Politische Visionen von Björn Höcke: Gewalt als Option
Teil 2 einer Rezension des Gesprächsbands mit Björn Höcke. Im ersten Teil ging es um sein Weltbild. Was aber sind die politischen Implikationen seines Denkens? Was hat er vor?
Höckes Politik richtet sich in erster Linie gegen das „Establishment“, das sich gegen das deutsche Volk verschworen habe. Er macht sich dabei zum Fürsprecher der „sozial schwächeren Schichten“ gegen „die etablierte bürgerliche Klasse“, der er „Klassenarroganz“ unterstellt. (S. 237) Er füttert damit populistische Ressentiments gegen „die da oben“. Seine Verachtung gilt den liberalen Eliten. An anderer Stelle fordert er ganz in bolschewistischer Tradition die Bildung einer revolutionären Avantgarde. Es brauche diese politische Elite, die die „Volksgeister wieder weckt“. In diesem Zusammenhang spricht er von „Gegenelite“ und „Elitenwechsel“ und über eine „plurale Führung“, die in „enge[r] Kommunikation und Zusammenarbeit mit dem Volk“ arbeiten solle. (S. 286)
Sozialpolitik? Fehlanzeige.
Aus dem antielitären Eintreten für den „kleinen Mann“ (S. 237) folgt kein nennenswertes sozialpolitischen Programm. Dergleichen lässt sich im Buch nicht finden. Das Sozialpolitische erstreckt sich bei Höcke einzig und allein auf eine grundlegende Gegnerschaft zur Globalisierung, die er als „Reichen-Projekt“ (S. 237) bezeichnet. In dieser globalisierungsfeindlichen Frontstellung ist er zu strategischen Bündnissen mit der Linken bereit. „Wie man sich um diese Klientel [des „kleine Manns“; Anm. d. Vf.] kümmert, können wir teilweise von der traditionellen Linken lernen, genauso wie mancher systemloyale Konservative sich ein Scheibchen von deren Herrschaftskritik abschneiden kann.“ (S. 241) Im Sinne eines Systemumsturzes gilt die Linke als Orientierungspunkt. Allerdings steht einem echten Bündnis das gespaltene Verhältnis der Linken zum Nationalismus im Weg. Höcke unterstellt ihr deshalb, sich in den Dienst der „globalistischen Elite“ gestellt und unglaubwürdig gemacht zu haben: „mit der Übernahme der liberalistischen No-Border-No-Nation-Ideologie heftet man [d.i. die Linke; Anm. d. Vf.] sich heute an ein weiteres absurdes Projekt, das scheitern wird. Es ist ein absoluter geistigmoralischer Tiefpunkt der Linken, sich als Hilfskräfte des Globalkapitals anzudienen und dabei die eigentliche Klientel – die deutschen Arbeiter und die sozial Schwachen – schmählich im Stich zu lassen.“ (S. 243) „Ihre bisherigen Positionen gegen US-Imperialismus, gegen eine Konfrontation mit Rußland, gegen Globalisierung, Raubtierkapitalismus und Sozialabbau werden gerade von den etablierten Parteien bekämpft, zu denen sie ja mittlerweile auch gehört oder gehören möchte.“ (S. 242)
Es sei deshalb nur folgerichtig, dass die AfD die Linke in der sozialen Frage beerben werde. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine erfahren von Höcke dagegen Wertschätzung, weil sie seine Migrationskritik teilen. Bei Bernie Sanders und Sahra Wagenknecht könne man „einige Anregungen erhalten, um unser soziales Profil in der AfD zu stärken.“ (S. 245)
