Arthur Moeller van den Bruck

Der Prophet des „Dritten Reichs“

von Volker Weiß

Der Kul­tur­kri­ti­ker Arthur Moeller van den Bruck war lange nahezu ver­ges­sen. Dabei zählte er zu den schil­lernds­ten Autoren des Wei­ma­rer Radi­kal­na­tio­na­lis­mus. Die Wie­der­be­le­bung des Theo­rie­ka­nons der Zwi­schen­kriegs­zeit durch die heutige Neue Rechte hat auch ihn wieder in den Fokus gerückt.
In Moeller van den Brucks Bio­gra­fie ver­dich­te­ten sich viel­fäl­tige Pro­bleme einer noch wil­hel­mi­nisch gepräg­ten Gene­ra­tion in den Umbrü­chen von Welt­krieg, Revo­lu­tion und Repu­blik. Als Autor ent­zieht er sich einem ein­fa­chen Zugriff. Schon das Leben des Auto­di­dak­ten brach mit den Kon­ven­tio­nen seiner Zeit und gab Zeugnis von der Krise des Wil­hel­mi­ni­schen Bürgertums.

1. Leben

Arthur Moeller van den Bruck wurde 1876 unter dem Namen Arthur Moeller als Sohn eines preu­ßi­schen Baurats in der Rhein­pro­vinz geboren, ver­wei­gerte sich aber dem stan­des­ge­mä­ßen Bil­dungs­weg. Nachdem er in Düs­sel­dorf vom Gym­na­sium ver­wie­sen worden war, suchte er um 1895 Anschluss an lite­ra­ri­sche Zirkel. Ohne Abitur und Studium wollte er sich in Berlin als Lite­ra­tur­kri­ti­ker eta­blie­ren. 1902 floh er vor Vater­schaft und dro­hen­dem Mili­tär­dienst ins Ausland und führte bis Kriegs­aus­bruch vor allem in Frank­reich und Italien die Exis­tenz eines rei­sen­den Bohe­mi­ens und prekär leben­den Autors.

In seiner zur Ufer­lo­sig­keit und Eklek­ti­zis­mus nei­gen­den Text­pro­duk­tion widmete er sich vor allem ästhe­ti­schen Fragen. Mehr­bän­di­gen Gesamt­dar­stel­lun­gen zur deut­schen Lite­ra­tur und Geschichte (1899 ff.) aus seiner Feder war kein Erfolg beschie­den. Der Autoren­name wan­delte sich von Moeller-Bruck bis schließ­lich zum klin­gen­de­ren Moeller van den Bruck. Bekannt­heit erlangte Moeller durch die Her­aus­gabe der ersten deut­schen Werk­aus­gabe Dos­to­jew­skijs (1906 ff.) und dem bau­ge­schicht­li­chen Rekon­struk­ti­ons­ver­such eines „Preu­ßi­schen Stils“ (1916).

Während seiner Wan­der­jahre hatte Moeller zu natio­na­lis­ti­schen Ein­stel­lun­gen gefun­den, die mehr und mehr in seine Arbeit ein­flos­sen. Im Ersten Welt­krieg stieß er zur amt­li­chen Kriegs­pro­pa­ganda, nach 1918 wurde er als Kopf des jung­kon­ser­va­ti­ven „Juni-Klubs“ in Berlin zu einem der ein­fluss­reichs­ten Netz­wer­ker und Stich­wort­ge­ber der anti­re­pu­bli­ka­ni­schen Rechten. Sein bekann­tes­tes Werk und zugleich poli­ti­sches Ver­mächt­nis war die 1923 erschie­nene Schrift „Das dritte Reich“. Doch der Erfolg blieb jen­seits der eigenen Kreise weiter aus. Von der ober­fläch­li­chen Kon­so­li­die­rung der Repu­blik ver­zwei­felt und seit seiner Bohème-Zeit alko­hol­ab­hän­gig nahm er sich 1925 mit 49 Jahren in einer Ber­li­ner Ner­ven­kli­nik das Leben.
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Moel­lers Bio­gra­fie war von Brüchen und Wider­sprü­chen geprägt. Seine Fort­schritt­lich­keit in ästhe­ti­schen Fragen war ebenso wie der über­bor­dende Natio­na­lis­mus Kenn­zei­chen der Epoche. Der Drang zur monu­men­ta­len Über­bie­tung und Remy­thi­sie­rung der Moderne wies jedoch ebenso wie die Ableh­nung eines gere­gel­ten Lebens über die bür­ger­li­che Gesell­schaft des Spät­wil­hel­mi­nis­mus hinaus. Er war damit selbst ein Resul­tat jenes »Über­gangs«, in dem sich die Deut­schen seiner Zeit emp­fan­den. (1)

Gemein­sa­mes Kenn­zei­chen seiner ver­schie­de­nen Lebens­ab­schnitte blieb ein glü­hen­der Natio­na­lis­mus, den er mit moder­nen ästhe­ti­schen Auf­fas­sun­gen verband. Nach seinem Tod luden Lebens­weg und Selbst­mord zur Ver­klä­rung ein und schon bald rankten sich um Bio­gra­phie und Werk Moel­lers zahl­rei­che Legen­den. Seine Mit­strei­ter sti­li­sier­ten ihn in den drei­ßi­ger Jahren zunächst zum „Künder“ des Natio­nal­so­zia­lis­mus, nach 1945 wollten sie in ihm hin­ge­gen einen Wider­stands­kämp­fer avant la lettre erkannt haben. (2) Die von Weg­ge­fähr­ten in die Welt gesetzte Behaup­tung der Indi­zie­rung seiner Texte während des Natio­nal­so­zia­lis­mus ist nicht beleg­bar, tat­säch­lich hielt man sein Andenken in dieser Zeit durch­aus in Ehren. Erst in der Bun­des­re­pu­blik ver­schwand er nahezu aus dem his­to­ri­schen Gedächt­nis, jün­ge­ren Autoren wie Ernst Jünger und Carl Schmitt wurde wesent­lich mehr Auf­merk­sam­keit gewid­met. Die Rezep­tion seines Werkes ist heute fast aus­schließ­lich auf theo­rie­in­ter­es­sierte Kreise der extre­men Rechten beschränkt.

