Ist die Identitäre Bewegung am Ende?
Es ist still geworden um die „metapolitische Avantgarde“ der Neuen Rechten. Ihr Ziehvater Götz Kubitschek verlautbarte unlängst, die Identitäre Bewegung sei „bis zur Unberührbarkeit kontaminiert“. Sind die Identitären am Ende?
Die Pandemie als Chance verstehen: Auf dem neu-rechten Portal Sezession hofft Martin Sellner, dass mit der „Corona-Krise“ ein „formative event“ eingetreten sei, das „einen metapolitischen Schock für unsere Gesellschaft“ auslöse und „eine Bereitschaft hin zur Remigration bewirken könnte“. Der führenden Kader der „Identitären Bewegung“ (IB) in Österreich und Deutschland glaubt zu wissen, dass in einer „multikulturellen Gesellschaft“ in Krisenzeiten das „soziale Kapital“ schwinde, da der „indigene und assimilierte Teil der Bevölkerung fast ohne Murren“ die „Krisengesetzte“ befolge, während „vor allem Migranten“ die „Ausgangssperren und Versammlungsverboten brechen“ würden. Diese Konflikte müssten laut Sellner zur politischen Diskursverschiebung genutzt werden, um die Rückführung der von ihnen ausgemachten Fremden zu forcieren. Keineswegs eine neue Forderung. Auffallend an dem Appell ist aber: Die Identitären werden nicht direkt angesprochen. Die Identitäre Bewegung hat auch an Popularität verloren. Projekte scheiterten, Initiativen verpufften. Die letzte größere geplante Aktion, eine Demonstration im Juli 2019, wurde durch Gegendemonstranten verhindert.
Seit 2012 ist die Identitäre Bewegung im deutschsprachigen Raum aktiv. Die „metapolitische Avantgarde“ startete in Frankreich und weitete sich in Europa aus, um den vermeintlich „großen Austausch“ der autochthonen Bevölkerung und die angebliche „Islamisierung“ des christlichen Abendlandes rückgängig zu machen. In Deutschland soll die IB rund 500 Anhänger haben, in Österreich etwa 300 Mitstreiter. Interne Unterlagen des in Paderborn eingetragenen Vereins belegen, dass die Identitären sich als elitären Klan verstehen und nicht jeder ohne Weiteres Aktivist werden kann. Die Massen wollen sie bewegen, jedoch keine Massenbewegung werden. Krisenverläufe heraufzubeschwören und Feindbilder zu präsentieren gehört zu ihrem ideologisch-strategischen Repertoire. Schon die geistigen Ahnen der IB aus der Wilhelminischen und Weimarer Zeit, die Herren der „Konservativen Revolution“, sahen die „Herrschaft der Minderwertigen“ (Edgar Julius Jung) und sehnten den „Untergang des Abendlandes“ (Oswald Spengler) herbei, um „Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnen“ (Arthur Moeller van den Bruck).
Die IB versucht seit Jahren, im Internet und auf den Straße durch provokante Aktionen ihre Positionen im „vorpolitischen Raum“ zu popularisieren. Doch erst vier Jahre nach der Gründung der IB erlangten sie durch die Bilder einer Aktion bundesweite Bekanntheit. Am 27. August 2016 wehte über dem Brandenburger Tor das gelb-schwarze Zeichen des Netzwerkes: Der griechische Buchstabe Lambda. Auf den Rundschildern der 300 Spartaner, die sich einer tausendfach stärkeren Armee der Perser 480 v. Chr. am Thermopylen-Pass entgegenstellten, soll der Winkel geprangt haben. In einem Video erklären die Identitären die Hinwendung zu den Spartanern: „Verstehst du, was es bedeutet? Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben!“. Dieser aufopfernde Heroismus gehört zum elitären Habitus – inklusive einer soldatischen Männlichkeit.
Die Aktion der rund 15 Identitären auf dem Berliner Wahrzeichen mit der Forderung „Sichere Grenzen – sichere Zukunft“ konnte via Internet live auf den Bildschirmen verfolgt werde. Der Coup war geglückt. Die PR ging am nächsten Tag in den Printmedien weiter. „Wir haben die Gesetze des Marketings, der sozialen Medien und des Gesellschaftsspektakels verstanden“, sagte Sellner in der „Jungen Freiheit“ (JF). Im Selbstlob gegenüber der neu-rechten Wochenzeitung werden die Gesetze der Medien und des Spektakels jedoch etwas vergessen. Denn nach der einen spektakulären Aktion muss eine noch spektakulärere Aktion folgen, um erneut mediale Resonanz zu erreichen. Die Erwartungen der Interessierten steigen ebenso – was kommt, was folgt.
In sozialen Netzwerken gelang der IB zeitweise die Eroberung des vorpolitischen Raums. Via Facebook, Youtube, Instagram und Blogs waren die Identitären und einzelne Repräsentanten omnipräsent. Lehrkräfte in Ost und West, Nord und Süd berichteten von Schülern mit Symbolen und Codes, Positionen und Argumentationsmuster der IB – auch im tiefen ländlichen Raum. Schüler? Ja, der heroische Sound der Clips im Netz spricht weniger junge Frauen als junge Männer an.
