Nicht in Christi Namen: Christlicher Glaube und Neue Rechte
Die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung nimmt sich der Instrumentalisierung des Christentums durch Neurechte an und hat dazu den Sammelband namens „Das Kreuz mit der Neuen Rechten?“ herausgegeben. Dieser Aufschlag ist gelungen, meint Rezensentin Liane Bednarz.
Während die allgemeine Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus und der Neuen Rechten in den letzten Jahren viele fundierte Ausarbeitungen hervorgebracht hat, blieb ein Aspekt lange Zeit unterbeleuchtet. Gemeint ist die strategische Inanspruchnahme des Christentums durch rechtspopulistische und neurechte Bewegungen und Vordenker. Das hat sich inzwischen geändert. Sowohl die beiden Großkirchen als auch zahlreiche protestantische Freikirchen haben erkannt, dass Rechtspopulisten und Neurechte sich zunehmend christlicher Begriffe und (vermeintlich) christlicher Themen bedienen. Eine solche religiöse Einkleidung ihrer Vorstellungen erleichtert es ihnen, in jenen christlich-konservativen Milieus anschlussfähig zu werden, in denen Unklarheiten darüber bestehen, wo die Grenze zwischen einem bundesrepublikanischen Konservatismus im Sinne der konservativen Flügel beider Unionsparteien einerseits und neurechten Ideenwelten andererseits verläuft.
Durch die christliche Aufladung erscheinen neurechte Vorstellungen oft weitaus harmloser als sie es tatsächlich sind. Umso dringlicher ist es, genau hinzuschauen und aufzuzeigen, wie defizitär diese strategische Inanspruchnahme der durch Jesu Christi gestifteten Religion ist. Dabei fällt, gewissermaßen leitmotivisch, etwas auf, was Johann Hinrich Claussen, der Kulturbeauftragte der EKD, gerade erst gegenüber dem „Deutschlandfunk“ auf den Punkt brachte:
Interessant finde ich dann aber doch, dass das Theologische, oder das Religiöse ganz oft dem Nationalen untergeordnet ist. Wenn man genauer guckt, was meint ihr denn in eurer Beschwörung des guten alten Christentums, oder des christlichen Abendlandes, dann ist es weniger eine Frömmigkeit, die sich mir zeigt, aber ganz oft eine sakrale Aufladung des Nationalismus.
Die Abgrenzung konservativer von neurechten Ideen ist zentral
Gerade weil die Berufung auf das Christentum Rechtspopulisten und Neurechten die Türen hinein in christlich-konservative, bürgerliche Zirkel öffnet, ist es von eminenter Bedeutung, dass sich die in diesem Milieu angestammten Organisationen mit der politischen Vereinnahmung des Glaubens auseinandersetzen. Denn ihre warnende Stimme wird in den gefährdeten Milieus weitaus stärker gehört und ernstgenommen als Analysen aus dem linken oder linksliberalen Lager.
Vorbildlich, ja so kann man es wirklich sagen, agiert insoweit die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung. Bereits vor zwei Jahren hat sie die Brisanz des Themas erkannt und in ihrer Reihe „Argumentation kompakt – Ein Service der Hanns-Seidel-Stiftung für politische Entscheidungsträger“ ein Papier mit dem Titel „Religion und Rechtspopulisten“ publiziert, das von den drei Autoren Oliver Hidalgo, Philipp W. Hildmann und Alexander Yendell verfasst wurde. Darin heben die Autoren hervor, dass das „Thema Religion eine Schlüsselrolle“ in „der politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus“ spiele und kommen zu einem klaren Fazit:
Kulturchristentum, Heimatglaube, Feindbild Islam − die diffuse Inanspruchnahme der christlichen Religion durch Rechtspopulisten nimmt diverse Gestalten an, läuft aber stets auf ein Ziel hinaus: Das ‚Abendland‘ gegen ‘Fremdgläubige‘ zu verteidigen und eine ausgrenzende, religiös-nationalistische Identität zu schaffen.