2. Monu­ment und Moderne

Kenn­zeich­nend für Moeller ist seine Offen­heit für moderne, mithin avant­gar­dis­ti­sche Posi­tio­nen. Der zeit­ge­nös­si­schen Umwelt stand er hin­ge­gen ambi­va­lent gegen­über. Einer­seits begrüßte er den mas­si­ven tech­no­lo­gi­schen Auf­bruch und glo­ba­len Füh­rungs­an­spruch des Deut­schen Reiches. Ande­rer­seits zählte er sich zur ästhe­ti­schen Oppo­si­tion und ver­ach­tete das Spie­ßer­tum. Der Ber­li­ner His­to­ris­mus genügte seinen heroi­schen Ansprü­chen nicht, er bewegte sich in einem geis­ti­gen Umfeld, das in den Vor­lie­ben des Kai­ser­hofs fran­zö­si­sche Spuren anprangerte.

Im Gegen­satz zu vielen zeit­ge­nös­si­schen Ver­tre­tern des völ­ki­schen Gedan­kens lehnte Moeller jedoch die kul­tu­rel­len Resul­tate des urbanen Lebens nicht ab. Viel­mehr begrüßte er stür­misch die „Monu­men­ta­li­tät von Stein und Stahl“, die „unser Dasein über­wölbt“. Er hielt es für die Aufgabe der Deut­schen, ihren welt­ge­schicht­li­chen Füh­rungs­auf­trag auch ästhe­tisch zu unter­mau­ern, da alle andern Völker daran geschei­tert seien:

Der deut­sche Stil dagegen wird moder­ner Stil über­haupt.“ (3)

Ent­spre­chend begeis­terte sich Moeller für die Pro­dukt­ge­stal­tung des Deut­schen Werk­bunds und zeit­ge­nös­si­sche zyklo­pi­sche Archi­tek­tur. In der deut­schen Indus­trie sah er einen Schlüs­sel, moderne deut­sche Monu­men­ta­li­tät und globale Vor­herr­schaft zu ver­bin­den. Voller Opti­mis­mus for­derte er 1909 „Mut zur neuen Welt­an­schau­ung“, zu einer „Epoche der Raum- und Zeit­über­win­dung, der äußers­ten Macht­stei­ge­run­gen und großen Unter­neh­mun­gen“, zu Motoren und Elek­tri­zi­tät, „Eisen­bah­nen“ und „Luft­schif­fen“, „Groß­ko­lo­nia­li­sie­run­gen und Ras­se­an­schau­un­gen, der Schlacht­flot­ten, Mil­lio­nen­heere und des moder­nen Impe­ria­lis­mus.“ (4)

Moeller war unzu­frie­den mit der Gegen­wart und fand die Poten­ziale der neuen Zeit nur unge­nü­gend aus­ge­schöpft. Jedoch sah er in den Mitteln der Moderne keine Über­win­dung der Ver­gan­gen­heit, sondern strebte, Ernst Jünger nicht unähn­lich, zu einer Ver­söh­nung von Mythos und Moderne. Denn ein Mythos konnte nach seiner Vor­stel­lung im Akt einer „Urzeu­gung“ auch neu erschaf­fen werden, eine Fähig­keit, die er vor allem Preußen zusprach. (5) Diesem Denken ent­sprang später auch einer seiner bekann­tes­ten Apho­ris­men, nach dem „kon­ser­va­tiv ist, Dinge zu schaf­fen, die zu erhal­ten sich lohnt“. (6)

Zu den avant­gar­dis­ti­schen Zügen Moel­lers gehörte zwei­fel­los, dass er früh das poli­ti­sche Poten­zial des ita­lie­ni­schen Futu­ris­mus begriff. Schon ein Jahr vor dem Ersten Welt­krieg hatte er die Kraft des Futu­ris­mus zu „einer totalen Umge­stal­tung des Lebens“ erkannt, deren „eigent­li­che Ziele Staat und Gesell­schaft“ waren. (7) Moel­lers eigene Publi­zis­tik ver­schmolz eben­falls natio­nale und künst­le­ri­sche Fragen. In einer Bro­schüre für den Vater­län­di­schen Schrif­ten­ver­band arbei­tete er seine Idee einer „Natio­nal­kunst für Deutsch­land“ aus. Darin for­derte er, dass „Kunst in dem monu­men­ta­len Sinne, in dem eine Nation, wenn sie Anspruch auf unver­gäng­li­che welt­ge­schicht­li­che Betrach­tun­gen haben will, für sich eine Form finden muss, die nur ihr ange­hört, und in der sie alles in ihr ent­hal­tene und mit ihr ver­bun­dene durch­aus eigen­ar­tig und unver­kenn­bar aus­drü­cken kann.“ Seine Schluss­fol­ge­rung war bestechend schlicht:

Kunst in diesem Sinne ist immer natio­nal. Eine andere als natio­nale Kunst hat es nie gegeben, kann es auch gar nicht geben.“ (8)

Letzt­lich mani­fes­tier­ten sich für Moeller in der ästhe­ti­schen Form die über­his­to­ri­schen Werte und Eigen­schaf­ten der Völker. Diese Anlagen konnten jedoch nur zur Geltung kommen und erhal­ten werden, wenn es den Völkern gelang, Natio­nen und Staaten zu werden und ihre ewigen Cha­rak­te­ris­tika zu bewah­ren. In einer umfang­rei­chen Dar­stel­lung der ita­lie­ni­schen Kunst ver­focht Moeller die These, deren Nie­der­gang sei mit der Assi­mi­la­tion der Ger­ma­nen ein­ge­tre­ten. „Solange die Ger­ma­nen sich unver­mischt im Lande erhiel­ten, schufen sie auf roma­ni­scher Erde nor­di­sche Ras­sen­kunst.“ Mit ihrem Wandel zu Ita­lie­nern und Römern sei in Form von Renais­sance und Barock der „Verfall“ ein­ge­tre­ten. (9) Ähnlich argu­men­tierte er in seiner Schrift über den „Preu­ßi­schen Stil“, in der er die zahl­rei­chen Ein­flüsse der fran­zö­si­schen Auf­klä­rung auf die preu­ßi­sche Archi­tek­tur schlicht­weg leug­nete. Die Ent­ste­hung dieses schnör­kel­lo­sen Neo­klas­si­zis­mus beschrieb er als eine Art „Patho­ge­nese“, einen sich selbst erzeu­gen­den Mythos, ledig­lich gespeist aus mär­ki­schem Geist und Erde. (10)

