Natio­nale Kon­ti­nui­tät in Ostdeutschland

West­deut­sche Neo­na­zis auf einer Kund­ge­bung am 15.1.1990 in Leipzig, Bun­des­ar­chiv, Bild 183‑1990-0115–032 /​ Kluge, Wolf­gang /​ CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wiki­me­dia Commons

Die NDR-Repor­tage „Rechts und Radikal: Warum gerade im Osten?“ geht der Frage nach, warum Rechts­ra­di­kale in Ost­deutsch­land so erfolg­reich sind. Der Film legt nahe, dass es eine natio­nale Kon­ti­nui­tät über die DDR-Zeit hinweg gibt.

Die Jour­na­lis­tin Birgit Wärnke will ver­ste­hen, warum in ihrer Heimat Ost­deutsch­land die AfD so viel Anklang findet und Rechts­ra­di­kale von der Mitte der Gesell­schaft häufig tole­riert werden. Immer wieder kehrt ihr Blick auf die Nach­wen­de­zeit in den 90er Jahren zurück, als dut­zende Asyl­be­wer­ber­heim brann­ten und Neo­na­zis die ost­deut­schen Straßen und Jugend­kul­tur domi­nier­ten. Sie entgeht dabei erfreu­li­cher­weise dem nahe­lie­gen­den und weit ver­brei­te­ten Reflex, diese Ent­wick­lun­gen allein mit den sozia­len Ver­wer­fun­gen der Nach­wen­de­zeit erklä­ren zu wollen. Statt­des­sen sucht sie gemein­sam mit ihrem Co-Autoren Julian Feld­mann nach Ursa­chen, die tiefer gehen und schon in der DDR ihren Anfang nahmen.

Viel­leicht ver­folgt die Repor­tage einen zu sehr ver­eng­ten Blick auf die Neonazi-Szene. Aber diese Szene ist ein Anzei­ger für ein tie­fer­lie­gen­des Problem. In der Repor­tage wird beschrie­ben, wie west­deut­sche Neo­na­zis nach der Wende ihr Glück gar nicht fassen konnten, dass im Osten so viele rechts­ra­di­kale „Kame­ra­den“ ihre Gesin­nung im öffent­li­chen Raum ganz unan­ge­foch­ten auch äußer­lich zur Schau stellen konnten.

His­to­ri­ke­rin Prof. Chris­tina Morina sagt im Film: „Der Gegen­druck der nicht­ra­di­ka­len Mitte der Gesell­schaft ist im Osten gerin­ger als im Westen.“ Der Frak­ti­ons­vor­sit­zende der AfD im Bran­den­bur­ger Landtag Dr. Hans-Chris­toph Berndt erklärt den Erfolg der AfD in Ost­deutsch­land: „Da im Osten meiner Ansicht nach ein längere Zeit unbe­fan­ge­nes Ver­hält­nis zur Nation bestand, ...“ Berndt, der auch Grün­dungs­va­ter von Zukunft Heimat e.V. ist, wird auf einer Kund­ge­bung in Lüb­benau von 2016 gezeigt, wie er vor Kri­mi­na­li­tät durch Ein­wan­de­rung „dun­kel­haa­ri­ger junger Männer“ warnt. Die Repor­tage zeigt ihn an der Spitze einer Demons­tra­tion des Vereins mit dem Trans­pa­rent mit der Auf­schrift „Wenn eine Regie­rung ihr Volk aus­tau­schen will, muss das Volk ihre Regie­rung austauschen.“

Es ist auf­fäl­lig, dass im Osten die Berüh­rungs­ängste mit Rechts­ra­di­ka­len gerin­ger sind und die Frage der völ­kisch ver­stan­de­nen Natio­nal­staat­lich­keit höhere Bedeu­tung hat. Damit einher geht die pau­scha­li­sie­rende Ein­ord­nung mus­li­mi­scher Ein­wan­de­rer als Kri­mi­nelle oder Isla­mis­ten und die Angst vor Überfremdung.

Diese Angst vor mus­li­mi­scher Über­frem­dung, die von einigen als Gefähr­dung für die frei­heit­li­che Gesell­schaft ange­se­hen wird, lässt auch ost­deut­sche Intel­lek­tu­elle und ehe­ma­lige Oppo­si­tio­nel­len ins Fahr­was­ser neu­rech­ter Intel­lek­tu­el­len­kreise abdrif­ten. Während ein Teil von ihnen links­grüne Nai­vi­tät und unkri­ti­sche Iden­ti­täts­po­li­tik für die angeb­li­che Über­frem­dung ver­ant­wort­lich macht, wittern andere eine Ver­schwö­rung ver­bor­ge­ner Mächte, die aus angeb­li­chen wirt­schaft­li­chen Pro­fit­in­ter­es­sen diese Ent­wick­lung vor­an­trie­ben. Im neu­rech­ten Jargon wird mit den Mythen vom angeb­li­chen „Großen Aus­tausch“ oder „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ hieraus poli­ti­sches Kapital geschlagen.

Das Natio­nale weist im Osten offen­sicht­lich eine längere Kon­ti­nui­tät auf. Die Stärke der NDR-Repor­tage ist es, auf diese Kon­ti­nui­tät aus DDR-Zeiten hin­zu­wei­sen. Ines Geipel hat in ihrem Buch „Umkämpfte Zone“ (2019) diese völ­kisch-natio­nale Kon­ti­nui­tät in der DDR mit einer Nicht­auf­ar­bei­tung des Natio­nal­so­zia­lis­mus erklärt. Im anti­fa­schis­ti­schen Staat als dem bes­se­ren Deutsch­land durfte es offi­zi­ell keinen Faschis­mus geben. Damit lag ein Tabu über der Aus­ein­an­der­set­zung mit den Ver­stri­ckun­gen in den Natio­nal­so­zia­lis­mus, die doch letzt­lich jede Familie auf die eine oder andere Weise betraf. Wie die NDR-Doku zeigt, führte das später auch dazu, dass die in den 80er Jahren viru­lent wer­dende Neonazi-Szene in der DDR tot­ge­schwie­gen wurden, anstatt sich mit den Ursa­chen auseinanderzusetzen.


Der Film „Rechts und Radikal: Warum gerade im Osten?“ ist noch bis 14. Dezem­ber 2021 in der ARD-Media­thek verfügbar.

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