Knapp zwei Jahre später hat die Hanns-Seidel-Stiftung nun nachgelegt und im Dezember des letzten Jahres gleich einen 136-seitigen Sammelband namens „Das Kreuz mit der Neuen Rechten – Rechtspopulistische Positionen auf dem Prüfstand“ vorgelegt. Mit Philipp W. Hildmann, dem Leiter des „Kompetenzzentrums für Gesellschaftlichen Zusammenhalt und Interkulturellen Dialog“ der Stiftung, fungiert einer der Autoren des erwähnten Papiers aus dem Jahre 2019 als Mit-Herausgeber. Besonders bemerkenswert ist die Besetzung des zweiten Herausgeberpostens. Hierfür hat sich Uwe Backes zur Verfügung gestellt, seines Zeichens stellvertretender Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung und außerplanmäßiger Professor am Institut für Politikwissenschaft der TU Dresden.
Uwe Backes – ein Vordenker der „Hufeisentheorie“ mit klarer Kante gegen die Neue Rechte
Bemerkenswert ist dies deshalb, weil Backes (gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Eckhard Jesse) als prominenter Vertreter der Extremismustheorie auch für die „Hufeisentheorie“ steht. Bei vielen Linken ist er dafür dementsprechend verschrien. Dass gerade Backes sich nun als Mitherausgeber einer solchen Publikation für eine konsequente Abgrenzung zwischen konservativen und rechtspopulistischen Diskursen starkmacht, ist lobenswert, da er unter Konservativen als wichtige Stimme gilt.
Und Backes, das zeigt vor allem sein eigener Beitrag in dem Sammelband, kennt sich mit dem Thema profund aus. „Die ‚Neue Rechte‘ und das Christentum“ lautet der von ihm verfasste Text. An dessen Anfang hat Backes ein Schlüsselzitat gesetzt, das man kennen muss, will man nachvollziehen, wie festverwurzelt die Berufung auf das Christentum unter vielen deutschen neurechten Vordenkern ist. Dieses Schlüsselzitat stammt von Karlheinz Weißmann, der nicht nur dezidiert als Protestant auftritt, sondern wohl einer der wichtigsten neurechten Publizisten der letzten Jahrzehnte ist. Er ist ein langjähriger Weggefährte des neurechten Verlegers Götz Kubitschek, mit dem er vor gut 20 Jahren das „Institut für Staatspolitik“ gegründet hat. Die zunehmende Radikalisierung von Kubitschek führte jedoch 2014 zum Bruch. Das erwähnte Zitat stammt aus einer Zeit (2006), als sich beide noch gewogen waren und gemeinsam den Gesprächsband „Unsere Zeit kommt“ herausgaben. Auf Kubitscheks dortige Frage nach seiner Haltung zur der ursprünglich heidnisch geprägten französischen „Nouvelle Droite“ antwortete Weißmann (Unterstreichung durch die Verfasserin):
Was mich von Anfang irritierte, waren die Schlüsselinhalte – positive Wertung des Rationalismus, die Fixierung auf das Indoeuropäische, die Feindseligkeit gegenüber dem Christentum, die Begeisterung für die ‚Biopolitik‘ –, fasziniert war ich dagegen von dem Projekt, eine Gegenideologie aufzubauen, um der Linken Paroli zu bieten. Das war etwas anderes als die lendenlahme Traditionspflege oder der Rekurs auf den gesunden Menschenverstand bei den Bürgerlichen.
Hiervon ausgehend arbeitet Backes sodann heraus, dass das „Verhältnis zum Christentum“ eine „bedeutende Differenz“ zwischen der deutschen und französischen neuen Neuer Rechten darstelle, wobei zu ergänzen wäre, dass es in Frankreich im Bereich von Schnittstellen zwischen Rechtskatholiken und Sympathisanten der „Identitären Bewegung“ inzwischen innerhalb der „Nouvelle Droite“ auch stärkere Bezüge auf das Christentum gibt.
Backes zeichnet sodann nach, wie die neurechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ sich traditionell auf das Christentum beruft. Detailliert widmet er sich auch dem im Umfeld von Götz Kubitschek angesiedelten österreichischen Autor Martin Lichtmesz. In dessen 2014 erschienenen Schlüsselwerk „Kann nur ein Gott uns retten“ habe Lichtmesz eine „Brücke zwischen Neuheidentum und Christentum“ geschlagen, „indem er das Christentum zum schützenswerten ‚Kulturgut‘ erklärt“ habe. Ausführlich setzt sich Backes zudem mit dem neurechten Konzept des „Ethnopluralismus“ auseinander. Er erklärt nachvollziehbar und in dieser Form neu, dass der antipluralistische Ansatz des Ethnopluralismus der Grund dafür sei, dass christliche Fundamentalisten mit ihrem „religiösen Homogenitätspostulat“ so anfällig für neurechte Denkweisen sein können.
