Falsche Feinde – Islamisten und Neue Rechte folgen denselben Vordenkern
Die Neue Rechte behauptet, westliche Werte gegen den politischen Islam verteidigen zu wollen. Dabei beziehen sich beide Bewegungen auf dieselben Vordenker.
„Das Politische am Islam ist die Scharia. Das ist ein Gesetzeswerk, das über Staatsaufbau, Frauenrechte, demokratische Gesellschaft bestimmt und befindet und das ist rundheraus mit unserem Wertesystem nicht vereinbar.“
Wann immer Alexander Gauland so etwas konstatiert, zitiert er gern auch einen prominenten Zeugen: Den iranischen Revolutionsführer Khomeini. Hat der den Kurs nicht selbst festgelegt mit seinem Diktum: „Der Islam ist entweder politisch oder er ist nicht“? Im Gespräch zeichnet der AfD-Grande ein düsteres Bild von einer Religion, die expandiere. Von einem Land, das sich vorauseilend unterwerfe, sich selbst aufgebe. Dessen maßgebliche Repräsentanten, noch immer unter dem Schock von Auschwitz, sich nicht trauten, ihre ureigensten Interessen zu schützen. Das nutzten die Muslime aus, versuchten eine Übernahme. Islamisten wie Erdogan verheimlichten es nicht einmal mehr, dass sie mithilfe der Demokratie den Westen unterwandern wollen. Geht es darum, die Ursache für den Aufschwung des Islam zu ergründen, folgt Gauland den Thesen eines seiner Lieblingsschriftsteller: Ernst Jünger – mit dem er selbst des Öfteren gesprochen habe. Jünger, so unterstreicht er, beschreibe richtig den Abstieg, der einer Gesellschaft blühe, in der es keine gelebte Spiritualität mehr gibt.
Kronzeugen des Westens
Ob Denker wie der deutsche Autor und Frontkämpfer Jünger, der Philosoph Martin Heidegger oder der Staatsrechtler Carl Schmitt: konservative Autoren der 1920er und 1930ere Jahren stehen bei der Neuen Rechten wieder hoch in Kurs. Nicht nur in Deutschland. Auf einem Bildungskonvent vor der letzten französischen Präsidentschaftswahl warnten Pädagogen um die rechtsnationale Kandidatin Marine Le Pen vor einer „Islamisierung“ von Schulen und Universitäten. Um Frankreichs Überleben willen, priesen sie als Gegenmittel das Konzept des Elitismus an, der Heranbildung einer Meritokratie – orientiert an den Ideen Alexis Carrels, eines 1944 gestorbenen französischen Mediziner, Populärwissenschaftlers und Vichy-Kollaborateurs. Was Alexander Gauland, Marine Le Pen und ihren politischen Freunden anscheinend nicht auffällt: Die Denker, die ihnen und anderen als die Verteidiger westlicher Werte gelten, haben westliche Werte stets bekämpft.
Ernst Jünger sah in der Französischen Revolution, dem Verlust des Gottesgnadentums, die Ursünde der Neuzeit. Und ein Blick in Alexis Carrels Bestseller ‚Der Mensch, das unbekannte Wesen‘ offenbart dessen Klage über den Säkularismus. Frauen wollten, entgegen den Naturgesetzen, die Männer imitieren, statt Kinder zu erziehen. Die Jugend verweichliche indessen durch Demokratie und Liberalismus und zu viel Weißbrot. Bald werde sie in ihrer Dekadenz aktiveren, härteren Völkern hilflos ausgeliefert sein. Zur Rettung empfiehlt er: Kampf- und todesbereite junge Europäer sollten sich in kleinen Zellen von der dekadent gewordenen Gesellschaft isolieren und sie im nächsten Schritt, wenn nötig, durch Gewalt und Terror auf den rechten Weg zurückzwingen.
