Neue Rechte: Identitäre Affektpolitik in Zeiten der Pandemie
Der Blick in neurechte Publikationen zeigt, wie mühelos das Virus in fertige Argumentationsmuster eingepasst wird.
Häme scheint die grundlegende Haltung zu sein, die derzeit Stellungnahmen einer intellektuellen Neuen Rechten zur Corona-Situation bestimmt. Es ist die triumphale Häme derjenigen, die es schon immer und vor allem schon immer besser gewusst haben und ihren Moment der Schadenfreude genüsslich auskosten. Besonders deutlich wird dies in verschiedenen Beiträgen des Blogs sezession.de, der das gedruckte gleichnamige Heft um aktuelle Kommentare und Essays ergänzt. Die Sezession gilt als das anspruchsvolle und gebildete neurechte Meinungsorgan. Sie wird vom Institut für Staatspolitik herausgegeben, einer pluralismuskritischen Denkfabrik, die der Verfassungsschutz mittlerweile als rechtsextremen Verdachtsfall einschätzt. Chefredakteur ist Götz Kubitschek, der durch seine Stellungnahmen in den Debatten um Uwe Tellkamp oder Björn Höcke öffentlich aufgefallen ist und als Leiter des Antaios-Verlags ein mindestens latent völkisches Programm verantwortet.
So reizt eine Broschüre, die Kindern das Virus und die entsprechenden Schutzmaßnahmen nahebringen soll, Till Lucas-Wessels auf sezession.de zum „Schmunzeln“. Das kinderbuchartige Bild zeigt die Gesichter eines weißen Mädchens neben einem schwarzen Jungen. Das Kinderpaar ist mit einem großen Kreuz durchgestrichen, und in der Bildunterschrift liest man „Kontaktverbot“. Der begleitende Bericht gibt Auskunft darüber, dass das Bild „natürlich nicht so blendend“ ankam. Bei wem, erfährt man nicht. Aber es wird einer sich als bunt und pluralistisch verstehenden Gesellschaft unterstellt, sich über ein solches Bild zu ärgern. Genau darauf zielt der Verfasser des Berichts ab: auf die Bloßstellung einer Gesellschaft, die an ihren eigenen Normen scheitert. Das Kinderbild wird zum Symbol fehlgegangener kommunikativer und damit gesellschaftlicher Integration stilisiert. Die Freude des Verfassers resultiert aus den suggerierten Reaktionen auf das Bild von denen, die gern in einer bunten Gesellschaft leben – und nun Kontaktbeschränkungen auch zwischen Menschen verschiedener Hautfarben hinnehmen müssen. Dass zudem das Bild ein Kontaktverbot zwischen weiß und schwarz, zwischen Eigenem und Fremdem zu suggerieren scheint, vergrößert die Schadenfreude des Autors umso mehr, weil das vorgeblich peinliche Bild, gemalt von einer „quotengesteuerten Broschüren-Erstellerin“, in letzter Konsequenz das bunte Selbstbild zu bezweifeln, jedoch ein nationalistisches und rassistisches Wunschbild der deutschen Gesellschaft zu bestätigen scheint. Aber warum sollte es nicht alltäglich sein, dass ein weißes und ein schwarzes Kind sich gegenseitig infizieren können? Es ist eine triviale Feststellung, dass in einer Gesellschaft, in der Menschen verschiedener Hautfarben zusammenleben, sich diese untereinander anstecken können. Dies zeichnet Zusammenleben aus. Doch eine solche „multiethnische Realität“ ist durch die Pandemiegefahr besonders gefährdet, wie der Text raunend weiß. Eine Erklärung für diese Annahme bleibt aus.
Allerdings nicht bei anderen Autoren der Sezession, die in Zeiten von Corona die bunte Gesellschaft vor dem Kollaps sehen oder diesen doch herbeiwünschen. Zwei verschiedene Argumentationsstränge lassen sich ausmachen, die beide das endgültige Scheitern der multikulturellen Bundesrepublik prognostizieren. Dabei wird das Virus flink und mühelos in längst bestehende Denkmuster eingebaut, das gegenwärtige Krisenszenario wird gar für das eigene politische Programm vereinnahmt. Neurechte Stellungnahmen zur Pandemie und den Abwehrmaßnahmen liefern damit keine neuartige Gesellschaftsanalyse, sondern schmecken das Aufgewärmte nur etwas mit Corona ab.