Ange­sichts dieser Dis­po­si­tion war es fol­ge­rich­tig, dass Moeller nach 1918 kei­nes­wegs eine Restau­ra­tion der Mon­ar­chie anstrebte. Er sah den Nie­der­gang als Chance, endlich die ersehnte Syn­these von Nation und Form zu errei­chen. Noch in „Das dritte Reich“ hielt er fest: „Reak­tio­när ist, wer das Leben, das wir vor 1914 führten, noch immer für schön und groß, ja überaus groß­ar­tig hält.“ (11) Dabei sei es nicht der Mangel an Rechten und Reprä­sen­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten gewesen, der dieses Leben „abscheu­lich“ gemacht habe. Moeller bemän­gelte viel­mehr, dass die Deut­schen niemals ihren natio­na­len Stil gefun­den hätten und beschied: „Das Reich war ohne Form.“ (12)

Diese Form aus natio­na­ler Größe und ästhe­ti­scher Moderne gelte es nun beim Wie­der­auf­bau des Reiches zu schaf­fen. Damit knüpfte Moeller an seine Vor­kriegs­for­de­run­gen nach einem „Stil des Reiches“ als Mani­fes­ta­tion kul­tu­rel­ler und poli­ti­scher Hege­mo­nie der Deut­schen an, „von den Alpen bis zur Ostsee, von den rhei­ni­schen Bergen bis zu den rus­si­schen Steppen“. (13)

Nicht nur auf­grund dieser impe­ria­len Impli­ka­tio­nen sollte sich Moel­lers For­de­rung nach einer spe­zi­fisch „deut­schen“ Moderne als eine Brücke in die Bar­ba­rei erwei­sen. Der Ger­ma­nist Heinz Schlaf­fer hat auf die zen­trale Rolle von Stil-Kate­go­rien in der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung hin­ge­wie­sen und aus Moel­lers zwin­gen­dem Stil­wil­len bereits die Däm­me­rung der kom­men­den Gewalt gelesen. Denn Moel­lers „Idee eines einigen Stils, eines ‚Stils an sich‘, erklärt den Stil­plu­ra­lis­mus des ästhe­ti­schen His­to­ris­mus für über­wun­den. Dieser heroi­sche Stil, aus spar­ta­nisch-preu­ßi­scher Ver­gan­gen­heit zitiert, aber für ein neues Deut­sches Reich ent­wor­fen, nimmt dessen Anbruch vorweg. Es wird ein Stil der Herr­schaft sein.“ (14)

In diesem ästhe­tisch-heroi­schen Über­bie­tungs­ges­tus findet sich auch die Grenze zum Kon­ser­va­tis­mus mar­kiert, dem Moeller von seinen Adepten bis heute fälsch­lich zuge­ord­net wird. Stefan Breuer hat betont, dass Moeller ent­schlos­sen gewesen sei, „die Tra­di­tio­nen und Kon­ven­tio­nen der bür­ger­lich-christ­li­chen Welt zu demon­tie­ren und eine gänz­lich neue Kultur zu schaf­fen, die kei­nes­wegs im Gegen­satz zur wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Zivi­li­sa­tion“ stehen sollte. (15) Wie in seinem Natio­na­lis­mus war er auch in ästhe­ti­schen Fragen aus­ge­spro­che­ner Moder­nist und gehört kaum einem kon­ser­va­tiv-kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Kanon an. Mit seiner Kom­bi­na­tion von ästhe­tisch-tech­ni­scher Moder­ni­tät, mythi­schem Natio­na­lis­mus und wie­der­erstan­de­nem Reich erhoffte sich Moeller gewis­ser­ma­ßen die preu­ßisch-pro­tes­tan­ti­sche Vari­ante des Faschis­mus, um die deut­sche Sendung in der Welt­ge­schichte endlich ihrer Bestim­mung zufüh­ren zu können.

3. Die „Ost­ideo­lo­gie“

Aus Moel­lers Grund­an­nahme von über­his­to­ri­schen Eigen­schaf­ten der Völker resul­tierte ein wei­te­res Merkmal seiner Welt­an­schau­ung: die Neigung nach Osten. An ihr zeigte sich beson­ders, wie das „Denken in Him­mels­rich­tun­gen“ einen sich „kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­när“ ver­ste­hen­den Kanon prägte. (16) Wie auch Oswald Speng­ler und zeit­wei­lig auch Thomas Mann zählte er das Deut­sche Reich nicht zur west­li­chen Hemi­sphäre, die er vor allem mit England und Frank­reich asso­zi­ierte. Er sah die Zukunft in einem mythisch über­höh­tem „Osten“. Inspi­ra­tion bekam er dafür aus der preu­ßi­schen Geschichte und dem Zirkel um den rus­si­schen Schrift­stel­ler Dimitri Meresch­kow­ski, den er vor dem Krieg in Paris ken­nen­ge­lernt hatte. Schon Moel­lers Edition der Werke Dos­to­jew­skis hatte den Zeit­geist zivi­li­sa­ti­ons­mü­der Intel­lek­tu­el­ler getrof­fen, die sich mythi­sche Erneue­rung aus dem Osten ver­spra­chen. Den Schrif­ten Dos­to­jew­skis, die er kom­pro­miss­los in natio­na­lis­ti­schem Sinn inter­pre­tierte, ent­lehnte Moeller den Gedan­ken an Deutsch­land als „pro­tes­tie­ren­des Reich“, das in einem zwei­tau­send­jäh­ri­gen Kampf gegen die Roma­ni­sie­rung Europas stünde. (Ein Gedanke, der während des Krieges auch in Thomas Manns „Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen“ auf­tau­chen sollte). Diese mythi­sche Ori­en­tie­rung wurde mit dem Ersten Welt­krieg durch geo­po­li­ti­sche Über­le­gun­gen ergänzt. Der „Westen“ stand für Moeller dabei für die Ver­gan­gen­heit roma­nisch gepräg­ter Zivi­li­sa­tion, für Mate­ria­lis­mus, Auf­klä­rung und Repu­blik. Vom „Osten“ erhoffte er sich Tiefe, Spi­ri­tua­li­tät und Zukunft.