Kronzeugen des Ostens
Dass das mit westlichen Werten nichts zu tun hat, ist anderen ganz deutlich aufgefallen. Jenen nämlich, die die Neuen Rechten zu ihren schlimmsten Feinden zählen: Den Vordenkern des politischen Islam. Zum Beispiel Sayyid Qutb, Beamter im ägyptischen Bildungsministerium, Muslimbruder und Journalist. 1962 veröffentlicht er sein Buch „Der Islam und die Probleme der modernen Zivilisation“. Darin ruft er den Dschihad gegen all jene arabischen Regierungen aus, die das Gottesgnadentum aufgeben – Qutb spricht von der Souveränität Gottes – und sich der unheiligen „Volksherrschaft“ unterwerfen. Zwar bezieht er sich dabei auf den Koran und andere islamische Quellen. Vor allem ist sein Buch aber gespickt mit Zitaten Alexis Carrels – für ihn ein Kronzeuge östlicher Werte. Die Zivilisationskritik des Mediziners belegt in seinen Augen, dass selbst gefeierte Naturwissenschaftler des Westens ihre Gesellschaften auf dem Weg zum Abgrund sehen. Frei nach Carrel ruft der Muslimbruder die Gläubigen auf, kleine, weltabgeschiedene Zellen zu bilden, die die ungläubig gewordene Gesellschaft auf den rechten Pfad zurückbringt. Dafür lässt das Nasser-Régime ihn 1968 hinrichten.
Qutbs Bruder Mohammed lehrt die Thesen seines hingerichteten Bruders in den 1970er Jahren an der Universität von Dschidda weiter – wo einer seiner Studenten namens Osama Bin Laden die Idee der kleinen, kampfbereiten Terrorzellen vernimmt. Alexis Carrel wird auch für Ali Schariati zum Idol. Der Iraner, der in Paris studiert hat, entwickelt sich zwischen 1960 und 1970 zum Theoretiker der islamischen Revolution. In seinen Veröffentlichungen greift Schariati die Idee vom Kampf gegen den Säkularismus auf und verquickt sie mit dem Märtyrerkult der schiitischen Theologie.
Das islamische 1968: Heidegger-Hype in Teheran
Das, was Carrel und andere westliche Antiwestler als Schreckgespenst an die Wand malen – die Selbstvernichtung des Abendlandes – ist 1968 für viele iranische Intellektuelle schon längst geschehen: Der Orient hat sich abgeschafft. Die Geistlichen: ignoriert, bespöttelt, an den Rand gedrückt. Westliche Moden sind allgegenwärtig. Kinos, Radio und kurze Röcke. Technik und Materialismus ersetzen Glauben und angestammte Werte.
Doch Hoffnung naht: „Ich sehe (...) im Wesen der Technik den ersten Vorschein eines sehr viel tieferen Geschehnisses, das ich ‚das Ereignis‘ nenne“, hört der iranische Philosoph Ahmad Fardid bei Martin Heidegger und ist fasziniert. Das Ereignis, also die Besinnung einer Gesellschaft auf sich selbst und ihre angestammten kulturellen Wurzeln, trägt für Fardid und viele andere bald einen Namen: Ruhollah Khomeini. Fardid gehört zu den Begründern der iranischen Heidegger-Schule. Am Vorabend der iranischen Revolution bricht unter den Geisteswissenschaftlern ein regelrechter Hype um den Philosophen aus. Wer Heidegger ablehnt, wird 1968 in Teheran oft niedergebrüllt. Die „Mao-Bibel“ der islamischen Revolution hat da bereits der Journalist Al-e-Ahmed unter dem Namen ‚Verwestgiftung‘ geschrieben. Entstanden ist das Werk, wie Ahmed selbst berichtet, durch die Beschäftigung mit Ernst Jünger, genauer: mit dessen Demokratie‑, Liberalismus- und Technik-Kritik. Der deutsche Traditionalist begeistert Al-e-Ahmed derart, dass er ihn mithilfe eines befreundeten Germanisten ins Persische übersetzt. Unter Khomeinis Gefolgsleuten wird ‚Verwestgiftung‘ zur Pflichtlektüre.
Der Scharia-Islam sei nicht mit unserem Wertesystem vereinbar, sagt Alexander Gauland und bezieht sich dabei auf Khomeini. Der Ayatollah hätte sicher zugestimmt. Und womöglich sogar Gaulands Lieblingsautor zitiert, etwa Ernst Jüngers Klagen über den westlichen Atheismus, den Säkularismus, die Französische Revolution.
Was aber würde Jünger selbst dazu sagen? Vielleicht wiederholen, was er schon gesagt hat:
„In einem atheistischen Staatswesen gibt es nur eine Sorte von Eiden, die gültig sind, das sind die Meineide. Alles andere ist Sakrileg. Dem Türken dagegen kann man schwören und mit ihm Eide wechseln; das ist Tausch ohne Betrug.“
Für eine Vertiefung mit dem Thema empfehlen wir ein einstündiges Radio-Feature des Autors, das unter dem Titel „Rechtspop und Dschihad – Die gemeinsamen Quellen von Islamhassern und Islamisten“ beim WDR gesendet wurde.