Identitäre in Halle: Die hippen Erben der „Konservativen Revolution“
Die „Identitäre Bewegung“ scheiterte am Wochenende mit einer angekündigten Demonstration in Halle (Saale). Die rechtsextreme Gruppierung bezieht sich in ihrem Denken immer wieder auf Vertreter der „Konservativen Revolution“.
Nach vier Stunden Warterei ist endgültig Schluss. Daniel Fiß, 26, Chef der „Identitären Bewegung“ in Deutschland, steigt auf die Ladefläche eines LKW, das Mikrofon in der rechten Hand, auf dem T‑Shirt prangt der Slogan des Tages: „Es bleibt unsere Heimat“. Unter dem Motto hätte an diesem Samstag in Halle an der Saale eine Demonstration der Identitären stattfinden sollen. Eigentlich. Nun steht Fiß hier, um seinen Anhängern mitzuteilen, dass daraus nichts wird. Die Versammlungsbehörde hatte das kurz zuvor verfügt. Zu viele Gegendemonstranten, befand sie, zu unverhältnismäßig erschien es der Polizei, die Sitzblockaden mit Gewalt zu räumen, um den Identitären den Weg frei zu machen. In den Stunden zuvor hatte Fiß immer wieder versucht, seine Anhänger bei Laune zu halten. Man werde alles dafür tun, um doch noch zu laufen – und sei es um Mitternacht. Jetzt aber ist klar: Es wird keine Demonstration der Identitären geben. Jedenfalls nicht hier, nicht an diesem Tag.
Halle gilt als inoffizielle Hauptstadt der „Identitären Bewegung“. Hier betreibt die Gruppe ein „patriotisches Hausprojekt“, das „Flamberg“ in der Adam-Kuckhoff-Straße 16, direkt gegenüber vom Uni-Campus. Im Erdgeschoss, gleich rechts hinter der Eingangstür, befindet sich eine kleine Bar. An der Wand hängen Fotos von Aktionen der Identitären: Von der Besetzung des Brandenburger Tors, von einer „Mission“ auf dem Mittelmeer, von einer Demonstration in Berlin im Juni 2017. „Achtung“, steht auf einem Plakat, das überall im Hausflur verteilt wurde, „der Verfassungsschutz beobachtet Sie jetzt“. Wenige Tage vor der geplanten Demonstration in Halle hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt gegeben, die „Identitäre Bewegung“ nach einer über dreijährigen Prüfung nunmehr als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ einzustufen. Damit steht es der Behörde offen, die Gruppierung auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu überwachen.
Die „Identitäre Bewegung“ ist in Frankreich entstanden und im deutschsprachigen Raum seit 2012 aktiv. Sie ist so etwas wie der aktionistische Arm der Neuen Rechten und unterhält enge Verbindungen zu Götz Kubitschek, dem „wichtigsten Intellektuellen der Neuen Rechten“. (1) Die Aktivisten machen mobil gegen den „Großen Austausch“. Dabei handelt es sich um eine Verschwörungstheorie, derzufolge häufig nicht näher benannte Eliten das Ziel verfolgten, die europäische „Stammbevölkerung“ gegen muslimische Migranten „auszutauschen“. Mit Rassismus soll das alles nichts zu tun haben, man spricht lieber von „Ethnopluralismus“. Dem Wortsinn nach wird damit eine Völkervielfalt propagiert, die treffender als Vielfalt der Volksgemeinschaften zu bezeichnen wäre; eine Heterogenität homogener Völker, die es durch strikte Segregation zu bewahren gelte. Im Ergebnis läuft dieses Konzept auf eine kulturalistische Absonderung hinaus, die dem klassischen Rassismus nur wenig nachsteht.