Eben­falls mit Dos­to­jew­skij ließ sich eine weitere Denk­fi­gur ver­edeln, mit der Moeller sich die Welt ordnete: das „junge Volk“. Auf ihr sollte auch die prä­gnante Formel vom „Recht der jungen Völker“ auf­bauen, mit der Moeller nach der Kriegs­nie­der­lage von 1918 für die Sache Deutsch­lands agi­tierte. Vor dem Krieg war der Gedanke vom „jungen Volk“ noch Teil der Begrün­dung gewesen, warum sich die Welt einer deut­schen Moder­ni­tät unter­wer­fen müsse. In seinem Schema waren „alte Völker“ solche, „die ihren Erd­be­ruf in einer Zivi­li­sa­tion und Kultur bereits erfüllt, die ihre Ent­wick­lung bereits hinter sich gebracht und die nun, weil ihnen die Ver­gan­gen­heit schon einmal gehört hat, nicht wohl eine Zukunft mehr vor sich haben können.“ (17) Diese Cha­rak­te­ris­tik betraf vor allem die „roma­ni­schen Völker“. Sie werden abge­löst durch die „jungen Völker“ der Ger­ma­nen, „welche, seitdem sie in die Welt­ge­schichte ein­ge­tre­ten, das Problem ihrer natio­na­len Exis­tenz in einer Zivi­li­sa­tion oder Kultur noch nicht, oder doch noch nicht end­gül­tig gelöst haben“. (18) Ihnen folgen noch Russ­land und Amerika mit noch unent­fal­te­ten Mög­lich­kei­ten als kom­mende Mächte.
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In Ver­gan­gen­heits­völ­ker, Gegen­warts­völ­ker und Zukunfts­völ­ker ist so die Mensch­heit heute geschie­den.“ (19)

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Als die Fron­ten­bil­dung im Welt­krieg nicht diesem Schema ent­sprach, modi­fi­zierte Moeller es kur­zer­hand. Russ­land wurde zur „jungen Rasse“ und die Ame­ri­ka­ner „nur eine neue Nation“. (20) Mit dem von ihm aus­ge­ru­fe­nen „Recht der jungen Völker“ wollte Moeller schließ­lich unter völ­li­ger Ver­ken­nung der realen Umstände eine deut­sche Vor­herr­schaft in der Nach­kriegs­ord­nung sichern. Er glaubte, der Welt­krieg habe die „jungen Völker“ gegen die „Ver­hei­ßun­gen des West­ler­tums“ immu­ni­siert und ihnen die Augen geöff­net, um sich hinter Deutsch­land zu sammeln. (21) Ins­ge­samt war die Pro­gram­ma­tik der „jungen Völker“ eine will­kür­li­che und an augen­blick­li­chen Inter­es­sen ori­en­tierte Kon­struk­tion. Ent­spre­chend wider­sprüch­lich und sprung­haft waren ihre Zuord­nun­gen. Doch sie traf ein Bedürf­nis der natio­na­len Kräfte, Deutsch­land nach der Kriegs­nie­der­lage als Opfer und Frei­heits­kämp­fer zu sehen.

Moel­lers empha­ti­sche Pro­jek­tio­nen auf den „Osten“ haben ihm mit­un­ter den Ruf eines Sla­wo­phi­len ein­ge­bracht. Tat­säch­lich jedoch sah er vor allem die Zukunft der Deut­schen im Osten. Die Führung der auf­stre­ben­den „jungen“ Völker gegen die „alten“ sollte den Deut­schen oblie­gen, den Russen kam als unfer­tige Rasse die Rolle der Ler­nen­den zu. Sie sollten den Fehler ihrer West­ori­en­tie­rung seit Peter dem Großen erken­nen und sich künftig Asien zuwen­den. Deutsch­land sollte die Vor­herr­schaft im frei­wer­den­den euro­päi­schen Teil über­neh­men. Sein Pro­gramm war ein Aufruf zur Expan­sion, das nicht zufäl­lig den Geist des Frie­dens von Brest-Litowsk atmete (die erste Fassung vom „Recht der jungen Völker“ war noch im Auftrag seiner Pro­pa­ganda-Dienst­stelle geschrie­ben worden). Äußer­lich stellte der Krieg einen tiefen Ein­schnitt in der Bio­gra­phie Moel­lers dar. Die Ver­gan­gen­heit des frei­schwe­ben­den Intel­lek­tu­el­len sollte nicht wie­der­keh­ren. Aus dem rand­stän­di­gen Bohe­mien wurde ein bedeu­ten­der poli­ti­scher Akteur.

4. Juni-Klub und „Das dritte Reich“

Mit dem Kriegs­ende stand Moeller im Zentrum eines natio­na­lis­ti­schen Netz­werks in Berlin. Der 1919 von ihm mit Hein­rich von Glei­chen und Eduard Stadt­ler gegrün­dete „Juni-Klub“ sah sich als eine „Samm­lung“ von „Deut­schen, die auf­bau­end wirken können“, und trach­tete danach, „alle die­je­ni­gen Deut­schen aus­zu­schal­ten, die zer­set­zend wirken würden.“ (22) In der Ber­li­ner Motz­straße sam­mel­ten sich natio­nale Kräfte zur Bekämp­fung der Repu­blik. Mit her­vor­ra­gen­den gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Kon­tak­ten aus­ge­stat­tet und groß­zü­gig über „anti­bol­sche­wis­ti­sche“ Zuwen­dun­gen aus der deut­schen Wirt­schaft finan­ziert, ent­stand der jung­kon­ser­va­tive „Ring-Kreis“, mit seiner Zeit­schrift „Das Gewis­sen“, eigenen Publi­ka­tio­nen und einem ange­glie­der­ten „poli­ti­schen Kolleg“ als Schu­lungs­stätte. (23) 1924 wurde der Juni-Klub in „Deut­scher Her­ren­klub“ umbe­nannt, der sozial wesent­lich exklu­si­ver war und nach Moel­lers bal­di­gem Tod vor allem durch den spä­te­ren Reichs­kanz­ler Franz von Papen staats­po­li­tisch unmit­tel­ba­rer wirken sollte.

