Major Bie­der­mann und die west­öst­li­chen Brandstifter

Der Flug­ha­fen in Entebbe: Hier selek­tier­ten deut­sche Links­ter­ro­ris­ten im Jahre 1976 jüdi­sche Pas­sa­giere von den anderen, um sie als Geisel zu halten.

Jeffrey Herfs Buch „Uner­klärte Kriege gegen Israel“ beschreibt detail­reich, wie sei­ner­zeit sowohl die DDR als auch Teile des west­deut­schen radi­ka­len Linken den jüdi­schen Staat als Tod­feind betrach­te­ten. Eine beun­ru­hi­gende Lektüre – gerade in den jet­zi­gen Zeiten gesamt­deut­scher Amnesie.

Sogleich nach dem anti­se­mi­tisch moti­vier­ten Mord­an­schlag von Halle waren in der deut­schen Öffent­lich­keit Stimmen zu hören, die scho­ckiert von „etwas seit 1945 nie mehr Dage­we­se­nem“ spra­chen. Das war sicher­lich gut gemeint als Ausweis einer Erschüt­te­rung, die glaubte, in his­to­ri­schen Zusam­men­hän­gen zu denken. Doch ist dem wirk­lich so? In Jeffrey Herfs neuem Buch „Uner­klärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die west­deut­sche radi­kale Linke 1967–1989“ ist Genaue­res nach­zu­le­sen: „Am 13. Februar 1970 ereig­nete sich der töd­lichste Anschlag auf Juden in Deutsch­land seit dem Holo­caust. Ein Brand­stif­ter legte Feuer in einem Alten­heim, das in einem jüdi­schen Gemein­de­zen­trum in München unter­ge­bracht war. Sieben Bewoh­ner starben, sechs in den Flammen und einer an den Ver­let­zun­gen nach einem Sprung aus dem Fenster. Niemand bekannte sich zu dem Anschlag, bis heute ist der Fall unge­löst, auch wenn Indi­zien auf eine Betei­li­gung west­deut­scher linker und oder paläs­ti­nen­si­scher Ter­ro­ris­ten schlie­ßen lassen.“ Wenige Tage davor wurden auf dem Flug­ha­fen in München-Riem Rei­sende vor einem Schal­ter der israe­li­schen Flug­ge­sell­schaft El Al mit Hand­gra­na­ten und auto­ma­ti­schen Waffen ange­grif­fen, während kurz darauf ein Flug­zeug der Swiss Air, das von Zürich nach Tel Aviv gestar­tet war, nach einer Bom­ben­ex­plo­sion abstürzte. Beide PLO-Ter­ror­akte for­der­ten zahl­rei­che Tote, doch bereits am 3. April 1970 schrieb der links­extreme Dieter Kun­zel­mann, sei­ner­zeit eine füh­rende Gestalt der West­ber­li­ner „Tupa­ma­ros“, seinen „Genos­sen an der Hei­mat­front“: „Von Amman aus frage ich mich: Wann endlich beginnt bei Euch der orga­ni­sierte Kampf gegen die heilige Kuh Israel? Die Gra­na­ten auf dem Flug­ha­fen lassen doch nur eine Kritik zu: die ver­zwei­fel­ten Todes­kom­man­dos durch besser orga­ni­sierte, ziel­ge­rich­te­tere Kom­man­dos zu erset­zen, die von uns selbst durch­ge­führt werden.“ Will heißen: Das Juden­mor­den sollten jene sich als „links“ miss­ver­ste­hen­den jungen Deut­schen über­neh­men, deren Väter­ge­nera­tion bereits „ziel­ge­rich­tet“ vor­ge­gan­gen war.