Der eine Argumentationsstrang zielt darauf ab, die Lebenslügen einer Republik zu decouvrieren, die sich als heterogen und demokratisch ausgibt. Es sind vor allem die Blogbeiträge Heino Bosselmanns, die sich daran versuchen. Er schließt das Virus mit der Multikulturalität kurz, um letztlich Kritik an vermeintlich eingeschränkter Meinungsfreiheit und Migration zu üben. Die Buntheit Deutschlands als Folge von Zuzug und Integration anderer Kulturen sieht er als eine Ursache für das Scheitern der deutschen Demokratie, weil man in Deutschland die eigene Identität aufgegeben habe, weshalb eine echte Integration des Fremden nicht gelingen könne, wie er unter dem Datum des 7. April konstatiert. Bosselmann will wohl eher auf Assimilation hinaus, die das Fremde dem Eigenen weitgehend identisch machen soll. Doch der in Deutschland vorherrschende Verzicht auf das „Identitäre“ vernichte die Demokratie, weil die Fremden sich nicht den Werten der deutschen Aufklärung verpflichtet fühlten und der deutsche Staat selbst diese Werte geringschätze, indem sie nicht eingefordert würden. Als Beleg für seine These dient Bosselmann die Missachtung, die den Meinungsäußerungen der einzig wahren Opposition in Deutschland: dem Zirkel neurechter Politiker und Intellektueller entgegenschlage. Ihre Positionen zu den Corona-Schutzmaßnahmen werden von der Bundes- und den Landesregierungen systematisch überhört, ein wahrhaft demokratischer Meinungsbildungsprozess bleibe aus. Aufschlussreich an derlei bekannten Vorbehalten gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft ist, dass Bosselmann die deutsche Identität, die es zu beschützen gilt, mit der Aufklärung kurzschließt. Den Widerspruch zu seinen eigenen Argumentationsformen nimmt er dabei stillschweigend in Kauf.
Am 23. April führt er seine Beobachtungen weiter aus und verschärft seine Diagnose, indem er die Bundesrepublik als Diktatur darstellt. Im Zusammenhang mit der Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz spricht er von einem „Ukas“ und vergleicht damit, seiner Vorliebe für historische Tiefenanalysen gemäß, die deutsche Exekutive mit den autoritären Zaren vergangener Jahrhunderte. Die Relativierung der eigenen Identität und Kultur habe die Demokratie in Deutschland allmählich ausgehöhlt, und ihr endgültiger Zusammenbruch werde unter den Bedingungen der Virusabwehr offensichtlich. Der Mundschutz wird zum Symbol des „Maulkorbes“, der den Bürgern verpasst werde. Diese müssten darüber hinaus unter den in Kraft getretenen „Notstandsgesetzen“ auf ihre individuellen Freiheitsrechte weitgehend verzichten. Etwaiger Protest gegen die illegitimen Einschränkungen werde nicht zugelassen, zumal sich auch die deutschen Parlamente bereits selbst entmachtet hätten.
Wenn Bosselmann auf dem Höhepunkt seines Gedankengangs den Mundschutz als „Mini-Niqab“ bezeichnet, hat er seinen Zusammenhang von Migration und Gegenaufklärung, Virus und Demokratieverlust hergestellt. Im Raum steht damit das neurechte Schreckgespenst des „Bevölkerungsaustauschs“, der von der Bundesregierung und links-liberalen Eliten in Gang gesetzt sei als Implementierung einer muslimischen autoritären Kultur, die in der Sezession zu den vielfältigen Gefahren der Multikulturalität gezählt wird. Dass sich zudem die Mehrheit der Deutschen bereitwillig dem Zwang zum Mundschutz unterwerfe, beweist für Bosselmann vollends, wie wenig bunt und pluralistisch Deutschland wirklich ist. Das stets beschworene Leitbild heterogener, individueller Vielfalt sei nur Trug, wo in Wahrheit eine homogene Masse des „Untertanengeistes“ sich ohne Weiteres beherrschen lasse.
Damit korrespondiert seine Überzeugung, dass Deutschland auch keine Demokratie mehr sei, weil einzig die Meinung einer politisch korrekten Klasse noch zähle. Im Kern wiederholt Bosselmann damit ein Argumentationsmuster, das schon vor mehr als 25 Jahren zum Rechtfertigungsbestand der Neuen Rechten zählte: Die Klage um die vermeintlich eingeschränkte Meinungsvielfalt, die ein spezifisch „rechtes“ Denken systematisch ausschließe und damit den pluralistischen Anforderungen an eine Demokratie nicht länger genüge, stimmte Karlheinz Weißmann als neurechter Vordenker bereits in der FAZ vom 22. April 1994 an. Bosselmanns Texte sind zudem affektiv stark aufgeladen, sie wüten gegen eine Gesellschaft, die sich seinem Wunschbild verweigert, und steigern sich in eine Haltung lauter Rechthaberei. Die von ihm beschworene Aufklärung setzte auf das vernünftige Argument, das bei Bosselmann indes durch den zornigen Kurzschluss ersetzt ist. Bosselmann macht keinen überzeugenden Vorschlag zur Coronakrise, weil für ihn die Krise nicht in einem Virus besteht, sondern in der systematischen Ausblendung derjenigen Stimmen, die das Virus leugnen. Dabei unterstellt er, auf einer eher suggestiven argumentativen Basis, dass das Virus die Krise der deutschen Demokratie aufdecke, weil in den Maßgaben und Verordnungen zum Pandemieschutz die hässliche Fratze der Diktatur aufblitze. Aus der gegenwärtigen Situation zu ziehende Konsequenzen werden allenfalls indirekt formuliert: als erträumte Rückkehr in ein homogenes Deutschland, in dem die Debattenbeiträge Bosselmanns und seiner Mitstreiter gehört und befolgt werden.
