„Die zweitschlechteste Lösung“ – ‚Islamisierung‘ und Islam in der Neuen Rechten
Dass die Neue Rechte islamfeindlich sei, gilt als feststehende Tatsache. Gleichzeitig verteidigen neurechte Vordenker die „Hochreligion“ gegen eine liberale Islamkritik. Wie passt das zusammen?
Neue Rechte reden oft von ‚Islamisierung‘. Damit meinen sie dreierlei: die unerwünschte Einwanderung von Menschen aus islamisch geprägten Gesellschaften nach Europa, einen wachsenden muslimischen Bevölkerungsanteil und die befürchtete Anpassung von sozialen und rechtlichen Regeln an die Herkunftsgesellschaften vermeintlicher oder tatsächlicher muslimischer Einwanderer.
Diese Zuschreibungen sind nicht deckungsgleich mit der tatsächlichen religiösen Ordnung des Islams und Muslimen, sondern vielmehr von der völkischen und relativistischen Weltanschauung des ‚Ethnopluralismus‘ geprägt: Ethnisch und kulturell homogene Großgruppen sollen in abgeschlossenen Großräumen koexistieren, wenn sie nicht, wie derzeit, durch Migration, transnationale Verflechtungen und liberale Modernisierung der ‚Dekadenz‘ zum Opfer fallen. Der Islam sei demnach keine Irrlehre, sondern am falschen Platz. Im Ergebnis verbindet ‚Ethnopluralismus‘ antiimperialistische Großraumvorstellungen mit einem Konzept von Apartheid, das den offenen Rückgriff auf ‚Rasse‘ zumeist vermeidet. (1) Politisch zielt das auf militärische Migrationsabwehr und Vertreibungspolitik (‚Reconquista‘), die Entflechtung europäischer Staaten von transnationalen Verbindlichkeiten (‚Souveränität‘) und eine Abschaffung gesellschaftlicher und politischer Liberalisierung (,Konservative Revolution‘). Mit neurechter völkischer Weltanschauung untrennbar verbunden ist ein implizit antisemitisches Verschwörungsdenken, das die aktuellen Flucht- und Migrationsbewegungen nach Europa für politisch gewollt und insgeheim gesteuert hält. (2) Hier ist die rechtsextreme Angst vor ‚Umvolkung‘ und ‚Volkstod‘ wirksam, die bei Neurechten als ‚großer Austausch‘ firmiert. In diesem Prozess sind muslimische Migranten als abhängige Größe oder gar Marionetten gesetzt. Um diesen ‚Großen Austausch‘ zu erklären und zu bekämpfen, nehmen Neue Rechte in Deutschland derzeit weniger die Muslime oder den Islam, sondern vor allem politische Entscheidungsträger und NGOs ins Visier, (3) die angeblich versuchen, „jenes ‚wir‘ auszulöschen, das hier der Einfachheit halber als weiß, deutsch, europäisch, autochthon charakterisiert sei.“ (4)
Ist der Islam der Feind?
Der neurechte AfD-Politiker Björn Höcke erklärte in diesem Sinne: „Der Islam ist nicht mein Feind (...) unser größter Feind ist unsere Dekadenz“ (5). Das rechtsextreme Netzwerk Identitäre Bewegung Deutschland erklärt den Islam zum „Nebeneffekt einer Massenzuwanderung“ (6). An die Einwanderung von Muslimen knüpft der revisionistische Historiker Ernst Nolte angesichts einer ‚Dekadenz‘ in westeuropäischen Gesellschaften „ebensosehr Hoffnungen wie Befürchtungen“. (7) Für den Autoren des Szeneorgans Sezession, Thor von Waldstein, ist eine „Islamisierung“ Europas gar die „zweitschlechteste Lösung“ nach einer weiteren „Durchamerikanisierung“, wogegen er für ein Bündnis mit Russland und den islamisch geprägten Mittelmeeranrainern plädiert. (8)
Unter Neuen Rechten besteht zwar Einigkeit darüber, dass der Islam im Prinzip nicht zu Deutschland gehöre und sein tatsächlicher Bedeutungszuwachs ein Problem sei. In die Furcht vor einem multiethnischen und religiös vielfältigen Deutschland mischen sich aber oftmals ambivalente Haltungen bis hin zu einer Sympathie für ‚Islamisierung‘. Den Islam als Ganzes möchten Neue Rechte jedenfalls nicht zum Feind erklären. Ein aktueller Streit in der Rechten ruft das in Erinnerung. Der Mitbegründer des Instituts für Staatspolitik, Götz Kubitschek, wirft dem rechtspopulistischen Publizisten David Berger und „der islamophoben Youtube- und Bloggerszene“ einen „pauschalen Islamhaß“ (9) vor. Berger bescheinigt dem IfS-Milieu um Kubitschek dagegen Islamfreundlichkeit und Judenfeindschaft. Der offen homosexuelle Berger verbindet seine Ablehnung von Islam und Muslimen mit proisraelischen und proamerikanischen Einstellungen und einem demonstrativen Bekenntnis zu liberaler Demokratie. Damit versammelt Berger viele Elemente, die von den Neurechten unter ‚Liberalismus‘ subsumiert und bekämpft werden.
