Netz voller Hass

Schon in den 1990er Jahren ent­deck­ten Rechts­ra­di­kale die Mög­lich­kei­ten der digi­ta­len Ver­net­zung für sich. Mitt­ler­weile ist das Inter­net zu ihrem bevor­zug­ten Pro­pa­gan­da­mit­tel avan­ciert. Im Netz schwö­ren sie ihr Publi­kum auf den Kampf gegen die libe­rale Demo­kra­tie ein.

Die Dis­kus­sion um Thilo Sar­ra­zins „Deutsch­land schafft sich ab“, AfD, Pegida, Flücht­lings­zu­zug 2015 – die 2010er Jahre waren geprägt von der Debatte über rechten Hass, der sich im Netz immer wieder Bahn bricht. Inzwi­schen vergeht kaum eine Woche, ohne dass Men­schen von kam­pa­gnen­ar­ti­gem Hass berich­ten, der sich über sie ergießt. Poten­zi­ell betrof­fen ist inzwi­schen fast jeder – schon ein Kom­men­tar oder Post in sozia­len Medien kann zum Anlass für Belei­di­gun­gen und Bedro­hun­gen erklärt werden. Das betrifft Lokal­po­li­ti­ker, zivil­ge­sell­schaft­lich Enga­gierte, Jour­na­lis­ten und auch Men­schen, die eigent­lich gar nicht in der Öffent­lich­keit stehen.

Oftmals hat das System und ein Blick in die Archive zeigt: Das alles nahm seinen Anfang bereits in den 1990er Jahren. Schon 1996, kurz nach seinem Amts­an­tritt als Bun­des­vor­sit­zen­der der NPD, erklärte Udo Voigt „die ver­stärkte Nutzung des Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­tems Inter­net“ zu einem der wich­tigs­ten Ziele der Partei. (1) Damals nutzten etwa 3,1% der Deut­schen das Inter­net. Im Jahr 2014 sagte der dama­lige Vor­sit­zende der Jungen Natio­nal­de­mo­kra­ten, Andy Knape, dem Rolling Stone: „Das Inter­net erlaubt uns, Men­schen zu errei­chen, die wir auf der Straße nicht errei­chen können.”

Waren es zu Beginn noch Mail­bo­xen, dann Foren und Web­sites, haben sich Rechts­ra­di­kale heute fast jede Nische des Inter­nets erschlos­sen. Das gilt auch für die sozia­len Medien. Abzu­se­hen war das bereits, als viele Inter­net­nut­zer ihre Zeit noch bei StudiVZ und MySpace ver­brach­ten. Auch die NPD war auf beiden Platt­for­men aktiv. Das Publi­kum, zu dem die Rechts­ra­di­ka­len im Netz spre­chen können, ist heute um ein Viel­fa­ches größer als 1996. Kaum jemand ist noch offline. Die Pro­pa­gan­da­flä­che ist nahezu unendlich.

Unter­schied­li­che Stra­te­gien für unter­schied­li­che Plattformen

Zum Werk­zeug­kas­ten der Rechts­ra­di­ka­len gehört im Grunde genom­men vieles, das bereits im Ana­lo­gen Anwen­dung gefun­den hat. Heute ist das alles jedoch ungleich ein­fa­cher, schnel­ler und extrem gut ska­lier­bar. Hass und Dro­hun­gen gehören ebenso dazu, wie gezielte Pro­vo­ka­tio­nen und bewusst gestreute Falsch­mel­dun­gen. Das Angebot hat sich im Ver­gleich zu den Kin­der­ta­gen des Inter­nets erheb­lich aus­dif­fe­ren­ziert. Das betrifft sowohl die unter­schied­li­chen Akteure und Grup­pie­run­gen als auch deren Prä­sen­zen im Netz.

Seit Jahren gehören Social-Media-Platt­for­men wie Face­book, Twitter, Insta­gram und Youtube zu den wich­ti­gen Instru­men­ten Rechts­ra­di­ka­ler. Obwohl sowohl die Regeln für Inhalte auf den Platt­for­men als auch deren Durch­set­zung in den ver­gan­ge­nen Jahren erwei­tert und ver­bes­sert wurden, haben viele Rechts­ra­di­kale ihre Profile, Seiten und Kanäle nicht auf­ge­ge­ben. Die Platt­for­men der Masse sind wei­ter­hin wich­tige Mittel, um poten­zi­elle neue Anhän­ger anzu­spre­chen – eben jene, die man nicht auf der Straße antref­fen würde.