Trotz ihrer antidemokratischen Agenda sind die Identitären in der parteipolitischen Landschaft keineswegs isoliert, es existieren Verbindungen zur Alternative für Deutschland (AfD). Der sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider hatte zeitweise sein Abgeordnetenbüro im Haus der Identitären. Auch am Samstag ist ein hochrangiger AfD-Politiker vor Ort, Jan Wenzel Schmidt. Er sitzt ebenfalls für die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt und ist Landesvorsitzender der Jugendorganisation „Junge Alternative“. Er sei nur zum Beobachten dort, sagt Schmidt auf Nachfrage. Wenige Augenblicke zuvor hatte er einem bekannten Hallenser Identitären die Hand geschüttelt und mit ihm eine Weile geplaudert. Da sei aber nichts dabei, findet Schmidt. Man kenne sich eben, und überhaupt, er kenne schließlich viele Leute.
Offiziell will die AfD mit den Identitären nichts zu tun haben. Es gibt einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der besagt, dass Aktivisten der Identitären der Partei nicht beitreten dürfen. In der Praxis unterhalten viele AfD-Politiker enge Kontakte zu der rechtsextremen Gruppierung. Auch Fiß, der Chef der deutschen Identitären, arbeitete für einen Bundestagsabgeordneten der AfD, und in Hessen ist ein ehemaliger Regionalleiter der Identitären als Landtagsreferent für die Partei tätig.
In ihrem Denken bezieht sich die „Identitäre Bewegung“ immer wieder auf Vertreter der so genannten „Konservativen Revolution“, eine Erfindung des Schweizer Publizisten Armin Mohler. Mohler, selbst eine wichtige Autorität in der Neuen Rechten, hatte in seiner 1949 erschienenen Dissertation versucht, „aus den unterschiedlichsten Autoren des deutschen Radikalnationalismus eine eigenständige Denkschule zu konstruieren, die er vom „Dritten Reich“ geschieden wissen wollte“, so der Historiker Volker Weiß (2). Bei der „Konservativen Revolution“ handelt es sich also keineswegs um eine einheitliche Denk- oder Theorietradition, sondern mehr um eine „selektive Kompilation“, wie Hajo Funke es nennt.
Identitären-Chef Fiß sagt am Samstag am Rande der Veranstaltung, die „Konservative Revolution“ sei neben Alain de Benoist von der französischen „Nouvelle Droite“ ein „intellektueller Baustein“ für das eigene Weltbild. Denker wie Oswald Spengler, Carl Schmitt oder Ernst Jünger haben das kulturpessimistische Freund-Feind-Denken der Identitären wesentlich mitbestimmt. Die Autoren der „Konservativen Revolution“ bilden mit ihrem Hass auf Egalitarismus, Liberalismus und Humanismus den „Hintergrundsound der Identitären“, schreibt der Journalist Andreas Speit, „sie prägen ihren Habitus als Avantgarde, ihre Positionen gegen die Moderne und ihre Rhetorik für das Eigene und gegen alles Fremde“. (3)
Die Strahlkraft der selbst ernannten Bewegung hält sich in Grenzen. Etwa 200 Sympathisanten sind es, die am Samstag nach Halle gekommen sind, vielleicht auch 250. Einige unterhalten sich auf Englisch. Es seien viele Gäste aus dem Ausland da, bestätigt ein Aktivist. Überhaupt war es zuletzt ruhig geworden um die Identitären. Die letzte aufsehenerregende Aktion der Gruppe liegt schon einige Jahre zurück. Von Halle aus wollte man ein Lebenszeichen senden, deutlich machen: wir sind noch da. Geglückt ist ihnen das nicht.
Das Logo der „Identitären Bewegung“ ist der griechische Buchstabe Lambda, eingefasst in einen Kreis. Der Buchstabe zierte die Schilde des spartanischen Heeres im Kampf gegen die Perser. Lange her ist das, aber ein historisches Vorbild, auf das man sich gerne bezieht. Okzident gegen Orient, das heißt heute vor allem: Europäer gegen muslimische Flüchtlinge. Das Lambda symbolisiert für die Identitären „den gemeinsamen Geist der Verteidigung Europas“.