Der zentrale negative Bezugspunkt neurechter Ideologie sind also nicht Islam und Muslime, sondern das Feindbild ‚Liberalismus‘, in dem antidemokratische, antiliberale, antiwestliche und nicht zuletzt antisemitische Ressentiments gebündelt werden. ‚Islamisierung‘ ist im neurechten Verständnis eine „Sekundärinfektion“ (10) infolge der ‚Liberalisierung‘ von Gesellschaften. Im Gegenteil zu liberaler und säkularer Islamkritik, an der sich Rechtspopulisten bei ihrer muslimenfeindlichen Agitation selektiv bedienen, betreibt das neurechte Islambild eine konsequente Rassifizierung, die Wertekonflikte, Integrationsprobleme und Terrorismus zu ‚ethnokulturellen‘ Unvermeidlichkeiten erklärt.
Offenheit als Verhängnis
Die Auseinandersetzung mit dem Islam treibt in der rechten Szene die Frage nach dem ‚Eigenen‘, der kollektiven Identifizierung hervor, die gleichermaßen auf Deutschland und Europa bezogen ist. Auf einen christlichen Minimalkonsens vermag sich die Neue Rechte nicht zu einigen, zumal die Katholische und die Evangelische Kirche regelmäßig Partei für Flüchtlingshilfe ergreifen. Der neurechte Vordenker Karlheinz Weißmann, stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, kommt zu einem ernüchternden Schluss. Eine positive deutsche und europäische ‚Identität‘, die „nicht nur in der Abgrenzung bestehen“ (11) würde, sei inmitten von ‚Dekadenz‘ nicht in Sicht. Der Islam hingegen verkörpere eine „überlegenere, weil geschlossenere Ordnung“ (12).
Es hat im westlichen Orientalismus Tradition, den Islam als geschichtsloses, einheitliches und unbewegliches Gebilde zu verstehen. (13) Solche geschlossenen Formationen sind für Neue Rechte (und Islamisten) interessant, die unablässig nach einem fixen Gegenbild zur ruhelosen liberalen Moderne streben. (14) Der Neuen Rechten geht es dabei nicht um eine Beschreibung des Islams, die zugleich die Kolonisierung oder Bekehrung islamisch geprägter Gesellschaften und Communities rechtfertigen soll. Vielmehr wird deren aktueller Vorteil im vielbeschworenen ewigen Kampf ums völkische Dasein neidvoll anerkannt. Im Zentrum dieses Kampfgedankens steht eine soldatische Männlichkeit, die sich durch die Abgrenzung und Verdrängung von ‚weiblichen‘ Eigenschaften herstellt. Ideal wäre also ein binär-geschlechtliches und heterosexistisches Geschlechterverhältnis, das aber stets prekär ist. Umso aggressiver reagieren Neurechte auf sichtbare Homosexualität, Feminismus, Sexualaufklärung und nicht zuletzt auf ein liberales System, das all dies gestattet. (15) Der Erfinder des ‚Ethnopluralismus‘, Henning Eichberg, feierte bereits in den 1980er Jahren den antiwestlichen Furor des Islamismus und stilisierte den Schleier für muslimische Frauen zum Symbol des Widerstands gegen jede offene, liberale Gesellschaft. (16) Einzig ein ‚geschlossenes‘ System verheißt, die Bedrohungen für eine männlich dominierte Gemeinschaft zu beenden. Björn Höcke sieht wegen der Einwanderung mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: „es wird männlicher werden, aber es wird leider nicht sehr deutsch bleiben.“ (17) So lange die europäischen Gesellschaften ‚offen‘ seien und nicht zur Vertreibung der Muslime und zur Uniformierung der verbliebenen Bevölkerung bereit, würde demnach der Islam und nicht die extreme Rechte vom Aufschwung der ‚Männlichkeit‘ profitieren. Die Muslimenfeindlichkeit zeigt sich hier als maskulinistischer Revierkampf.