Auf diese Platt­for­men des Main­streams kon­zen­trie­ren sich auch viele Aktio­nen ver­schie­de­ner rechts­ra­di­ka­ler Akteure, etwa bei Angrif­fen auf jene, die sie zu Feinden erklärt haben oder der geziel­ten Setzung von Themen, die im Anschluss auch in der breiten Öffent­lich­keit und Politik dis­ku­tiert werden. Ein Bei­spiel dafür sind die tage­lan­gen Angriffe und Dro­hun­gen gegen zwei Leip­zi­ger Kin­der­ta­ges­stät­ten im Jahr 2019, die den Beschluss gefasst hatten, fortan auf Schwei­ne­fleisch auf dem Spei­se­plan zu ver­zich­ten. Dass es nicht, wie viel­fach behaup­tet, um ein Verbot ging, spielte keine Rolle. Am Ende revi­dierte der Betrei­ber der beiden Kitas die Ent­schei­dung. Immer wieder bestim­men Rechts­ra­di­kale auf diese Weise die öffent­li­che Debatte und das Gesche­hen auch im Ana­lo­gen. Das Inter­net ist zu ihrem bevor­zug­ten Pro­pa­gan­da­mit­tel avanciert.

Zu den bereits genann­ten gesellt sich ein breites Spek­trum soge­nann­ter Alt-Tech-Platt­for­men. Dazu gehören zum einen Web­sei­ten und Tools, die sich Rechts­ra­di­kale für ihre Zwecke ange­eig­net haben, wie das rus­si­sche Netz­werk vk.com oder der Mes­sen­ger Tele­gram. Die Nach­rich­ten-App ist seit Jahren nicht nur als Alter­na­tive zum ver­brei­te­te­ren Whats­App beliebt, sondern wird auch von isla­mis­ti­schen Grup­pie­run­gen und dem soge­nann­ten Isla­mi­schen Staat genutzt.

Zum anderen sind viele Platt­for­men über­haupt erst ent­stan­den, weil sie die­je­ni­gen anspre­chen sollen, die von Face­book, Youtube und Co. ver­bannt wurden – oft mit Wer­be­claims, die eine „echte” Mei­nungs­frei­heit ver­spre­chen. Dazu gehört bei­spiels­weise Gab.ai, das in einigen Funk­tio­nen an Twitter erin­nert, ebenso wie die Video­platt­form Bitchute, die auch von ver­schie­de­nen rechten und rechts­extre­men Video­pro­du­zen­ten aus Deutsch­land genutzt wird. Beide Alt-Tech-Typen zeich­nen sich dadurch aus, dass ver­öf­fent­lichte Inhalte ent­we­der wenig oder gar nicht von­sei­ten der Platt­form­be­trei­ber mode­riert werden. Ent­spre­chend äußern sich Nutzer dieser Platt­for­men oft äußerst radikal. Unver­hoh­le­ner Anti­se­mi­tis­mus, Islam­feind­lich­keit, Ras­sis­mus, Frau­en­hass und andere Formen des extre­men Men­schen­has­ses sind keine Sel­ten­heit. Hier spricht man vor allem zuein­an­der, weniger zu einer breiten Öffentlichkeit.

Viele Akteure, viele Zielgruppen

So, wie das Spek­trum der Aus­spiel­wege rechts­ra­di­ka­ler Pro­pa­ganda, hat sich auch jenes der ver­tre­te­nen Akteure aus­dif­fe­ren­ziert. Wei­ter­hin ver­sucht man, neue und alte Anhän­ger mittels ein­schlä­gi­ger Musik an sich zu binden. Statt Daten­trä­gern und mp3-Dateien kur­sie­ren heute vor allem Musik­vi­deos. Außer­dem gibt es islam­feind­li­che und ras­sis­ti­sche Bünd­nisse wie Pegida, zahl­rei­che Profile und Seiten der AfD, Kanäle für Anhän­ger anti­se­mi­ti­scher Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gien und jüngere und ältere Influen­cer. Sie alle schwö­ren ihr Publi­kum auf den Kampf gegen die libe­rale Demo­kra­tie und ihre Ver­tre­ter ein.