Im Rahmen des Juni-Klub ver­öf­fent­lichte Moeller 1923 sein Haupt­werk „Das dritte Reich“, mit dem er eine Pro­gram­ma­tik des Wei­ma­rer Jung­kon­ser­va­tis­mus entwarf. Gemäß der ver­brei­te­ten zeit­ty­pi­schen Syn­the­se­ver­su­che eines nicht­mar­xis­ti­schen „Sozia­lis­mus“ mit einem radi­ka­len Natio­na­lis­mus ver­stand es auch Moeller, der Öffent­lich­keit sein Pro­gramm als deut­schen „Sozia­lis­mus“ anzu­die­nen. Damit unter­strich er seinen strikt anti­li­be­ra­len und revo­lu­tio­nä­ren Kurs und ver­suchte, den linken Zeit­geist anzu­spre­chen. Mit der inter­na­tio­na­len Arbei­ter­be­we­gung hatte diese Kon­zep­tion nichts zu tun: „Jedes Volk hat seinen eigenen Sozia­lis­mus“, beschied Moeller in „Das dritte Reich“. (24) Aus­führ­lich for­mu­lierte er darin die Pro­gram­ma­tik eines anti­ma­te­ria­lis­ti­schen, orga­ni­schen und natio­na­len „Sozia­lis­mus“ als „eine kör­per­schaft­li­che Auf­fas­sung von Staat und Wirt­schaft“. (25)

In seinem „Sozia­lis­mus“ setzte Moeller natio­nale Kate­go­rien an die Stelle sozia­ler und beschied, der mar­xis­ti­sche Klas­sen­kampf sei obsolet, es ginge nur noch um „Völ­ker­be­sitz“. (26) Daher liege die Zukunft für die deut­schen Arbei­ter im Impe­ria­lis­mus. „Wo der Mar­xis­mus endet“, ver­kün­det Moeller, „dort beginnt Sozia­lis­mus: ein deut­scher Sozia­lis­mus, der berufen ist, in der Geis­tes­ge­schichte der Mensch­heit allen Libe­ra­lis­mus abzu­lö­sen.“ (27) In seiner Cha­rak­te­ris­tik des Sozia­lis­mus ver­wen­dete er rou­ti­niert anti­se­mi­ti­sche Deu­tungs­mus­ter. Bei­spiels­weise beschrieb er Karl Marx als Fremden, der die deut­sche Geschichte nicht im Blut trage. Der Phi­lo­soph sei „nur aus dem Juden­tum zu ver­ste­hen. Er hat nicht zufäl­lig seine mosai­schen, seine mak­ka­bäi­schen, seine tal­mu­di­schen Züge, und solche des Ghetto.“ (28) Wie auch der Libe­ra­lis­mus ent­sprä­che der Mar­xis­mus nicht dem deut­schen Wesen. Ohnehin unter­schied Moeller kaum zwi­schen Mar­xis­mus und dem Libe­ra­lis­mus. Letz­te­rem sprach er eine ähn­li­che Destruk­ti­vi­tät zu, wie auch sein bekann­tes­tes Diktum zeigt:

An Libe­ra­lis­mus gehen die Völker zugrunde.“ (29)

Auf­bau­end auf den Gedan­ken der Führung und des Natio­na­lis­mus, unter strik­ter Ableh­nung jedes Gleich­heits- und Eman­zi­pa­ti­ons­stre­bens defi­nierte Moeller einen natio­na­len „Sozia­lis­mus“ als „Ver­wur­ze­lung, Staf­fe­lung, Glie­de­rung.“ Die Stoß­rich­tung war ein strikt anti­mar­xis­ti­scher und anti­li­be­ra­ler Natio­na­lis­mus im Rahmen eines auto­ri­tä­ren Obrig­keits­staa­tes. Diese Bedeu­tungs­ver­schie­bung poli­ti­scher Termini im Sinne des Natio­na­lis­mus war typisch für Moel­lers Publi­zis­tik. In „Das dritte Reich“ wandte er diese Methode sys­te­ma­tisch an, um zeit­ge­mäß für den ange­streb­ten Sturz der Repu­blik zu werben. Der­ar­tige Ein­griffe ermög­lich­ten es ihm, sich zen­trale Voka­beln des poli­ti­schen Dis­kur­ses der Gegen­seite anzu­eig­nen – ein Vor­griff auf die Dis­kurs­pi­ra­te­rien des heu­ti­gen Rechts­po­pu­lis­mus. „Revo­lu­tion“ wurde so zum Ziel natio­na­lis­ti­scher Politik, „Demo­kra­tie“ war für Moeller die „Fort­set­zung der Mon­ar­chie“ als „geführte Demo­kra­tie“ und der „kon­ser­va­tive Gedanke“ hatte seinen Sinn durch die Revo­lu­tion „wie­der­ge­won­nen“. Das Gesamt­kon­zept erschloss sich schon aus den ersten Zeilen des Buchs:

Ein Krieg kann ver­lo­ren werden. Ein unglück­li­cher Krieg ist niemals unwi­der­ruf­lich. Der ärgste Friede ist niemals end­gül­tig. Aber eine Revo­lu­tion muß gewon­nen werden.“ (33)

Ange­sichts der Repu­blik sah Moeller nur einen Weg, sein Ziel zu errei­chen, wie er an Hein­rich von Glei­chen schrieb: „Es bleibt nur übrig, die Par­teien von der Seite der Welt­an­schau­ung her zu zer­trüm­mern.“ (34) Dieser Aufgabe widmete er seine Text­pro­duk­tion voll und ganz. Das von ihm skiz­zierte „dritte Reich“ trug deut­li­che Züge eines auto­ri­tä­ren Stän­de­staa­tes und sollte unter Mobi­li­sie­rung aller tech­ni­schen und geis­ti­gen Reser­ven die Revan­che für den 1918 ver­lo­re­nen Krieg ermöglichen.