„Wohltemperierte Grausamkeit“ oder ‚Ethnopluralismus‘ in einem Land?
Björn Höcke hat in einer Rede gefordert, „dass am Bosporus mit den drei großen M – Mohammed, Muezzin und Minarett – Schluss ist.“ (18) Diese Parole birgt eine doppeldeutige Botschaft für die rechte Szene. Für rechtspopulistische Islamfeinde klingt hier die aggressive Absicht an, den Islam und Muslime nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Türkei zu attackieren. Neurechte Anhänger der globalen Apartheid erkennen darin, dass Islam und Muslime im Sinne des ‚Ethnopluralismus‘ außerhalb Europas platziert werden. Ergänzt wird diese Perspektive durch Höckes Vorstellung von ‚Remigration‘, also Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund durch eine „Politik der wohltemperierten Grausamkeit“. (19)
Neben diesen unverhohlenen Phantasien ethnischer Säuberungen verfolgen Teile der Neuen Rechten eine flexible innenpolitische Strategie. Alain de Benoist, der Vordenker der französischen Neuen Rechten, zeigt sich in einem Interview mit der Jungen Freiheit überzeugt: „Einwanderung bedroht unsere kollektive Identität nicht“. Er plädiert für einen „gemäßigten Multikulturalismus“, der sich primär an Gemeinschaften und regionalen ‚Identitäten‘ orientiert. So schätzt er gerade die ultrakonservativen Muslime, welche sich von liberalen und säkularen Lebensweisen abwenden und damit ein Zusammenleben von Muslimen mit der nicht-muslimischen Bevölkerung unterbinden. (20) De Benoists antiliberale Feier von ‚Differenz‘ und ‚Identität‘ kann sich dabei ohne größere Umstände am kulturrelativistischen Jargon des differenzialistischen Antirassismus bedienen. (21)
Vor kurzem wurde dieser ‚multikulturelle‘ Gedanke erneut aufgegriffen. Im Debattenbeitrag „Das Undenkbare denken. Der Islam und die Rechte“ für das Weblog des Jungeuropa Verlags räumt Hagen Eichberger ein, dass „der Islam längst zu Westdeutschland [gehört]“ und eine Vertreibung der muslimischen Bevölkerung unrealistisch sei. Vielmehr hebt der Autor die weltanschaulichen Gemeinsamkeiten mit türkischen Rechtsextremen und Islamisten hervor, die zu lokalen Arrangements in Großstädten führen könnten, allen voran Gewaltbereitschaft und patriarchale Ehrvorstellungen. Der skizzierte ‚Ethnopluralismus‘ in einem Land ist in der neurechten Szene gegenwärtig nicht mehrheitsfähig. Er bricht aber keineswegs mit den kulturrelativistischen und rassistischen Grundgedanken einer Segregation von Bevölkerungsgruppen, sondern wendet ihn innenpolitisch an.
Ausblick
Die Islamfeindlichkeit unter Neuen Rechten ist relativ, weil sie einem radikalen Kulturrelativismus untersteht und durch das völkische Konzept von abgeschlossenen Großräumen begrenzt ist. Die ambivalente, teils freundliche Sicht auf den Islam als patriarchale „Hochreligion“ (22) und „eine der wesentlichen Kulturquellen des alten Europa“ (23) ist aber keineswegs ein Grund zur Entwarnung. Neurechte Islambilder fußen auf einem gewaltträchtigen völkisch-rassistischen Menschenbild, verfolgen einen radikalen Kulturrelativismus, verschreiben sich der Gegenaufklärung und streben zumindest eine Zwangsdesintegration von Menschen mit Migrationsbiographie an. Ihre in antisemitischer Tradition stehende Verschwörungsideologie des ‚Großen Austauschs‘ mag hierzulande vor allem auf vermeintliche und tatsächliche politische Eliten (‚Austauscher‘) zielen, zu denen Politiker, Juden, Feministen und LGBTIQ-Aktivisten zählen sollen. Wie das rechtsterroristische Massaker an Muslimen im neuseeländischen Christchurch im März 2019 zeigte, kann diese Strategie jederzeit kippen. Auch wenn Muslime von Neuen Rechten in Deutschland zumeist als Marionetten und nicht als treibende Kraft des ‚Großen Austauschs‘ ausgewiesen werden, sind sie sichtbare Ziele für jene „wohltemperierte Grausamkeit“, die der AfD-Politiker Björn Höcke seinen Anhängern verheißt.