Die ver­schie­de­nen Milieus und Per­so­nen des rechts­ra­di­ka­len Spek­trums sind sich kei­nes­wegs in jeder Hin­sicht gleich. Dennoch gibt es Gemein­sam­kei­ten. Nicht der gemein­same Entwurf einer Zukunft oder die Einig­keit über die poli­ti­schen Mittel eint sie. Viel­mehr erfol­gen lose und oftmals brü­chige Zusam­men­schlüsse auf­grund über­ein­stim­men­der Feind­bil­der. Ein Schul­ter­schluss ver­schie­de­ner rechts­ra­di­ka­ler Grup­pie­run­gen wie im Rahmen der Demons­tra­tio­nen in Chem­nitz ist zwar nicht unbe­dingt von Dauer, aber anlass­be­zo­gen repro­du­zier­bar. Nach dem gewalt­sa­men Tod des Chem­nit­zers Daniel H. hatten unter anderem die AfD, das rechts­extreme Bündnis Pro Chem­nitz, Pegida und Iden­ti­täre zu Demons­tra­tio­nen mobi­li­siert. Im Netz wurden die Gescheh­nisse in rechts­ra­di­ka­len Sphären weit über die Lan­des­gren­zen hinaus besprochen.

Nischen für ter­ro­raf­fine Milieus

Nicht zuletzt ver­net­zen sich ter­ro­ris­ti­sche Grup­pie­run­gen online. Zuneh­mend wählen sie dabei halb-öffent­li­che oder private Aus­tausch­mög­lich­kei­ten, allen voran Mes­sen­ger­dienste wie Whats­App und Tele­gram. Die rechts­ter­ro­ris­ti­sche Bür­ger­wehr Freital pflegte bis zur Fest­nahme ihrer Mit­glie­der im Früh­jahr 2016 aller­dings auch eine eigene Face­book-Seite. Und auch die jüngst ver­bo­tene Neo­na­zi­or­ga­ni­sa­tion Combat 18 zeigte sich hin und wieder im Netz, bei­spiels­weise in einer Video­bot­schaft auf Vimeo nach dem Mord an Walter Lübcke.

Hinzu kommen ter­ro­raf­fine Inter­net­nut­zer, die sich bei­spiels­weise über Tele­gram oder Image­boards wie 4chan, 8chan oder dem deut­schen Pendant Kohl­chan unter­ein­an­der ver­net­zen. Auch wenn diese Milieus erst 2019 nach den Anschlä­gen von Christ­church, Poway, El Paso, Bærum und Halle ins Zentrum der Dis­kus­sion rückten, wird dort schon seit län­ge­rem Rechts­ter­ro­ris­ten wie Anders Breivik gehuldigt.

So wie sich das Inter­net seit den 1990er Jahren ständig ver­än­derte, haben auch rechts­ra­di­kale und ter­ro­raf­fine Gruppen neue Wege ent­wi­ckelt, um sich unter­ein­an­der und mit poten­zi­el­len neuen Anhän­gern zu ver­net­zen. Diese Anpas­sungs- und Inno­va­ti­ons­stra­te­gien sind immer schnel­le­ren Ver­än­de­run­gen unter­le­gen. Ent­spre­chend sind Sicher­heits­be­hör­den, For­schung und Prä­ven­tion her­aus­ge­for­dert, sich zu diesen Ent­wick­lun­gen zu ver­hal­ten. Dazu gehört zual­ler­erst auch ein ent­spre­chen­des Ver­ständ­nis der mul­ti­plen Aus­spiel­wege und Digi­tal­stra­te­gien der extre­men Rechten.


Anmer­kun­gen:

(1) Staud, Toralf: “PodCast als Volks­emp­fän­ger”, Süd­deut­sche Zeitung, 05.10.2006


Karolin Schwarz ist freie Jour­na­lis­tin, Fak­ten­che­cke­rin und Trai­ne­rin. Im Februar 2020 erschien ihr Buch Hass­krie­ger. Der neue globale Rechts­extre­mis­mus im Herder Verlag.

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