Obwohl dies und anderes – so etwa Ulrike Mein­hofs jubelnde Reak­tion auf den töd­li­chen Anschlag auf die israe­li­schen Ath­le­ten der Münch­ner Olym­piade von 1972 – inzwi­schen bestens doku­men­tiert ist (Jeffrey Herf bezieht sich u.a. auf die weg­wei­sen­den Arbei­ten der His­to­ri­ker Wolf­gang Kraus­haar und Martin Kloke), schei­nen im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis des selbst­er­nann­ten „Erin­ne­rungs­welt­meis­ters Deutsch­land“ hier noch immer blinde Flecke zu exis­tie­ren. Fällt der Name Dieter Kun­zel­mann, sind es jeden­falls nicht nur die ver­blie­be­nen Vete­ra­nen des dama­li­gen Milieus, sondern auch ver­meint­lich besser infor­mierte Nach­ge­bo­rene, die ihn, den gera­dezu patho­lo­gi­schen Anti­se­mi­ten, vor allem mit einem ver­meint­li­chen „Pro­vo­ka­teur und Spaß-Kom­mu­nar­den“ asso­zi­ie­ren. Sogar die Namen von Wil­fried Böse und Bri­gitte Kuhl­mann, die sich 1976 bei der Flug­zeug­ent­füh­rung im ugan­di­schen Entebbe – als erste Deut­sche seit 1945 – per­sön­lich an der Selek­tion der Juden unter den Pas­sa­gie­ren betei­ligt hatten, sind kaum noch bekannt. Auch die Teil­nahme von rund 50 Mit­glie­dern des SDS an einem „Al Fatah-Som­mer­camp“ in Jor­da­nien scheint ebenso un-erin­nert wie die spä­te­ren Poli­trei­sen von west­deut­schen K‑Gruppenfunktionären, von denen einer, der als Pen­sio­när auch heute noch gern (wenn auch inzwi­schen luzider gewor­den) die Welt­lage erklärt, noch 1977 nass­forsch dekla­miert hatte: „Ich habe nicht von Juden, sondern von Israe­lis gespro­chen und das macht einen wesent­li­chen Unterschied…Viele sehen: Genauso gerecht wie die Zer­schla­gung des Deut­schen Reiches gewesen ist, wird auch die Zer­schla­gung des israe­li­schen Kolo­ni­al­staa­tes sein.“ Auch dies etwas, das im Rück­blick von den Betei­lig­ten ent­we­der ver­drängt oder weg-ana­ly­siert wird.

Eine selt­same Amnesie, die umso größer ist, geht es um die DDR, deren Israel-Politik der dezi­diert links­li­be­rale, an der Uni­ver­si­tät von Mary­land leh­rende Herf in Bezie­hung setzt zu Rhe­to­rik und Taten der Ter­ro­ris­ten. Anders als RAF, Tupa­ma­ros und Revo­lu­tio­näre Zellen, die – ähnlich wie die Stu­den­ten­ver­ei­ni­gung des SDS – erst in Folge des Sechs­ta­ge­krie­ges von 1967 Israel als „faschis­ti­schen Aggres­sor“ bezeich­ne­ten, hatte die DDR als treuer Vasall Stalins bereits seit ihrer Grün­dung 1949 den jüdi­schen Staat mit einem Voka­bu­lar bedacht, das ansons­ten nur für die Ver­bre­chen der Nazis vor­ge­se­hen war. Dank unzäh­li­ger Archiv­funde kann nun Jeffrey Herf nach­wei­sen, dass es nicht bei Agi­ta­tion blieb, sondern der ost­deut­sche Staat, der heute noch vielen als „zumin­dest klar anti­na­zis­tisch“ gilt, bis 1989 Waffen und mili­tä­ri­sche Aus­rüs­tung an die PLO und jene ara­bi­schen Staaten lie­ferte, die sich im Kriegs­zu­stand mit Israel befan­den. Ost­deut­sche MIG-Jagd­flug­zeuge waren auf Befehl Hon­eckers auf syri­scher Seite im Einsatz während des Über­falls 1973 im Jom-Kippur-Krieg, wenn­gleich die DDR-Piloten dann in Aleppo blieben und dort durch sowje­ti­sches Per­so­nal ersetzt wurden. Danach aber gab es sogar ein Ehren­pla­kat für die Betei­lig­ten, deren Vor­ge­setz­ter – Sachen, die sich nicht erfin­den lassen – aus­ge­rech­net Major Bie­der­mann hieß.

Die Details, die Jeffrey Herf hier klug struk­tu­riert aus­brei­tet, machen noch heute schau­dern, denn weder im inof­fi­zi­el­len Schrift­ver­kehr von Stasi, SED und DDR-Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium noch in den pro­to­kol­lier­ten Gesprä­chen mit Assad Senior, Ägyp­tens Prä­si­dent Nasser oder Jassir Arafat wird kaschiert, welchem Zweck diese Waffen dienen – zur Ver­nich­tung des Staates Israel. Frei­lich schloss ein Abkom­men zwi­schen der DDR und der PLO auch die Klausel ein, keine Anschläge in der Bun­des­re­pu­blik und in West­eu­ropa zu begehen, da diese nur unge­wollte Auf­merk­sam­keit auf Ost­ber­lin gezogen hätten. „Im Nach­spiel des Münch­ner Anschlags vom 5. Sep­tem­ber 1972 tat die Regie­rung der DDR etwas, was sie nie wieder tun sollte: Sie ver­ur­teilte öffent­lich einen Ter­ror­an­schlag, dem Israe­lis zum Opfer gefal­len waren. Aller­dings ver­ur­teilte sie ihn, ohne auf die Tat­sa­che hin­zu­wei­sen, dass die Opfer Israe­lis und Juden waren.“ Das noch heute exis­tente Par­tei­or­gan Neues Deutsch­land nannte weder die Namen der israe­li­schen Ath­le­ten noch die Namen ihrer ter­ro­ris­ti­schen Mörder, titelte aber bereits am 10. Sep­tem­ber: „Moshe Dayans Luft­gangs­ter ermor­de­ten wehr­lose Frauen und Kinder.“