Literatur
(1) Siehe dazu Karin Priester: Rassismus. Eine Sozialgeschichte, Leipzig 2003, S. 247–269.
(3) Siehe dazu Martin Sellner: Der Große Austausch in Theorie und Praxis, in: Renaud Camus: Revolte gegen den großen Austausch, Steigra 2016, S. 191–221.
(4) Institut für Staatspolitik: Ist der Islam unser Feind? Eine Lageanalyse, Steigra 2012, S. 35.
(5) https://www.youtube.com/watch?v=MRmftBet-1I&t=38s
(6) https://www.identitaere-bewegung.de/blog/kritik-der-islamkritik/
(7) Ernst Nolte: Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus, Berlin 2009, S. 376.
(8) Thor von Waldstein: Thesen zum Islam, in: Compact Spezial (2016): Islam – Gefahr für Europa?, S. 79.
(9) Götz Kubitschek: Lübcke, Tauber, Berger – eine Klarstellung, in: Sezession im Netz vom 19. Juni 2019, online verfügbar: https://sezession.de/61308/luebcke-tauber-berger-eine-klarstellung
(10) Martin Lichtmesz: Weißmann, Stürzenberger und das Elend der Islamkritik, in: Sezession im Netz vom 9. Oktober 2012, online verfügbar: https://sezession.de/34132/weismann-sturzenberger-und-das-elend-der-islamkritik
(11) Karlheinz Weißmann: Kein Schüren von Religionshaß, in: Junge Freiheit 17 (April 2016), online verfügbar: https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2016/kein-schueren-von-religionshass/
(12) Karlheinz Weißmann: Der Islam als politisches Modell, in: Sezession Nr. 40 (Februar 2011), S. 7, online verfügbar: https://sezession.de/24995/islam-als-politisches-modell/2?query=%25islam%25
(13) Siehe dazu Floris Biskamp: Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit. Antimuslimischer Rassismus aus Sicht postkolonialer und neuerer kritischer Theorie, Bielefeld 2016, S. 101–140.
(14) Samuel Salzborn: Religionsverständnisse im Rechtsextremismus, in: Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2014/15, S. 285–301.
(15) Quint Czymmek: Das Geschlechterbild der Neuen Rechten. Gleichberechtigung als Bedrohung, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft online, online verfügbar: https://www.idz-jena.de/wsddet/das-geschlechterbild-der-neuen-rechten-gleichberechtigung-als-bedrohung/
(16) Henning Eichberg: Abkoppelung. Nachdenken über die neue deutsche Frage, Koblenz 1987, S. 199–203.
(17) Björn Höcke: Eine politische Bestandsaufnahme. Rede am 21. November 2015 beim Institut für Staatspolitik, Schnellroda, zit. n. Jobst Paul: Der Niedergang – der Umsturz – das Nichts. Rassistische Demagogie und suizidale Perspektive in Björn Höckes Schnellrodaer IfS-Rede, S. 28, online verfügbar: https://www.diss-duisburg.de/wp-content/uploads/2016/02/Jobst_Paul-Bjoern_Hoeckes_IfS-Rede.pdf.
(18) https://de.euronews.com/2018/01/29/hocke-schluss-mit-mohammed-muezzin-und-minarett
(19) Björn Höcke: Niemals in denselben Fluss, Berlin 2018, S. 257.
(20) Alain de Benoist: Aufstand der Kulturen, Berlin 2003, S. 121–130.
(21) Siehe dazu Benoist: Aufstand, 115–120; Imke Leicht: Multikulturalismus auf dem Prüfstand, Kultur, Identität und Differenz in modernen Einwanderungsgesellschaften, Berlin 2009, S. 131–154; Priester: Rassismus., S. 270–292.
(22) Weißmann: Religionshaß, https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2016/kein-schueren-von-religionshass/
(23) Waldstein: Thesen, S. 76.