Im Kontext seiner geo­stra­te­gi­schen Neu­ord­nungs­ver­su­che ver­wen­det Moeller bereits die Formel vom „Volk ohne Raum“. Dabei bezog er sich auf seinen Freund und Mit­strei­ter Hans Grimm als Stich­wort­ge­ber, der sie 1926 schließ­lich in einem Best­sel­ler popu­la­ri­sie­ren sollte. (35)

Die Lektüre der poli­ti­schen Publi­zis­tik Moel­lers ist auf­grund man­geln­der Sys­te­ma­tik auf­rei­bend. Seine Ver­wen­dung poli­ti­scher Begriffe grenzte an Will­kür­lich­keit, Defi­ni­tio­nen wurden meist frei­mü­tig aus dem Nichts geschöpft, der apho­ris­ti­sche Stil duldete weder Refle­xion noch Wider­spruch. Doch ging es bei Moel­lers Texten nicht um ana­ly­ti­sche Schärfe, sondern um die pro­phe­ti­sche Kraft. Fritz Stern bewer­tete daher schon 1963 Moel­lers Ideen­welt als wenig ori­gi­nell und dem „ideo­lo­gi­schen Grund­be­stand des anti­de­mo­kra­ti­schen rechten Flügels“ ent­spre­chend. „Aber Moeller“, betonte Stern, „erfüllte sie mit Leben, und indem er sie mit dem Erlö­sungs­my­thos des dritten Reiches in Ver­bin­dung brachte, lenkte er die Hoff­nung der Men­schen auf sie. Sein Werk ist als ‚wahr­haft poli­ti­sche Reli­gion‘ bezeich­net worden; Glaube, Zorn und Weis­sa­gung sind seine wesent­li­chen Ele­mente.“ (36)

5. Das Erbe

Nach 1933 ent­fal­te­ten Weg­ge­fähr­ten und Ange­hö­rige eine rege Tätig­keit, Moeller einen ange­mes­se­nen Platz in der Ahnen­ga­le­rie des Natio­nal­so­zia­lis­mus zu ver­schaf­fen. Vor allem drang Moel­lers Witwe Lucie Moeller van den Bruck darauf, ihren Gatten gewis­ser­ma­ßen als Stich­wort­ge­ber Hitlers in das Pan­theon der Natio­nal­so­zia­lis­mus auf­zu­neh­men. Bereits unmit­tel­bar nach der Macht­über­tra­gung erreichte sie, dass Staats- und Par­tei­stel­len prüften, Moel­lers Nach­lass als Grund­stock für eine „Moeller van den Bruck-Samm­lung, Archiv und Biblio­thek zur Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung“ zu nutzen. Zur Eröff­nung 1934 trat mit dem Dra­ma­ti­ker Hans Schwarz ein per­sön­li­cher Freund Moel­lers die Leitung des Archivs an.  Schwarz besorgte eine ganze Reihe von Neu­dru­cken der Schrif­ten Moel­lers, Neu­auf­la­gen gab es bis in die Kriegs­jahre hinein.

Als weitere Mani­fes­ta­tion seines Stel­len­werts kann gesehen werden, dass ab 1935 in seiner Geburts­stadt Solin­gen jener Teil der Haupt­straße in Moeller-van-den-Bruck-Straße umbe­nannt wurde, der in den Adolf-Hitler-Platz ein­mün­dete. Zwi­schen seinem 10. Todes­tag 1935 und seinem 60. Geburts­tag 1936 kam es zu einer aus­führ­li­chen Wür­di­gung Moeller van den Brucks in den Feuil­le­tons der deut­schen Zeitungen.
Dennoch kam es nie zu der großen Aner­ken­nung, die sich Moel­lers Witwe erhofft hatte. Die Natio­nal­so­zia­lis­ten bewach­ten eifer­süch­tig die Allein­stel­lung Hitlers als geis­ti­gen Vater ihrer Welt­an­schau­ung und bevor­zug­ten für die Ahnen­ga­le­rie weniger in die Gegen­wart ragende Autoren wie Paul de Lagarde oder Richard Wagner.

Neben der Nicht­zu­ge­hö­rig­keit Moel­lers zur NSDAP zu Leb­zei­ten blieben vor allem die unsys­te­ma­ti­sche Grun­die­rung seines Ras­sen­be­griffs und die „Ost­ideo­lo­gie“ für seine Kri­ti­ker als Makel. Hinzu kam, dass sich Teile der 1934 während der Röhm-Krise aus­ge­schal­te­ten inner-natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Oppo­si­tion auf Moeller berufen hatten und vor allem dem Milieu des Deut­schen Her­ren­clubs der Geruch des volks­fer­nen Adels­dün­kels anhing. Letzt­lich gab es Anhän­ger Moel­lers auf allen Seiten, ein Umstand, der durch die großen Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­räume seiner dif­fu­sen Texte sicher begüns­tigt wurde. Die Ver­su­che seiner Schüler und Weg­ge­fähr­ten, ihn nach 1945 in eine maxi­male Distanz zum NS zu rücken, ent­behr­ten jedoch jeder Grundlage.

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Der Mythos „Kon­ser­va­tive Revolution“

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Anders als Heid­eg­ger, Jünger und Schmitt wäre Moeller heute wahr­schein­lich ver­ges­sen, hätte 1949 nicht der Schwei­zer Armin Mohler die Legende einer „Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tion“ geschaf­fen. Mit dieser para­do­xen Kon­junk­tion behaup­tete Mohler die Exis­tenz einer „anderen“ deut­schen Rechten, die vom Natio­nal­so­zia­lis­mus nicht nur zu unter­schei­den, sondern auch ver­folgt worden sei. Das Problem war dabei weniger die Aner­ken­nung eines breiten Spek­trums auf­sei­ten der vor-natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Rechten, sondern die Kon­struk­tion einer Strö­mung, deren Trenn­li­nie vom Natio­nal­so­zia­lis­mus „mit Blut gezogen worden“ sei.

Mohler setzte das wirk­mäch­tige Nar­ra­tiv von der „Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tion“ als den „Trotz­kis­ten des Natio­nal­so­zia­lis­mus“ in die Welt, um seinen Unter­su­chungs­ge­gen­stand mora­lisch auf­zu­wer­ten. (37) Er wies expli­zit auf die „geis­tige Füh­rer­schaft“ (38) Moel­lers im Jung­kon­ser­va­tis­mus hin und behaup­tete kon­tra­fak­tisch eine pau­schale „natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ableh­nung“ (39) des Autors nach 1933. Von einer neuen Gene­ra­tion der äußers­ten Rechten, die Ende der sech­zi­ger Jahre nach einem neuen Nar­ra­tiv suchte, wurde Mohlers Legende dankbar auf­ge­nom­men. Vor allem in der „Neuen Rechten“ gilt die Beru­fung auf Autoren der zwan­zi­ger Jahre bis heute als pro­ba­tes Mittel, sich von einer durch Nie­der­lage und Ver­bre­chen kon­ta­mi­nier­ten Tra­di­tion frei zu machen, ohne wesent­li­che Posi­ti­ons­än­de­run­gen vorzunehmen.