Rechtskatholizismus und Rechtsevangelikalismus
Backes Ausführungen werden flankiert von einem Text der Osnabrücker Theologin Sonja Angelika Strube, die, selbst eine ausgewiesene Expertin auf diesem Gebiet, das Thema „Rechtskatholizismus und die Neuen Rechten“ und damit einen wichtigen Teilaspekt innerhalb des rechten Christentums beäugt. Sie richtet ihren Blick etwa auf einschlägige Websites und deren „Brückenfunktion für neurechte Positionen in den Raum der Kirchen hinein“, auch wenn sie zutreffend darauf hinweist, dass es Christen mit Rechtsdrall bisher nicht gelungen sei, „die Kirchenleitungen der Volkskirchen“ zu blenden. Dennoch redet Strube die Gefahr, die von gen neurechts tendierenden Christen diskursiv ausgeht, nicht klein. Im Gegenteil sieht sie, dass sich deren gesellschaftlicher Einfluss künftig durchaus verstärken könne.
Uwe Heimowksi, der Politikbeauftragte der evangelikalen „Deutschen Evangelischen Allianz“ in Berlin, und der CVJM-Referent René Markstein beleuchten unter dem Titel „Rechtspopulistische Positionen und Evangelikale“ ein weiteres Milieu, in dem teilweise bedenkliche Tendenzen festzustellen sind. Dabei heben beide, die selbst glasklar in ihrer Abgrenzung gegenüber solchen Ideenwelten sind, allerdings mit Recht hervor, dass die evangelikale Szene in Deutschland sehr heterogen und in „ihren politischen Ansichten und Äußerungen vielfältig“ sei. Zugleich aber untersuchen sie die Beweggründe, die jenen Teil prägen, der die AfD wählt.
Dabei kommen sie zu einem ausgesprochen interessanten und neuen Ansatz, der sich für die weitere Beschäftigung mit dem Thema als wegweisend erweisen dürfte. Denn Heimowski und Markstein unterscheiden innerhalb der christlichen AfD-Wähler (i) „Rechtstreue“, denen die angeblichen „Gesetzesbrüche“ bei der Eurorettung und der Flüchtlingskrise ein Dorn im Auge waren und die sich „von der AfD eine Wiederherstellung der staatlichen Ordnung und Sicherheit“ erhoffen, (ii) „Werteorientierte“, die ein „Verlorengehen“ des Christentums und seiner Werte, zu denen sie etwa die Ablehnung der „Ehe für Alle“ zählen, in Kirche und Politik beklagen und von der CDU enttäuscht sind, sowie (iii) ostdeutsche „Enttäuschte“, die im „Oppositionscharakter, den sich die AfD gibt, eine Parallele zu ihren eigenen Oppositionserfahrungen als gläubige Christen in der DDR“ sehen und skeptisch gegenüber dem sind, was sie „Mainstreammedien“ nennen. Während die erste und die letzte Gruppe den beiden Autoren zufolge auch ohne christlichen Glauben die AfD wählen würden, sei dies bei den „Werteorientierten“ gerade wegen ihrer Glaubenspositionen der Fall. Insgesamt, so Heimowski und Markstein zutreffend in ihrem Fazit, spielen bei den rechtspopulistisch orientierten Evangelikalen u.a. ein Vertrauensverlust in die etablierte Politik und die etablierten Medien, eine „kritische bis ablehnende Haltung gegenüber dem Islam im Allgemeinen“ sowie die Ablehnung dessen, was sie „Genderideologie“ nennen, eine entscheidende Rolle bei ihrer Hinwendung zur AfD.
