Ziemlich beste Freunde
Der Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD ist das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. Sollten die Delegierten auf dem Parteitag die Liste kippen, wäre das kein Zeichen der „Radikalisierung“, sondern eine adäquate Beschreibung der Realität. Ein Kommentar.
Wenn am Wochenende der Bundesparteitag der Alternative für Deutschland in Braunschweig stattfindet, werden die Delegierten auch über einen Antrag abstimmen, der vorsieht, eine Liste „extremistischer Organisationen“, die mit einer Mitgliedschaft in der AfD unvereinbar sind, aufzuweichen oder gar abzuschaffen. Von einer Öffnung nach Rechtsaußen ist deshalb die Rede, von einer weiteren „Radikalisierung“; manch einer meint gar, die AfD stünde nun endgültig davor, sich selbst zu „enttarnen“. „Partei-Rechte wollen neue Mitglieder mit Nähe zum Rechtsextremismus“, vermeldet etwa der Merkur mit Blick auf den anstehenden Parteitag und fragt: „Wie hält es die AfD mit Parteimitgliedern, die Rechtsextremen nahestehen?“
Was hier zur Gretchenfrage erhoben wird, ist in Wahrheit ein schlechter Scherz. Der Unvereinbarkeitsbeschluss war schon immer das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. Funktionäre der Jungen Alternative beteiligten sich wiederholt an Demonstrationen der Identitären Bewegung, ein Landtagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt trat dort sogar als Redner auf. Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Abgeordneter im Landtag von Sachsen Anhalt, unterhielt zeitweise sein Abgeordnetenbüro im Haus der Identitären in Halle. Mehrfach wurden Fälle bekannt, in denen Bundes- und Landtagsabgeordnete führende Kader der Identitären Bewegung in ihren Abgeordnetenbüros beschäftigten. Und weshalb es in Ordnung sein soll, dass die AfD-Parteispitze bei Götz Kubitschek in seiner neurechten Denkfabrik in Schnellroda auftritt, während dessen identitären Zöglingen das Parteibuch verwehrt wird, erschloss sich dem gemeinen Beobachter nicht.
Wenn die Liste fällt, wird sich die Wählerschaft unbeeindruckt zeigen. Mehr noch: Viele von ihnen, die die Aktionen der Identitären sowieso feiern, werden das nicht als Skandal, sondern als überfälligen Schritt bewerten. Angesichts der apokalyptischen Endzeitstimmung, die ihnen in ihrer Filterblase von einem Konglomerat aus AfD, russischem Staatsfernsehen und „alternativen Medien“ tagtäglich vorgebetet wird, müssen alle mit ins Boot geholt werden, die für „die Sache“ einstehen. Jede Form der „Distanzeritis“ gilt ihnen als rückgratlose Anbiederung an das Establishment.
Der brandenburgische Parteivorsitzende Andreas Kalbitz beteiligte sich an Lagern der neonazistischen Heimattreuen Deutschen Jugend und war Mitglied der rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostpreußen. Der thüringische Parteichef Björn Höcke schrieb unter Pseudonym für das Magazin des gewalttätigen Neonazikaders Thorsten Heise. Das jedenfalls vermutet der Bundesverfassungsschutz mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“. Die beiden waren jeweils die Spitzenkandidaten in Bundesländern, in denen die AfD 23,5 bzw. 23,4 Prozent der Wählerstimmen hinter sich vereinen konnte. Wieso sollte angesichts eines solchen Führungspersonals eine Handvoll Neumitglieder aus den Reihen der Identitären Bewegung dazu geeignet sein, die Partei zu „radikalisieren“?
Es gibt an der AfD nichts mehr zu enttarnen. Es ist alles, wirklich alles gesagt. Der Neuigkeitswert, dass AfD-Mitglieder Kontakte zu Rechtsextremen unterhalten, ist gleich null. All diese Verstrickungen sind bekannt, seit langem. Wer es wissen will, kann es wissen. Und wer es nicht wissen will, wird sich auch von einer möglichen Abschaffung der Unvereinbarkeitsliste unbeeindruckt zeigen. Wir müssen aufhören, den Wählerinnen und Wählern der AfD ihre Mündigkeit abzusprechen, sie als verirrte Opfer zu verklären. Die AfD wird nicht gewählt obwohl, sondern weil sich dort Rechtsextreme tummeln. Das ist eine bittere Erkenntnis. Aber sie wird sich durchsetzen müssen, wenn Analysen vorgelegt und Strategien entwickelt werden sollen, die der antiliberalen Revolte Einhalt gebieten können.