Höcke folgt der völkischen Idee von der Überwindung der Klassen durch die Volksgemeinschaft: „ich sehe keinen Widerspruch zwischen einer patriotischen und einer dezidiert sozialen Position, im Gegenteil: Es ist die Verantwortung, die man als Patriot für das ganze Volk hat und nicht nur für eine bestimmte Oberschicht. Wir haben […] dafür den Begriff des solidarischen Patriotismus geprägt.“ (S. 245) Und wenn die Linke in der sozialen Frage nicht liefere, werde man dieses Terrain besetzen. Wenn hingegen die Linke ihre Aversion gegen den Nationalismus ablegt, steht für Höcke auch einem Rechts-Links-Bündnis nichts im Weg: „Natürlich werden wir wohl kaum die gesamte Linke von ihren anti-nationalen Überzeugungen abbringen können, aber wir sollten den noch rettbaren Teilen helfen, ihre künstliche und sinnlose Kluft zum Volk zu überwinden.“ (S. 249)
Der unvermeidliche Systemumsturz
Um seine völkischen Vorstellungen durchzusetzen, hält Björn Höcke einen radikalen Systemumsturz für notwendig. „Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen. Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, daß wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen.“ (S. 257) Auch wenn die Deutschen als obrigkeitshörig gelten, sei „irgendwann […] auch bei uns die Geduld am Ende, dann bricht der legendäre »Furor teutonicus« hervor, vor dem die alten Römer schon gezittert haben.“ (S. 212) Und da sich dieser Furor nicht nur gegen den äußeren Feind, sondern auch gegen die eigenen Führer richte, gebe es „Ein Grund mehr für die heutigen Machthaber, vor dem eigenen Volk zu zittern!“ (S. 213) Zwar wirkten die „üblen Beschimpfungen und rigiden Maßnahmen der Machthaber“ noch einschüchternd „und schrecken bislang noch die meisten unzufriedenen Bürger vor einem offenen Aufstand ab.“ Allerdings erhöhe das nur den „Druck im Kessel“ (S. 219).
Ein radikaler Systemwechsel ist für Höcke unvermeidbar. Es geht ihm um „die fundamentale Kritik des Bestehenden“ und nichts geringeres als „die Rettung des Volkes“ (S. 230). Die bisherigen Eliten könnten nur auf eine Zukunft hoffen, wenn sie die Konversion des Systems mitmachten, ein neues Bekenntnis ablegten, sich einer reinigenden Katharsis unterzögen: „Überlegung über ein Zusammengehen oder Koalieren mit Teilen des politischen Establishments setzt deren Läuterung und prinzipielle Neujustierung voraus. Das ist erst zu erwarten, wenn das Altparteienkartell unter der steigenden Krisenlast zerbrochen ist.“ (S. 230)
Die Verwendung apokalyptischen Vokabulars ist hier nicht zufällig. Er sieht sich nicht nur vor einem politischen Umsturz, sondern vor einer Wende historischen Ausmaßes: „Die Krisen der Moderne eskalieren heute vielmehr, statt gedämpft oder gar bewältigt zu werden. Es wird unsere historische Aufgabe sein, nach dem finalen Austoben der Moderne eine wirkliche neue Ära vorzubereiten und einzuläuten: Die Nach-Moderne.“ (S. 258)
Auf diesem Weg zu einer reinigenden Katharsis bleiben notgedrungen Teile auch des deutschen Volkes auf der Strecke. Hierbei verwendet Höcke Formulierungen, die „schwache“ und „gesunde“ Teile des Volkes unterscheiden: „Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“ (S. 257) Für die Zukunft sieht Höcke die Möglichkeit für ungekannte politische Konstellationen, „aus der sich dann mit den gesunden Teilen der Staatsverwaltung eine neue politisch-administrative Führung herausbilden könnte.“ (S. 232) Hinter diesen Machtphantasien zeigt sich ein altbekanntes sozialdarwinistisches Denken, das das Volk als Körper mit gesunden und kranken, starken und schwachen Gliedern. Ziel solchen Denkens war stets, einen gesunden und starken Körper zu erlangen, indem das Kranke und Schwache ausgemerzt wird.