Der andere Argumentationstrang ist zwar ebenso hämisch, aber im Ton verschieden. Weitaus abgekühlter lesen sich die Beiträge von Martin Sellner, dem „Kopf“ der „Identitären“, einer ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachteten, europaweiten Jugendbewegung. In scheinbar nüchternem Ton versucht auch er sich in einer Zeitdiagnose, verknüpft diese aber mit einem erwünschten Zukunftsszenario, womit sie einen aktivierenden Charakter erhält. Sellner entwickelt in einem Aufsatz über die sogenannte „Remigration“ die typischen Positionen der neurechten Multikulturalismuskritik. Schon die verharmlosende Verschleierung der eigentlich gemeinten Ausweisung des Fremden spricht Bände. Doch der akademisch klingende Begriff ist bezeichnend für Sellners rhetorische Strategie, sich einen intellektuellen, gar wissenschaftlichen Anstrich zu geben, der sprachlich die vernünftige Unabweisbarkeit seiner Thesen beglaubigen soll. Entsprechend besticht sein Text, zumal im Vergleich mit Bosselmann, durch formale Klarheit und Stringenz. So wirft er, konsequent einem rassistischen Weltbild folgend, die Frage auf, ob die derzeitige Krisenerfahrung die Bereitschaft zur Remigration fördere – wohlgemerkt nicht die Bereitschaft der „Migranten“, wieder zu gehen, sondern die der deutschen Gesellschaft, die Fremden zum Gehen zu zwingen. Ohne affektive Enthemmung ruft Sellner in seiner Antwort dann alle wesentlichen Auffassungen des neurechten Denkens auf. Er kommt dabei zu der Diagnose, dass die Quarantänemaßnahmen und die sich anschließende Wirtschaftskrise sich zum „Streßtest“ für die kulturelle Vielfalt auswirken werden.
Denn die Pandemieangst gefährde den sozialen Zusammenhalt in Deutschland, wobei es vor allem muslimische Bürger seien, die den solidarischen Zusammenschluss aufkündigten. Nüchtern zählt Sellner seine Gründe dafür auf. Weil sie nur wenig Deutsch sprächen, könnten sie sich nicht über deutsche Nachrichtenkanäle mit den notwendigen Schutzmaßnahmen vertraut machen. Weil der Lockdown das „soziale Leben in Clans“, erst recht im Ramadan, verbiete, würden Muslime angeblich in großer Zahl und auffälliger Weise gegen die Quarantänemaßnahmen verstoßen. Dies beweise wiederum die mangelnde Bereitschaft, sich selbst in Zeiten der Not mit Deutschland zu identifizieren und Opfer zu bringen für eine Gemeinschaft, der sich Muslime nicht zugehörig fühlten und zu der sie aus seiner Sicht auch nicht passen.
Er verbindet damit die Hoffnung auf einen „Bewußtseinswandel“ der deutschen Gesellschaft. Ausgelöst durch das unterstellte permanente Fehlverhalten von Menschen muslimischen Glaubens solle die Erkenntnis der „Einheimischen“ reifen, dass die Fremden nicht zu Deutschland gehören und das bunte Projekt multikultureller Vielfalt gescheitert sei. Sellner greift mit dieser Argumentation auf das völkische Konzept des Ethnopluralismus zurück, das neurechtes Denken bestimmt. In Abgrenzung von „alten“, nationalsozialistischen Vorstellungswelten wird nicht mehr primär Rasse, sondern Kultur oder Religion als prägendes Unterscheidungsmerkmal für vermeintliche Gruppenexistenzen herangezogen. Das kulturell Eigene soll dann von fremden und unvereinbaren Elementen rein bleiben. Demzufolge weist das politische Programm jedem Volk einen eigenen Raum zu – um die Gefahr der kulturellen Durchmischung und Wandlung abzuwenden. „Remigration“ als gesellschaftspolitische Reaktion auf Corona, wie Sellner erwartungsvoll prognostiziert, ist keine neue oder überraschende Antwort aus dem neurechten Lager. Sie hat mit dem Virus nur insofern zu tun, als sie jetzt einfach mal wieder formuliert werden kann. Weitere Blicke in die Sezession bestätigen, wie wenig die einschlägigen Beiträge zu einer tatsächlich virusbezogenen Gegenwartsanalyse beitragen. Warum also dann solche Texte schreiben?
