Feindbild „Gender“ – Angriff auf die Vielfalt
Das Feindbild „Gender“ verbindet neurechte und rechtsextreme mit bürgerlichen Akteur*innen. Dabei wird der Begriff verschwörungstheoretisch zur Ideologie erhoben und als Chiffre für liberale Geschlechterpolitiken zurückgewiesen.
Die Infragestellung und Liberalisierung einst strenger Geschlechternormen diente antiliberalen Akteuren seit jeher für Polemiken gegen eine angeblich widernatürliche Ordnung der Geschlechter (siehe etwa Planert 1998; Dohm 1902). Die Agitation der vergangenen zwei Jahrzehnte ist geprägt von Angriffen gegen „Gender“ und erfand den Begriff des „Genderismus“. Anfeindungen kommen aus unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Richtungen – das Thema eint Konservative, religiöse Fundamentalist*innen, Neue Rechte und Rechtsextreme –, ähneln sich dabei jedoch in Argumentation und rhetorischen Figuren. Insbesondere der zum Feindbild erklärte Begriff „Gender“ erfuhr eine ungeheure Prominenz in den Debatten – als Containerbegriff für die Ablehnung gesellschaftlicher Liberalisierungen der vergangenen fünf Jahrzehnte.
„Die Gender-Ideologie und die damit verbundene Frühsexualisierung, staatliche Ausgaben für pseudowissenschaftliche ‚Gender-Studies‘, Quotenregelungen und eine Verunstaltung der deutschen Sprache sind zu stoppen.“ (AfD-Grundsatzprogramm, Juni 2016)
Dabei steht der Begriff „Gender“ in den Sozialwissenschaften zunächst lediglich für die Vorstellung der sozialen Gewordenheit von Geschlecht. Geschlecht ist damit nichts „naturhaft“ gegebenes, sondern wird machtvoll und im jeweiligen sozialen und historischen Kontext immer wieder auf ein Neues hergestellt.
„Gender“ als Chiffre entspringt jedoch nicht etwa der neurechten Theorieproduktion. Erste feindbildgesonnene Debattenbeiträge kamen aus Richtung der katholischen Kirche, die sich an der Verabschiedung von Gender Mainstreaming zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter auf der Pekinger Weltfrauenkonferenz 1995 sowie im Rahmen des Amsterdamer Vertrags störte. So heißt es in einem Schreiben des Papstes an die Bischöfe:
„Diese Anthropologie, die Perspektiven für eine Gleichberechtigung der Frau fördern und sie von jedem biologischen Determinismus befreien wollte, inspiriert in Wirklichkeit Ideologien, die zum Beispiel die Infragestellung der Familie, zu der naturgemäß Eltern, also Vater und Mutter, gehören, die Gleichstellung der Homosexualität mit der Heterosexualität sowie ein neues Modell polymorpher Sexualität fördern.“ (Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt, Mai 2004)
„Gender“ wird unterstellt, die ‚natürliche‘, hier gottesgewollte Ordnung der Geschlechter zu zerstören, Unfrieden zwischen den Geschlechtern zu stiften und Sexualnormen zu verletzen. Die Vertreter der katholischen Kirche trafen und treffen sich mit ihrer Argumentation mit Kritiker*innen unterschiedlicher politischer Provenienz (vertiefend hierzu: Frey et al 2014). Der Konservative Volker Zastrow etwa verfasste im Juni 2006 einen diskursprägenden Beitrag in der FAZ. Unter dem Titel „Gender Mainstreaming. Die politische Geschlechtsumwandlung“ nahm er vieles von dem vorweg, was in den folgenden Jahren „Gender“ zur Last gelegt wurde: Intransparent, durch die Hintertür, solle versucht werden, Geschlechteridentitäten aufzulösen und Menschen machtvoll in ‚widernatürliche‘ Rollen zu erziehen. Später waren es insbesondere katholische Fundamentalist*innen wie Gabriele Kuby und Inge Thürkauf, die den Begriff des „Genderismus“ prägten. Er soll die Omnipotenz und vor allem die planvolle Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche durch eine angebliche „Gender-Ideologie“ beschreiben.
Die Gegner*innen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt verbinden Gender gleich mit dem Schreckgespenst der Auflösung ganzer Gesellschaftsordnungen: „Die Gender-Ideologie (...) zerstört das Wertefundament unserer Gesellschaft. (...) dann ist der Kulturverfall unausweichlich“, heißt es bei einem Bündnis „Besorgter Eltern“ aus Köln, die damit gegen staatliche Bildungs- und Gleichstellungspolitiken demonstrieren. Es sind Anlässe rund um die Sichtbarkeit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und Selbstbestimmung, die den Gegner*innen progressiver Geschlechterpolitiken in den vergangenen Jahren zur Mobilisierung dienten: die Verankerung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in den Bildungsplänen der Länder, die Verabschiedung der Ehe für alle, die Liberalisierung der Paragraphen 218 und 219a (Schwangerschaftsabbruch). Nicht immer wird die Ablehnung offen kommuniziert. So wird beispielsweise die Verteidigung der heterosexuellen Familie betont, statt lautstark andere Lebensformen abzulehnen. (vgl. Notz 2015) Ihnen gelingen kleinere Achtungserfolge, etwa wenn Gesetzesvorhaben verzögert werden oder ein Ministerium eine Broschüre vom Markt nimmt, nachdem prominente Vielfaltsgegner*innen der Publikation die „Frühsexualisierung“ von Kindern vorgeworfen hatten (vgl. Lang 2019).
Über politische Lager hinweg wird hier ein Diskurs über die Ordnung der Geschlechter, die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sowie nicht-normative Lebensweisen geteilt und gespeist. Den Vertreter*innen der Neuen Rechten dient der Anti-„Genderismus“ indessen dazu, sich als Teil eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses zu wähnen. Eine Selbstinszenierung, die die Anschlussfähigkeit rechter Diskurse und Politiken an eine bürgerliche Mitte vorantreiben soll.
Literatur:
Dohm, Hedwig (1902): Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung. Berlin.
Frey, Regina/ Gärtner, Marc/ Köhnen, Manfred/ Scheele, Sebastian (2014): Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie. Argumente im Streit um Geschlechterverhältnisse, Heinrich-Böll-Stiftung, Schriften des Gunda-Werner-Instituts, Berlin. https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/gender_wissenschaftlichkeit_und_ideo logie_2aufl.pdf (Abruf: 12.9.2019).
Lang, Juliane (2019): Geschlecht als Kampfarena. Beitrag im Rahmen des „weiterdenken“-Dossiers „Politik im autoritären Sog“. URL: https://www.gwi-boell.de/de/2019/07/03/geschlecht-als-kampfarena (Abruf: 12.9.2019).
Notz, Gisela (2015): Kritik des Familismus. Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes. Stuttgart: Schmetterling Verlag.
Planert, Ute (1998): Antifeminismus im Kaiserreich. Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität. Göttingen.