Überwindung der parlamentarischen Demokratie
Björn Höcke deutet an, dass er das Parteiensystem ablösen will und ein instrumentelles Verhältnis zur Demokratie pflegt. Die AfD soll die Parlamente nutzen, um deren Ende herbeizuführen: „Die Überwindung des Parteigeistes und die enge Verbindung mit den neutralen, sachkompetenten staatlichen Institutionen halte ich für entscheidend bei der Lösung der anstehenden Probleme. Bis dahin ist es die Aufgabe der AfD, eine unüberhörbare parlamentarische Stimme und Vertretung der Volksopposition im Land zu sein.“ (S. 232) Es geht um eine völkische Überwindung der Demokratie, die er als Spaltung des Volkes begreift. Der „Parteigeist“ ist für ihn mit der ersehnten Volkseinheit nicht vereinbar. Darin folgt er dem Denken von Carl Schmitt, der in der parlamentarischen Demokratie nur den Kampf von Partikularinteressen sah und von der Idee der Homogenität des politischen Systems überzeugt war, in dem es nicht mehr um Mehrheiten und Minderheiten, sondern nur noch um die Zuordnung von Freund oder Feind, von Innen und Außen geht: „Der Parteigeist muß überwunden, die innere Einheit hergestellt werden“, heißt es bei Höcke (S. 288) „Wer ist Freund, wer ist Feind? Freund ist, wer den Interessen der Nation dient, Feind ist, wer diesen entgegensteht – festgemacht ganz im Sinne des politischen Begriffs von Carl Schmitt, also ohne jeden Haß und Ressentiments.“ (S. 247)
Der von Höcke angeführte „Flügel“ sei 2015 gegründet worden, um sicher zu stellen, dass die AfD als Systemalternative erhalten bleibe. Es gelte zu verhindern, dass die Partei zu einer systemtragenden Kraft degeneriere: „Wir verstehen den »Flügel« ganz einfach als einen guten Geist, der darüber wacht, daß wir eine echte Alternative zu den etablierten Parteien bleiben.“ Es gehe darum, „die Partei vor einer Anpassung ans Establishment zu bewahren und sie als wirkliche Erneuerungskraft zu etablieren.“ (S. 228)
Bündnis mit der Straße
Dass Höcke mit „Erneuerung“ tatsächlich die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie meint, daran lässt er keine Zweifel. Es verwundert deshalb auch nicht, dass er die „peinliche Abgrenzeritis“ (S. 233) seiner Partei zu Pegida, rechtsextremen und radikalen Gruppen für falsch hält. Man dürfe keine Angst haben „sich durch das bisweilen rustikalere Auftreten der Protagonisten und Demonstranten »schmutzig« zu machen.“ (S. 233) Wenn er von der „derben Natur“ und „rohen Form“ der Straßenproteste spricht, die es gelte, „geistig zu veredeln und in eine vernünftige parteipolitische Programmatik und Strategie zu integrieren“, muss das als zweigleisige Strategie aus gewaltbereitem Straßenkampf und deren parlamentarischem Arm verstanden werden. Wer sich dabei an die Machtstrategie der Nationalsozialisten erinnert fühlt, liegt durchaus richtig.
Der Einsatz von Gewalt
Bei der Überwindung der Demokratie sind staatliche Institutionen und insbesondere der Sicherheitsbereich wichtige Verbündete der AfD. Die parlamentarische Opposition sei nur der erste Schritt einer politischen Wende. Man müsse sich mit allen „legalen“ Mitteln wehren: „Die »Festung der Etablierten« muß von mindestens zwei Seiten in die Zange genommen werden: von der protestierenden Bürgerbasis her und von uns als parlamentarischer Speerspitze der Bürgeropposition. Wichtig wäre noch eine weitere Front aus den frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates heraus, …“ (S. 233). Das ist wörtlich zu nehmen. Die Berichte über rechtsextreme Netzwerke in den Sicherheitskräften, die Waffen, Munition und Todeslisten für den „Tag X“ bereithalten, wecken konkrete Assoziationen von bewaffneten Aufständen. Der Verweis Höckes auf die Legalität der anzuwendenden Mittel erscheint wie ein taktisches Manöver. Und mit der auch in neurechten Kreisen beliebten Losung „wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ ist die Frage, was legal und illegal ist, eine bloße politische Definitionsfrage geworden. Wer behauptet, die Bundesregierung betreibe permanenten Rechtsbruch, kann auch eigene Vorstellungen davon entwickeln, was „legale“ Mittel sind.