In Krisenzeiten brauchen die Rechten, wie alle anderen auch, einander. Bosselmann, Sellner und andere Autoren der Sezession schreiben zunächst einmal, um sich als eigene Gruppe zu stärken. Konfrontiert mit dem herausfordernden Krisengeschehen bieten sie Orientierung und den gemeinsamen Austausch, um das verunsichernde Unbestimmte der Pandemie in eine selbstgewisse Bestimmtheit zu überführen: emotional, weltanschaulich und politisch. Und so freut man sich gemeinsam darüber, was man schon lange wusste: Die liberale, multikulturelle Gesellschaft ist zum Scheitern verurteilt, und dank Corona bekommt der Zerfall endlich einen ordentlichen Schub. Der Verleger Götz Kubitschek verrät schließlich, wie umfassend diese Häme die neurechte Schule offenbar ergreift. In einem eigenen Beitrag lässt er sich genüsslich über den in finanzielle Not geratenen Kunst- und Kulturbetrieb aus und labt sich an den Spendenaufrufen seiner Gegenspieler. Krisengebeutelt müssten sie um Solidarität ihrer Mitbürger werben, während sein Geschäft doch wie von jeher subventionsfrei floriere.
Die tonangebende Schadenfreude bedeutet nicht, dass Beiträge der Sezession nicht auch die wie andernorts verhandelte Angst vor der Pandemie bzw. vor Tod und Not anerkennen und thematisieren. Doch ist die Angst bei diesen Autoren unterschiedlich besetzt. Bosselmann verspottet sie als Emotion einer unterwürfigen, gleichförmigen Masse. Sellner hingegen veredelt die Angst zu einer rationalen Besonnenheit, um sie als wahrlich deutsche Bürgertugend zum Unterscheidungsmerkmal von „den Migranten“ zu stilisieren.
Derartige Widersprüche – zumal über das Eigene – sind zwar eklatant, zerstreuen sich aber, blickt man auf die Tiefenstruktur, der die Auseinandersetzungen über das Virus folgen. Sie ordnet ein Gefühlsarrangement, das schon lange besteht und gefestigt ist: Es ist ein tiefsitzendes Ressentiment gegenüber der politischen und kulturellen Elite sowie gegenüber allem, was fremd erscheint. Und es ist dieses Ressentiment, das die Texte wechselseitig bestätigen und das auf diese Weise die neurechte Gruppenidentität während der Corona-Angst stabilisiert. Das Ressentiment schlägt in triumphale Schadenfreude um, wenn sich die angefeindete tolerante Gesellschaft angesichts interkultureller Herausforderungen selbst zu zerlegen scheint. Als Beispiel dafür mag Sellners vorgebliche Kenntnis einer „geheimen Weisung“ des französischen Verteidigungsministers dienen, der befohlen haben soll, das Versammlungsverbot gegenüber Muslimen während des Ramadans nicht durchzusetzen, „um keine Aufstände zu provozieren“. Die Angst vor dem Virus wird umgelenkt in die gerechte Empörung, dass ein Teil der Gesellschaft Sonderrechte vor den anderen genieße. Dabei spielt es keine Rolle, ob es die Anweisung je gegeben hat oder wie Sellner überhaupt Kenntnis von dieser „geheimen“ Anweisung erlangt haben will. Entscheidend ist die weitere starke Vergemeinschaftungsleistung dieser Aussage: Man findet zusammen in der Wut auf die Regierung, die eine kulturelle Minderheit zu bevorzugen scheint, und genießt den Status als Mitglied einer Gruppe von Eingeweihten, die die tatsächlichen Hintergründe durchschaut. Von hier ist es zur Verschwörungstheorie nicht mehr weit.
Und nicht zuletzt dienen die Texte zur weiteren Mobilisierung der Erregungsgemeinschaft. Der akademische Ton Sellners und die teils schrille Empörung Bosselmanns teilen ein gemeinsames Ziel: die Corona-Angst für ein fremdenfeindliches Weltbild zu vereinnahmen. Wenn Sellner seine Thesen und Argumente, aller pseudoakademischen Rhetorik entkleidet, im schlicht auf krude Behauptungen setzenden und ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachteten Magazin Compact wiederholt, verdeutlicht er selbst, was seine Texte eigentlich sind: aggressive Einlassungen voller Hetze, die sich die Pandemie zunutze machen wollen für ihre antidemokratischen, rassistischen Zwecke.