Im Real Life kämpfte die IB allerdings weniger erfolgreich um eine Verstetigung ihrer Strukturen. Sellner räumte in seinem Buch „Identitär! Geschichte eines Aufbruchs“ schon 2017 ein, dass dies schwer verlief. Offen gibt er zu, dass der Aufbau der Identitären Bewegung ohne „eine handfeste Kartei mit Telefonnummer, Klarnamen und Werdegänge“, die Götz Kubitschek gehabt hätte, schon früh gescheitert wäre. Das von Kubitschek mit gegründete „Institut für Staatspolitik“ ist denn auch ihre „Denkfabrik“ und die Bücher aus seinem Antaios Verlag dürften zur Pflichtlektüre gehören.
Die fehlende kontinuierliche Arbeit durch einen personellen Kreis führte offenbar auch zur Schließung eines IB-Zentrums in Halle. Am 6. Juni 2017 hatte eine IB-Gruppe um Mario Müller in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 in der sachsen-anhaltinischen Universitätsstadt eine Zentrum eröffnet. Kulturveranstaltungen, Schulungen und Partys fanden statt. Ein „Leuchtturm“ sollte das Haus sein, sagte Kubitschek seinerzeit. Am 12. Dezember 2019 erklärte Kubitschek jedoch, dass die IB im Oktober das Haus verlassen habe.
Das lag nach Einschätzung von Beobachtern auch am anhaltenden Anwohner-Protest und daran, dass die Lebenslüge der Identitären, gewaltfrei zu sein, entlarvt worden sei. IB-Anhänger griffen aus dem Haus heraus unter anderen zwei Zivilbeamte an. Am Abend des 29. November vergangenen Jahres durchsuchte die Polizei das Gebäude. Der Grund: Identitäre sollen Gäste einer Geburtstagsfeier in der Nähe angegriffen haben. Vier Menschen mussten medizinisch versorgt werden.
Parallel dazu popularisierten die Medien in Debatten um die Aktionen der IB auch immer weniger den provokanten Charakter oder die stylische Inszenierung der „rechten Hipster“, sondern skizzierten den von Rechtsextremismusexpert*innen analysierten völkischen Nationalismus in den Positionen und Argumentation der Identitären mehr und mehr nach. Die politische Mimikry hätte schon früher scheitern können. Denn in einem der erste Texte wurde die IB Deutschland deutlich. 2012 führte sie unter den Titel „100% Identität – 0% Rassismus“ aus: „Wir kämpfen gegen den eigenen Identitätsverlust, gegen unseren demographischen und kulturellen Verfall und gegen die allgemeine Entwurzelung und Entfremdung des Menschen in der Moderne. Wir stellen uns gegen einen abstrakten, weltfremden Menschenbegriff, der ihn nur als degenerierte kultur- und geschlechtslose, internationale Ware, als Humankapital betrachtet, anstatt ihn in seiner Ganzheit, als Erbe und Träger einer bestimmten Identität zu betrachten.“ Den Titel des Textes führen sie ad absurdum, da sie Kultur und Demographie zusammen denken. Diesen biologistischen Impuls verdichten sie zum völkischen Nationalismus, wenn sie dann von Menschen als Erbe und Träger einer festgelegten Identität sprechen.
Der zivilgesellschaftliche Druck bewegt Ende Mai 2018 verschieden Anbieter von Sozialen Medien, die virtuelle Präsenz der IB zu unterbinden. Facebook und Instagram sperrten Seiten der IB und ihrer Aktivist*innen. Ein harter Eingriff für eine Bewegung, die jede noch so kleinste Aktion aufbereitet als dynamisches Video online stellt. Sie wichen auf Telegram aus. Am 31. März 2019 folgte ein weiteres PR-Desaster: Durch die Medien geht die Nachricht, dass Brenton Tarrant, der Attentäter auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch, bei denen 51 Menschen starben, Martin Sellner mit einer Spende in Höhe von 1.500 Euro unterstützte. Die Identitären gingen auf Distanz, die Spende erfolgte schon 2018. Eine Ermittlung gegen Sellner wurde eingeleitet und später eingestellt. Doch nicht nur die Spende des Attentäters, sondern auch sein „Manifest“ wurde der IB vorgehalten. Denn sein Titel offenbart eine inhaltliche Nähe: „Der große Austausch“.
Das Image als „rechte Hipster“ schwand im Juni vergangenen Jahres weiter, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die längst in Politik- und Sozialwissenschaften analysierte Bewertung der IB als rechtsextrem aufgriff. Nach einem Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts darf das Bundesamt aber nur von einem „Verdachtsfall“ sprechen. Das BfV legte eine Beschwerde ein, der Rechtsstreit läuft. Von der Bewertung des BfV waren auch die verschiedensten Verbindungen der IB zu der AfD und ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative“, über das „Institut für Staatspolitik“ und dem Verein „Ein Prozent für unser Land“ bis zu „Compact – Magazin für Souveränität“ und „Arcadi“ offengelegt worden. In der „Neuen Ordnung“ räumte Kubitschek anschließend selbst ein, dass „dieser wirklich gute Ansatz einer patriotischen, nicht-extremen und sehr kreativen Jugendbewegung nun bis zu Unberührbarkeit kontaminiert“ sei. „Es wird nichts Großes mehr daraus“, so Kubitschek.
Große Aktionen mit starker Resonanz gelangen den Identitären ebenfalls nicht mehr. Das Netzwerk könnte auseinanderfallen. Die Verbindungen dürften aber bestehen bleiben. Mit der IB haben Aktivisten organisatorische und aktionistische Erfahrungen gesammelt und erlebt. Die ideologischen Schulungen prägten. Knowhow, Kompetenz und Lebensgefühl bleiben. Einzelne Identitäre wirken schon in neuen Projekten mit.