Für den Notstand entwirft Höcke folgerichtig das Szenario eines bewaffneten Aufstands, der von ländlichen Rückzugsorten in Ostdeutschland die Rückeroberung antritt: „Ich erwähnte vorhin den möglichen Rückzug auf Länderebene, wo besonders im Osten noch großes Potential vorhanden ist, daß inhumane Projekt einer Migrationsgesellschaft zu stoppen. – Und wenn das nicht gelingen sollte? – Dann haben wir immer noch die strategische Option der »gallischen Dörfer«. Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns wie einst die tapfer-fröhlichen Gallier in unsere ländlichen Refugien zurück und die neuen Römer, die in den verwahrlosten Städten residieren, können sich an den teutonischen Asterixen und Obelixen die Zähne ausbeißen! Wir Deutschen – zumindest die, die es noch sein wollen – sind dann zwar nur noch ein Volksstamm unter anderen. Die Re-Tribalisierung im Zuge des multikulturellen Umbaus wird aber so zu einer Auffangstellung und neuen Keimzelle des Volkes werden. Und eines Tages kann diese Auffangstellung eine Ausfallstellung werden, von der eine Rückeroberung ihren Ausgang nimmt.“ (S. 253)
Rache und politische Gewalt als Option
Diese Extremsituation wolle er vermeiden und ihr durch eine politische Wende zuvorkommen: „Aber auch in der erhofften Wendephase stünden uns harte Zeiten bevor, denn umso länger ein Patient die drängende Operation verweigert, desto härter werden zwangsläufig die erforderlichen Schnitte werden, wenn sonst nichts mehr hilft.“ (S. 254) Eine neue politische Führung müsse dann „aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwider laufen.“ (S. 254)
Wie soll man diese Äußerung anders lesen, denn als Legitimation politischer Gewalt oder gar einer Politik der Vernichtung? Höcke bemüht hier erneut das Bild vom Volk als Körper, in diesem Fall des Körpers eines kranken Patienten, an dem zur Gesundung in einer Operation Schnitte erforderlich seien. Dies erinnert an die Sprache des Nationalsozialismus, der mit der Vernichtung „minderwertiger Rassen“, von „Volksschädlingen“ und „erbkranken Nachwuchses“ eine „Genesung des deutschen Volkskörpers“ erzwingen wollte.
„…existenzbedrohende Krisen erfordern außergewöhnliches Handeln. Die Verantwortung dafür tragen dann diejenigen, die die Notwendigkeit dieser Maßnahmen mit ihrer unsäglichen Politik herbeigeführt haben.“ (S. 255) Damit ist eine Entlastungslogik gleich parat, wenn die Verantwortung für das eigene Vorgehen auf die alten Eliten abgewälzt werden kann. „Ich stehe für eine grundlegende Wende in unserem Land und bei der – wenn sie denn Wirklichkeit wird – werden diese abgewirtschafteten Eliten keine Rolle mehr spielen.“ (S. 221) Höcke warnt für diesen Fall vor der Rache am politischen Gegner. Das mag als milde Geste erscheinen, stellt diese Möglichkeit aber überhaupt erst in den Raum: „…für den Fall, daß sich das Blatt in unserem Land einmal politisch wenden sollte: Etwaigen Rachegefühlen darf man dann keinen Raum geben. Das christliche Vergebens- und Gnadengebot wird vielleicht einmal viel von uns abverlangen.“ (S. 223) Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Régime vorgibt, den (angeblich berechtigten) Volkszorn nicht bändigen zu können, während es sich dahinter versteckt und gewähren lässt, weil es von politischem Nutzen ist.
