesellschaft ist im Osten geringer als im Westen.“ Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Brandenburger Landtag Dr. Hans-Christoph Berndt erklärt den Erfolg der AfD in Ostdeutschland: „Da im Osten meiner Ansicht nach ein längere Zeit unbefangenes Verhältnis zur Nation bestand, ...“ Berndt, der auch Gründungsvater von Zukunft Heimat e.V. ist, wird auf einer Kundgebung in Lübbenau von 2016 gezeigt, wie er vor Kriminalität durch Einwanderung „dunkelhaariger junger Männer“ warnt. Die Reportage zeigt ihn an der Spitze einer Demonstration des Vereins mit dem Transparent mit der Aufschrift „Wenn eine Regierung ihr Volk austauschen will, muss das Volk ihre Regierung austauschen.“
Es ist auffällig, dass im Osten die Berührungsängste mit Rechtsradikalen geringer sind und die Frage der völkisch verstandenen Nationalstaatlichkeit höhere Bedeutung hat. Damit einher geht die pauschalisierende Einordnung muslimischer Einwanderer als Kriminelle oder Islamisten und die Angst vor Überfremdung.
Diese Angst vor muslimischer Überfremdung, die von einigen als Gefährdung für die freiheitliche Gesellschaft angesehen wird, lässt auch ostdeutsche Intellektuelle und ehemalige Oppositionellen ins Fahrwasser neurechter Intellektuellenkreise abdriften. Während ein Teil von ihnen linksgrüne Naivität und unkritische Identitätspolitik für die angebliche Überfremdung verantwortlich macht, wittern andere eine Verschwörung verborgener Mächte, die aus angeblichen wirtschaftlichen Profitinteressen diese Entwicklung vorantrieben. Im neurechten Jargon wird mit den Mythen vom angeblichen „Großen Austausch“ oder „Bevölkerungsaustausch“ hieraus politisches Kapital geschlagen.
Das Nationale weist im Osten offensichtlich eine längere Kontinuität auf. Die Stärke der NDR-Reportage ist es, auf diese Kontinuität aus DDR-Zeiten hinzuweisen. Ines Geipel hat in ihrem Buch „Umkämpfte Zone“ (2019) diese völkisch-nationale Kontinuität in der DDR mit einer Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus erklärt. Im antifaschistischen Staat als dem besseren Deutschland durfte es offiziell keinen Faschismus geben. Damit lag ein Tabu über der Auseinandersetzung mit den Verstrickungen in den Nationalsozialismus, die doch letztlich jede Familie auf die eine oder andere Weise betraf. Wie die NDR-Doku zeigt, führte das später auch dazu, dass die in den 80er Jahren virulent werdende Neonazi-Szene in der DDR totgeschwiegen wurden, anstatt sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen.
Der Film „Rechts und Radikal: Warum gerade im Osten?“ ist noch bis 14. Dezember 2021 in der ARD-Mediathek verfügbar.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.