In diesen Kreisen fühlt man sich Mohlers Kanon ver­pflich­tet und arbei­tet daran, Leben und Werk Moel­lers dem Ver­ges­sen zu ent­rei­ßen. Das Geden­ken an den Autor steht unter apo­lo­ge­ti­schen Vor­zei­chen, repro­du­ziert die in der Nach­kriegs­zeit geschaf­fe­nen Legen­den und blendet neuere For­schun­gen sys­te­ma­tisch aus. (40) Nicht zuletzt auf­grund seiner Fähig­keit, Begriffe umzu­prä­gen, gilt Moeller dort als »genia­ler Wer­be­tex­ter«. (41) Die Wochen­zei­tung Junge Frei­heit ver­an­stal­tete Samm­lun­gen zur Pflege von Moel­lers Grab in Berlin. Die Arbeit des Juni-Klubs gilt als Vorbild für die eigenen Bestre­bun­gen. Mit Blick auf die Grün­dung des Insti­tuts für Staats­po­li­tik in Schnell­roda um die Jahr­tau­send­wende zog Karl­heinz Weiß­mann den Ver­gleich mit dem „Poli­ti­schen Kolleg“ heran. (42) Vor allem wird ein Gedan­ken­gut gepflegt, wie es sich in Moel­lers Schrif­ten aus­for­mu­liert findet. Die Angriffe der heu­ti­gen Neuen Rechten auf Ratio­na­lis­mus, Libe­ra­lis­mus und Mate­ria­lis­mus gehen mit einer demons­tra­ti­ven Abkehr vom Westen einher. Noch heute wird in Zeit­schrif­ten wie der Sezes­sion vor dem „zersetzende(n) Gift des Par­la­men­ta­ris­mus“ gewarnt, der „jeden zu ver­der­ben droht, der sich ihm anheim­stellt“. (43) Aus­ge­präg­ter Natio­na­lis­mus, der Glaube an auto­ri­täre Staats­füh­rung, eine klar geglie­derte Gesell­schaft und die Neigung zu einer erha­be­nen Ästhe­tik bestim­men ihr Denken bis heute.

Selbst, wenn Moeller heute nicht mehr so im Fokus steht wie zu Leb­zei­ten und in seiner Bekannt­heit hinter jüngere Autoren wie Schmitt, Jünger und auch Mohler zurück­tritt, ist er der Neuen Rechten als Ahnherr noch immer präsent. Inhalt­lich ver­blüfft an seinem Werk die Moder­ni­tät, die unbe­dingte Offen­heit für Technik und Ästhe­tik. Seine Über­le­gun­gen zur not­wen­di­gen kul­tu­rel­len Durch­drin­gung des poli­ti­schen Natio­na­lis­mus zielten auf einen Kampf um kul­tu­relle Deu­tungs­ho­heit, wie er aktuell wieder welt­weit geführt wird. Der Begriff des „Preu­ßi­schen Stils“ wurde in jüngs­ter Zeit in Kontext archi­tek­to­ni­scher Rekon­struk­tio­nen frag­wür­dig wie­der­be­lebt. (44) Auch die für Moeller typi­sche feind­li­che Über­nahme poli­ti­scher Signi­fi­kan­ten unter Ver­schie­bung des Signi­fi­kats kann als eine Vor­weg­nahme heu­ti­ger rechts­po­pu­lis­ti­scher bzw. neu­rech­ter Agi­ta­ti­ons­me­tho­den gesehen werden, die mit „alter­na­ti­ven“ Fakten han­tie­ren und dabei will­kür­lich Bedeu­tun­gen setzen. Im Rahmen heu­ti­ger Eura­sien-Kon­zep­tio­nen der extre­men Rechten ist zudem Moel­lers Ost­ideo­lo­gie eine beliebte Refe­renz. So konnte sein Werk in der extrem rechten Dis­kurs­ni­sche über­win­tern. Gemes­sen am Gesamt­um­fang ist jedoch außer einigen Apho­ris­men nicht viel geblieben.