„wohltemperierte Grausamkeiten“ gegen Migranten
Auch in der Migrationsfrage ist nach dem von Höcke ersehnten Umsturz nicht mit juristischen Spitzfindigkeiten zu rechnen. Kurzerhand und unabhängig von der Staatsbürgerschaft, dem rechtlichen Status oder humanitären Schutzbedürfnis sollen „nichtintegrierbare Migranten“ rückgeführt werden (S. 195). Muslimen sei „unmißverständlich klar[zu]machen, dass ihre religiöse Lebensweise nicht zu unserer […] Kultur passt“. Die ehemalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, die jenseits der Sprache keine deutsche Kultur erkennen wolle, habe „in unserem Land tatsächlich nichts verloren.“ (S. 198) Die Botschaft ist klar. Wenn es nach Höcke geht, wird nicht lang gefackelt bei dem Projekt, das die Neue Rechte als „Remigration“ bezeichnet. „Es wird ein großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der »wohltemperierten Grausamkeit«, wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. Das heißt, daß sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden.“ (S. 254)
Führerstaat
Mit dem Barbarossa-Mythos vom schlafenden Kaiser begründet er einen Hang der Deutschen zu starken Führern: „…die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert, davon bin ich überzeugt.“ (S. 161) Vielleicht sieht er sich selbst als diese Führerpersönlichkeit. Mit Blick auf eine Regierungsverantwortung seiner Partei spricht er sich gegen die Doppelspitze und für eine straffe, auf einen autoritären, charismatischen Führer ausgerichtete Organisation aus: „… es bedarf dann einer zentralen Führungsfigur, die auch als einzelne Person in der Lage ist, die innere Einheit der Partei herzustellen. […] Kurzum: es braucht eine starke Persönlichkeit und eine feste Hand an langer Leine, um die zentrifugalen Kräfte zu bändigen und zu einer politischen Stoßkraft zu bündeln.“ (S. 231; Hervorhebung vom Vf.)
Ein verantwortungsvoller Staatsmann dürfe sich nicht von den schwankenden Stimmungen des Volkes abhängig machen, „zumal diese manipuliert sein können. Auch bei einer wiederhergestellten inneren Einheit muß er ein Sensorium für die »volonté generale« besitzen und notfalls auch gegen die aktuellen öffentlichen Befindlichkeiten und für das Volk die richtigen Entscheidungen treffen – also nicht selbstherrlich-autokratisch, sondern im dienenden Sinne.“ (S. 236) Was dem Volk dient, entscheidet demnach der Führer allein. Er ist mit einem unerklärlichen Geheimwissen ausgestattet und so gegen jegliche Kritik gewappnet.
Fazit
Höckes Weltsicht präsentiert nicht einfach Gemeinplätze eines kulturpessimistischen Schwarzsehers. Der zum Teil hanebüchene Eklektizismus des vorliegenden Gesprächsbands sollte nicht über die Wirkung hinwegtäuschen, die die Botschaften Höckes entfalten können. Gerade seine kulturpessimistischen Zeitdiagnosen werden in den Teilen der Bevölkerung Anklang finden, die sich von der beschleunigten Moderne überfordert fühlen. Ihm bietet er mit dem Volk als Mythos neue Verortung, Identität und damit Sinnstiftung an.
Der Sound der „Wiederverzauberung der Welt“ (S. 163), der Remythologisierung der Moderne ist nicht ungefährlich. Höcke kann nur schlecht verbergen, dass er radikal antidemokratisch eingestellt ist. Ihm geht es um eine Überwindung der parlamentarischen Demokratie. Gewalt ist eine politische Option, sowohl beim anvisierten Systemumsturz als auch in der danach geplanten Verfolgung politisch Andersdenkender und solcher, die als blutsmäßig Nichtangehörige des Volks angesehen werden.
Die Radikalität seiner politischen Vorstellungen entspringt seiner Weltsicht. Wer das durch Blutsbande definierte Volk zum höchsten Prinzip erklärt, die Werte der Aufklärung und universelle Werte ablehnt, verliert den Maßstab für die Angemessenheit der Mittel. Wer die Volksgemeinschaft absolut setzt, kann weder widerstreitenden Interessen noch vielfältige Lebensentwürfe akzeptieren. Auch wenn Björn Höcke sich bemüht, einen Schein von Zivilität zu wahren, gelingt es ihm nicht.
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