„Kampfplatz Gender“ – eine Analyse gängiger Desinformationsmuster
Mit dem letztgenannten Feindbild beschäftigt sich der Beitrag „Kampfplatz Gender“, der von der Twentener (Niederlande) Assistenzprofessorin Maren Behrensen und der Münsteraner Genderforscherin Marianne Heimbach-Steins aufgesetzt wurde. Gewiss mag man radikale Erscheinungsformen innerhalb des Genderaktivismus und, zumal als Konservativer, auch die Gendersprache kritisch betrachten und/oder (wie die Verfasserin dieses Textes) selbst nicht praktizieren. Jedoch wird bei dem Thema Gender von rechtschristlicher Seite auch ein schier unglaubliches Maß an Desinformation betrieben und so getan, als sei das ganze Forschungsgebiet radikal und auf eine „Umerziehung“ aus.
Behrensen und Heimbach-Steins kommt der Verdienst zugute, in ihrem dichten Text die Mechanismen dieser Desinformation genau aufzuzeigen, darunter die inzwischen fast schon klassischen Unterstellungen von der „Zerstörung der Familie“ und „indoktrinierenden Sexualerziehung“. Daraus folgen regelmäßig illiberale Forderungen nach der Streichung sämtlicher Gelder für die Genderforschung oder nach der vollumfänglichen Abschaffung des „Genderns“. Das ist insofern bizarr, als das rechtschristliche Milieu für die eigenen Positionen umgekehrt allzu gerne Freiheiten, namentlich „Meinungsfreiheit“ einfordert. Die beiden Autorinnen arbeiten zudem klar heraus, wie sehr das „Gender-Feindbild“ ein Schnittstellenthema zwischen der religiösen und säkularen Rechtspopulisten ist, die beide auf ihre Weise versuchen, eine „bestimmte, als ‚natürlich‘ konnotierte Ordnung“ zu konstruieren, die es zu bewahren gelte.
Abgerundet wird der Sammelband durch allgemeine Texte zur „Rechtspopulistischen Sprache und Gewalt“, zum „Konflikt zwischen Rechtspopulismus und christlichen Kirchen“ sowie zum Thema „Das ‚christliche Abendland‘ als tragfähiges Bindeglied?“. Zwei weitere Beiträge zeigen anhand vorhandener empirischer Daten auf, dass Kirchennähe typischerweise von der Wahl der AfD eher abhält. Hier sind allerdings künftig nähere empirische Untersuchungen angezeigt, da gerade Christen mit Rechtsdrall gerne in den sozialen Medien gegen die von ihnen als zu links empfundenen Amtskirchen wettern, so dass hinter ihre Kirchennähe ein Fragezeichen zu setzen ist. Die Frage ist also, inwieweit sich rechtspopulistische und neurechte Christen, die sich in der Regel als besonders fromm verstehen, überhaupt als kirchennah verstehen. Das hat Auswirkungen darauf, ob sie nur eine nicht weiter ins Gewicht fallende kleine Teilmenge der „Kirchennahen“ sind oder aber eine davon zu separierend und durchaus relevante Gruppe unter den Gläubigen bilden.
Fazit
Alles in allem bleibt, gerade wenn man sich selbst mit dem Thema der rechten Christen gut auskennt, als Fazit, dass es sich bei der Publikation der Hanns-Seidel-Stiftung um einen sehr gelungenen Sammelband handelt. Er gibt trotz der vergleichsweise knappen Länge von 136 Seiten einen profunden Einblick in die Inanspruchnahme des Christentums durch rechtspopulistische Akteure. Umgekehrt eignet er sich gerade wegen seiner Kürze als handliche Anleitung für Politik und Kirchen, mit der Thematik besser und aufmerksamer umzugehen. Man muss sich fast anstrengen, ein Haar in der Suppe zu finden. Das gelingt schließlich doch. Wünschenswert wäre es gewesen, die Abgrenzung zwischen christlich-konservativem und (neu)rechtem Denken anhand der klassisch neurechten Trias aus Antipluralismus, Antiliberalismus und Ethnopluralismus in einem eigenen Text durchzudeklinieren. Dass dies nicht geschehen ist, tut diesem Sammelwerk aber insgesamt keinen Abbruch, zumal zentrale Aspekte wie „Gender“ und eben auch Antipluralismus sowie „Ethnopluralismus“ an anderer Stelle detailliert erläutert werden.
Die Publikation „Das Kreuz mit der Neuen Rechten? Rechtspopulistische Positionen auf dem Prüfstand“ ist 2020 bei der Hanns-Seidel-Stiftung erschienen und hier online abrufbar.