  1. Martin Doerry: Über­gangs­men­schen – Die Men­ta­li­tät der Wil­hel­mi­ner und die Krise des Kai­ser­reichs. Wein­heim 1986.
  2. Für die Behaup­tung der Nähe vgl. bei­spiels­weise Max Hil­d­e­bert Boehm: Ruf der Jungen – Eine Stimme aus dem Kreise um Moeller van den Bruck. Frei­burg i. B. 1933, S. 13; für die Behaup­tung der Distanz nach 1945 vgl. Rudolf Pechel: Deut­scher Wider­stand, Zürich 1947, S. 279 f.
  3. Moeller van den Bruck: Die Deut­schen – Unsere Men­schen­ge­schichte. Bd. 5: Gestal­tende Deut­sche. Minden o. J. 1907, S. 279.
  4. Moeller van den Bruck: „Der Mut zur neuen Welt­an­schau­ung“, in: Der Tag, 10. Dezem­ber 1909.
  5. Vgl. Michel Gru­ne­wald, Moeller van den Brucks Geschichts­phi­lo­so­phie. Bd. 1: »Ewige Urzeu­gung«, »Ewige Anders­wer­dung«, »Ewige Wei­ter­gabe«. Bern (u.a.) 2001 und Moeller van den Bruck, Der preu­ßi­sche Stil. Breslau 1931, S. 15.
  6. Moeller van den Bruck: Das dritte Reich. Berlin 1923, S. 215.
  7. Peter Demetz: Worte in Frei­heit – Der ita­lie­ni­sche Futu­ris­mus und die deut­sche lite­ra­ri­sche Avant­garde 1912–1934. Mit einer aus­führ­li­chen Doku­men­ta­tion. München 1990, S. 32 f.
  8. Moeller van den Bruck: Natio­nal­kunst für Deutsch­land. in: Flug­schrif­ten des Vater­län­di­schen Schrif­ten­ver­ban­des 1, Berlin 1909, S. 3 f.
  9. Moeller van den Bruck: Die ita­lie­ni­sche Schön­heit. München 1913, S. 743.
  10. Moeller van den Bruck: Der preu­ßi­sche Stil. Breslau 1931, S. 145.
  11. Moeller van den Bruck: Das dritte Reich. Berlin 1923, S. 177.
  12. Moeller van den Bruck: Das dritte Reich. Berlin 1923, S. 178.
  13. Moeller van den Bruck: Die Deut­schen – Unsere Men­schen­ge­schichte, Bd. 5: Gestal­tende Deut­sche. Minden o. J. 1907, S. 281.
  14. Heinz Schlaf­fer, Das ent­fes­selte Wort. Nietz­sches Stil und seine Folgen. München 2007, S. 189.
  15. Stefan Breuer: Arthur Moeller van den Bruck – Poli­ti­scher Publi­zist und Orga­ni­sa­tor des Neuen Natio­na­lis­mus in Kai­ser­reich und Repu­blik. In: Gangolf Hübin­ger /​ Thomas Hert­fel­der (Hrsg.), Kritik und Mandat – Intel­lek­tu­elle in der deut­schen Politik. Stutt­gart u. München 2000, S. 138–150, hier S. 145.
  16. Armin Mohler: Die kon­ser­va­tive Revo­lu­tion in Deutsch­land 1918–1932 – Ein Hand­buch. Graz 1999, S. 64.
  17. Moeller van den Bruck: Die Zeit­ge­nos­sen – Die Geister, die Men­schen. Minden 1906, S. 59.
  18. Ebenda, S. 59.
  19. Ebenda, S. 60.
  20. Moeller van den Bruck: „Das Recht der jungen Völker“, in: der­selbe, Das Recht der jungen Völker. Samm­lung poli­ti­scher Auf­sätze, her­aus­ge­ge­ben von Hans Schwarz. Berlin 1932, S. 155–171, hier S. 164. (Zuerst: Deut­sche Rund­schau im Novem­ber 1918).
  21. Ebenda, hier S. 170.
  22. Juni-Klub: „Die Drei­und­drei­ßig Sätze“. In: Manfred Schoeps: Der Deut­sche Her­ren­klub – Ein Beitrag zur Geschichte des Jung­kon­ser­va­tis­mus in der Wei­ma­rer Repu­blik. Erlan­gen 1974, S. 216–218, hier S. 216.
  23. Vgl. Bert­hold Pet­zinna: Erzie­hung zum deut­schen Lebens­stil – Ursprung und Ent­wick­lung des jung­kon­ser­va­ti­ven „Ring“-Kreises 1918–1933. Berlin 2000;
    Claudia Kemper: Das Gewis­sen 1919 bis 1925 – Kom­mu­ni­ka­tion und Ver­net­zung der Jung­kon­ser­va­ti­ven. München 2011.
  24. Moeller van den Bruck, Das dritte Reich. Berlin 1923, S. 59.
  25. Ebenda, S. 61.
  26. Ebenda, S. 49.
  27. Ebenda, S. 63.
  28. Ebenda, S. 38.
  29. Ebenda, S. 64.
  30. Ebenda, S. 61.
  31. Ebenda, S. 121.
  32. Ebenda, S. 243.
  33. Ebenda, S. 1.
  34. Brief Moel­lers an Hein­rich von Glei­chen vom Dezem­ber 1922, in: Moeller 1923 o. S. (vor­an­ge­stellt).
  35. Hans Grimm: Volk ohne Raum. München 1933 (zuerst 1926).
  36. Fritz Stern: Kul­tur­pes­si­mis­mus als poli­ti­sche Gefahr – Eine Analyse natio­na­ler Ideo­lo­gie in Deutsch­land. München 1986 (1963), S. 311 f.
  37. Armin Mohler: Die Kon­ser­va­tive Revo­lu­tion in Deutsch­land 1918–1932 – Ein Hand­buch. Graz und Stutt­gart 1999 (1950), S. 3 f.
  38. Ebenda, S. 138.
  39. Ebenda, S. 402.
  40. Bei­spiel­haft der Artikel zum 90. Todes­tag Moel­lers von Karl­heinz Weiß­mann: »Der miß­ver­stan­dene Stand­punkt«, in: Junge Frei­heit 22/​2015, S. 20.
  41. Wolf­gang Müller, »Wie­der­an­knüp­fung nach Vor­wärts«, in: Junge Frei­heit 17/​2017, S. 19.
  42. Ein poli­ti­sches Kolleg als Vision“ – Dieter Stein im Gespräch mit Karl­heinz Weiß­mann, in: Junge Frei­heit 45/​1999, S. 3.
  43. https://sezession.de/61198/sonntagsheld-107-bella-gerant-alii
  44. Vgl. Stephan Trüby: Eine „neue“ Rechte gibt es nicht – Zur Archi­tek­tur­his­to­rio­gra­phie und ‑theorie der Rechten in Deutsch­land einst und heute, in: Arch+ 235, S. 12–23.

Der Autor:

Dr. Volker Weiß (geboren 1972) ist Autor und Hoch­schul­do­zent. Er forscht zur Geschichte und Gegen­wart der extre­men Rechten in Deutsch­land und wurde 2009 in Hamburg mit der Arbeit »Moderne Anti­mo­derne, Arthur Moeller van den Bruck und der Wandel des Kon­ser­va­tis­mus« (Pader­born 2012) zum His­to­ri­ker pro­mo­viert. Sein Buch »Die auto­ri­täre Revolte. Die Neue Rechte und der Unter­gang des Abend­lan­des« (Stutt­gart 2017) war für den Sach­buch­preis der Leip­zi­ger Buch­messe nomi­niert. Für die Erst­ver­öf­fent­li­chung von Theodor W. Adorno, »Aspekte des neuen Rechts­ra­di­ka­lis­mus« (Berlin 2019) schrieb er das Nach­wort. Er ist Mit­glied im Vil­ligs­ter For­schungs­fo­rum zu Natio­nal­so­zia­lis­mus, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus sowie Fellow am Zentrum für Anti­se­mi­tis­mus­for­schung Berlin.


Ver­öf­fent­licht: 11. Sep­tem­ber 2019

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