Jeffrey Herf, weder eifernd-didak­tisch noch ein Freund sug­ges­ti­ver Fragen, über­lässt es dem Leser, eigene Schlüsse zu ziehen. Eine Frage jeden­falls erle­digt sich nach der Lektüre dieses beklem­men­den Buchs: Hätte man es wissen können? Durch­aus, wurde doch in Ost­ber­lin Jassir Arafat per­ma­nent mit mili­tä­ri­schen Ehren emp­fan­gen, prang­ten die Fotos von Hon­eckers Besu­chen in Damas­kus und Tripoli auf den ersten Seiten der staat­li­chen Zei­tun­gen. Auch in der UNO taten sich DDR-Diplo­ma­ten bei ihrer Denun­zia­tion des Zio­nis­mus als „ras­sis­tisch-faschis­ti­sche Ideo­lo­gie“ keinen Zwang an, was den Bot­schaf­ter Israels (das sei­ner­zeit von der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Arbei­ter­par­tei unter Golda Meir regiert wurde) 1973 in New York zu einer Ein­schät­zung des angeb­lich „bes­se­ren deut­schen Staates“ brachte, die gerade heute – in Zeiten erneu­er­ter DDR-Weiß­wä­sche – erin­nert werden sollte: „Israel stellt mit Bedau­ern und Abscheu fest, dass der andere deut­sche Staat die his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung für den Holo­caust und die sich daraus erge­ben­den mora­li­schen Ver­pflich­tun­gen igno­riert hat und wei­ter­hin igno­riert. Diese Haltung wiegt umso schwe­rer, als die DDR der Gewalt- und Mord­kam­pa­gne, die von ara­bi­schen Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen gegen Israel und das jüdi­sche Volk geführt wird, Unter­stüt­zung und prak­ti­schen Bei­stand zukom­men lässt. Somit steht die Welt heute vor der Situa­tion, dass einer der deut­schen Staaten aber­mals mit der Nega­tion der grund­le­gen­den Rechte des jüdi­schen Volkes in Ver­bin­dung gebracht wird.“

Aller­dings waren es damals nicht die publi­zis­ti­schen Groß­ka­li­ber der Bun­des­re­pu­blik, sondern die Ver­tre­ter der kleinen Jüdi­schen Gemeinde, die gera­dezu ver­zwei­felt auf die Tat­sa­che hin­wie­sen, dass die DDR nicht nur in ihren Mas­sen­me­dien infla­tio­när die Begriffe Faschis­mus, Nazis­mus und Völ­ker­mord ver­wen­dete, wann immer es um Israel ging, sondern auch deut­sche Waffen pro­du­zierte und ver­kaufte, mit denen Juden getötet wurden. Heinz Galin­ski, Ausch­witz-Über­le­ben­der und sei­ner­zeit Vor­sit­zen­der des Zen­tral­ra­tes der Juden, schrieb nach dem Jom-Kippur-Krieg sogar einen von emo­tio­na­ler Erschüt­te­rung grun­dier­ten öffent­li­chen Brief an Erich Hon­ecker, in dem dieser an seine Ver­gan­gen­heit als Anti­fa­schist erin­nert und gefragt wird, weshalb die DDR-Bericht­erstat­tung derart infam und voller Hass klas­si­sche Motive des Anti­se­mi­tis­mus auf­nehme. Hon­ecker hat nie auf diesen Brief geant­wor­tet, der es frei­lich auch bis heute nicht in die Schul­bü­cher des wie­der­ver­ei­nig­ten Landes geschafft hat. So bleibt scho­ckie­rend aktuell, was bereits 1970 der (von der dama­li­gen Linken als „reak­tio­när“ geschmähte) west­deut­sche Publi­zist Mat­thias Walden seine Lands­leute gefragt hatte: „Ist es noch oder schon wieder soweit, haben die Söhne nicht aus der Schuld der Väter gelernt, haben die Väter ver­säumt, ihre Söhne anders zu erzie­hen, als sie selbst erzogen worden waren? Schie­ßen im Abstand von weniger als einer Gene­ra­tion im abge­holz­ten Sumpf des Anti­se­mi­tis­mus in unserem Vater­lande neue wilde Triebe?“

Jeffrey Herf hat mit gera­dezu bewun­derns­wer­ter Ruhe und Detail­ge­nau­ig­keit ein Buch geschrie­ben, das uns gerade heute zutiefst beun­ru­hi­gen müsste.


Jeffrey Herf: Uner­klärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die west­deut­sche radi­kale Linke. Aus dem Eng­li­schen von Nobert Jura­s­chitz. Wall­stein Verlag, Göt­tin­gen 2019, 518 S., geb. Euro 39,-

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