Die Identitären geben sich traditionsbewusst und wollen trotzdem hip und modern wirken. Draußen vor dem Haus hängen Luftballons mit ihrem Logo, im Hinterhof des Hauses ziert es die Preisliste für den Grillstand. Es gibt sogar Bierdeckel und Sonnenstühle mit dem Symbol. Corporate Identity ist wichtig für die Identitären. Es geht um den Wiedererkennungswert, um die Inszenierung. Bei ihren Aktionen sind oft nicht mehr als eine Handvoll Aktivisten beteiligt. Die Fotos und Videos ihrer Polit-Show erreichen im Netz jedoch Zehntausende. Als ein Redner am Samstag die Anwesenden auffordert, die zuvor ausgeteilten schwarz-gelben Fahnen mit dem Lambda-Logo zu schwenken, soll das irgendwie nach einem heroischen Moment aussehen. Es sind zwar nur ein paar dutzend Aktivisten, die nichts anderes tun, als eben Fahnen zu schwenken. Die anwesenden Kameraleute stürzen sich trotzdem darauf.
Die „Identitäre Bewegung“ bemüht sich, eine Art Gegenkultur zu etablieren: Mit „Phalanx Europa“ betreiben die Identitären eine Kleidungsmarke, mit „Okzident Media“ eine Medienplattform, mit „Komplott“ oder „Varieté Identitaire“ Musikgruppen. Selbst ein eigenes Bier produzieren die Aktivisten: „Pils Identitär“. Wieso der ganze Aufwand? „Das hat auch etwas mit Metapolitik zu tun“, sagt der Gründer der Biermarke. Man wolle im „vorpolitischen Raum“ wirken.
Metapolitik, vorpolitischer Raum – mit diesen Begriffen verbinden die Identitären eine spezifische Lesart des italienischen Marxisten Antonio Gramsci. Er hatte argumentiert, dass Revolutionen nicht nur in der politischen Sphäre, sondern insbesondere im zivilgesellschaftlichen Bereich vorbereitet würden. Eben dort, wo sich der Alltagsverstand der Menschen konstituiert und Sitten, Normen und Wertvorstellungen ausgehandelt werden. „Wir agieren auf dem kulturpolitischen Feld, und wir setzen Begriffe und inhaltliche Botschaften, die den gesamtgesellschaftlichen Diskursraum umfassen“, schreiben die Identitären auf ihrer Homepage. Die Gruppe behauptet, dass es der politischen Linken infolge von 1968 gelungen sei, eine „kulturelle Hegemonie“ zu erlangen. Wenn man selbst politisch erfolgreich sein wolle, so der zentrale Gedanke, müsse man zunächst in den Bereich des Kulturellen vordringen und der Linken dort ihre hegemoniale Stellung streitig machen. Und sei es durch eine eigene Biermarke.
Harmlos sind die Identitären und ihre Ideologie deshalb aber nicht. Der Attentäter von Christchurch, der am 15.03.2019 51 Muslime in zwei Moscheen ermordete, benannte sein „Manifest“ nach einem zentralen Schlagwort der Identitären: „Der Große Austausch“. Kurz darauf wurde zudem bekannt, dass der Attentäter ein großer Bewunderer von Martin Sellner ist, dem Co-Leiter der „Identitären Bewegung“ in Österreich. Der Rechtsterrorist stand in Mailkontakt mit Sellner und hatte ihm eine Spende für sein politisches Engagement zukommen lassen. Die österreichische Polizei ermittelt deshalb gegen den Wiener Identitären, es gab eine Hausdurchsuchung. Er gilt als dringend tatverdächtig, Mitglied eines „bis dato nicht näher verifizierbaren international agierenden rechtsextremen Netzwerks zu sein“.
(1) Tobias Rapp: Der dunkle Ritter, in: Der Spiegel, Nr. 51/2016, S. 127.
(2) Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart 2017, S. 44
(3) Andreas Speit: Das Netzwerk die Identitären. Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten, Berlin 2018, S. 69