Widerstand 2020: Bekommt die AfD Konkurrenz?
Während die AfD noch immer nach einer Strategie im Umgang mit der Corona-Krise sucht, entsteht im Windschatten der aktuellen Querfront-Proteste eine neue Partei. Hat sie das Zeug dazu, der AfD das Wasser abzugraben?
Die Corona-Skeptiker bekommen eine eigene Partei: Widerstand 2020. Mit ebenso harmlosen wie nichtssagenden Slogans wie „Lass uns anders sein, damit sich endlich etwas verändert“ ist sie an den Start gegangen. Ein Programm sucht man vergebens, nur einzelne Thesen und Vorschläge finden sich auf der Website: etwa, dass das Grundgesetz „fehlerhaft“ sei und der Bundestag durch ein Notstandsparlament ersetzt werden solle. Angeblich hat die Partei in wenigen Tagen mehr als 100.000 Mitglieder hinter sich versammelt. Überprüfen lässt sich das nicht, es gibt begründete Zweifel an dieser Zahl. Klar ist zudem: Um Mitglied zu werden, genügt es, ein Online-Formular auszufüllen, Mitgliedsbeiträge werden nicht erhoben. Über die Schlagkraft der Partei sagt all das also wenig aus. Dennoch könne Widerstand 2020 zur Konkurrenz für die AfD werden, glaubt der Politikwissenschaftler Gert Pickel.
Die Partei wurde von drei Personen gegründet: Bodo Schiffmann, Ralf Ludwig und Victoria Hamm. Bodo Schiffmann ist HNO-Arzt und betreibt im baden-württembergischen Sinsheim eine Schwindelambulanz. Mit Beginn der Corona-Krise fing er an, Videos bei Youtube hochzuladen, in denen er die Gefährlichkeit des Corona-Virus in Abrede stellte. Es folgten Auftritte bei verschwörungsideologischen Kanälen wie KenFM und NuoVisoTV. Schiffmann hat sich auch das Erkennungszeichen der Bewegung ausgedacht, die „Querdenker-Bommel“. Ein kleines, aus Alufolie geformtes Kügelchen, das man sich um den Hals hängt oder ans Revers heftet. Es soll die Kontaktaufnahme zu anderen „Aufgewachten“ erleichtern. Mittlerweile sieht man die Querdenker-Bommel recht häufig auf den bundesweit stattfindenden Protesten gegen die Corona-Verordnung.
Der zweite Gründer, Ralf Ludwig, ist jener Rechtsanwalt, der gegen ein Versammlungsverbot in Baden-Württemberg klagte und bis vor das Bundesverfassungsgericht zog – dort bekam er Recht. Auf der „Querdenkerdemo“ der Corona-Leugner in Stuttgart trat er selbst als Redner auf. Über die dritte im Bunde, Victoria Hamm, ist nicht viel bekannt. Auf der Website von Widerstand 2020 bezeichnete sie sich als „nur ein Mensch“. Die drei Gründer betrachten ihre Partei offenbar als notwendiges Übel: „Unser System ist leider so aufgebaut, dass wir nur als Partei mit einer großen Anzahl an Mitgliedern wirklich an Entscheidungen mitwirken können“, hieß es auf der Website, „so ist das leider in Deutschland.“ Eine solche Aussage entlarvt ein antipluralistisches Weltbild, das an die Existenz eines einzig „wahren“ Volkswillens glaubt und Parteien und Parlamente als lästige Instrumente einer vermeintlich undemokratischen Bürokratie degradiert.
So wundert es auch nicht, dass sich die Partei vom klassischen Rechts-Links-Schema abgrenzt, ihre Zielgruppe soll das gesamte Volk sein. Nicht rechts und nicht links zu sein ist die immer wiederkehrende Beteuerung von Querfront-Aktivisten, auch bei den aktuellen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Die Wahrheit ist hingegen, dass sie beides sind: Die Teilnehmerschaft ist heterogen, linke Esoteriker und Anthroposophen stehen neben Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern, AfD-Politikern und rechtsextremen Hooligans. Sie vereint ihr Ressentiment gegen die Aufklärung, die Moderne und die liberale Demokratie ebenso wie die Feindschaft gegenüber den Medien und der Wissenschaft. Dennoch ist eine Nähe zu AfD-Positionen bei vielen Teilnehmern nicht zu übersehen. Die Parolen wie „Lügenpresse“ oder „Wir sind das Volk“ erinnern teilweise an die Wutbürger von Pegida. Unter den Protestlern befinden sich zweifellos viele Rechtsextreme.
Das ist auch Martin Sellner nicht entgangen. In einem Video sagt der Chef der österreichischen Identitären Bewegung, dass Widerstand2020 „gerade in unserem patriotischen Lager in aller Munde ist“. Viele seien der Meinung, dass die AfD Geschichte sei und künftig von Widerstand 2020 überholt werden könnte. Sellner findet es zwar „großartig“, dass eine „apolitische“ Sammlungsbewegung entsteht, aber er warnt auch vor der neuen Partei: Der Gründer Bodo Schiffmann stehe in der Migrationsfrage auf der falschen Seite. Sellner wirft Schiffmann vor allem vor, dass dieser in einem Video gesagt hatte: „Wenn wir alle Einwohner von Afrika in ein Bundesland von uns setzen würden, dann hätten wir anschließend noch Platz.“ Denn spätestens damit ist für den Identitären klar, dass Widerstand 2020 keine „wirkliche Opposition“ sei und Schiffmann niemals politische Verantwortung bekommen dürfe.
Nun könnte die Partei einen solchen Vorwurf aus dem Munde eines rechtsextremen Identitären wahlweise schulterzuckend zur Kenntnis nehmen oder als Ausweis einer demokratischen Politik für sich verbuchen können. Nicht so Widerstand 2020: Aufgrund von Sellners Video sah man sich zu einer Klarstellung veranlasst. Auf Facebook schrieb Victoria Hamm, dass es völlig egal sei, welche Meinungen sie und die beiden anderen Gründungsmitglieder verträten. Denn alle Mitglieder sollten „zusammen bestimmen, was wichtig ist und was in unser Programm muss“, so Hamm. „Wenn Bodo [Schiffmann] Afrikaner hier haben möchte, aber alle anderen nicht – ja, dann muss der Bodo halt zu den Afrikanern“. Einer deutlicheren Einladung an Rechtsaußen hätte es zwar nicht bedurft, doch die Partei setzte noch einen drauf: In seinem Telegram-Channel gab Martin Sellner kurz darauf bekannt, dass Schiffmann Kontakt mit ihm aufgenommen habe. Sie hätten ein „sehr gutes Telefongespräch“ geführt, in dessen Verlauf die beiden auf einem „guten persönlich-emotionalen Weg zueinander gefunden“ hätten.
Eine klare Abgrenzung von Rechtsextremen ist von Widerstand 2020 also nicht zu erwarten und die populistische Elitenkritik der Partei dürfte auch in der Wählerschaft der AfD Anklang finden. Hinzu kommt, dass die AfD bislang keine überzeugende Antwort auf die Corona-Krise gefunden hat – jedenfalls ist es ihr nicht gelungen, politisch Profit daraus zu schlagen. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass Widerstand 2020 der AfD gefährlich werden könnte.
Die Teilnehmerschaft der Corona-Proteste entstammt einem zwar heterogenen, aber höchst ideologisierten Milieu, das von einem Generalmisstrauen getrieben wird und kritisches Denken mit der prinzipiellen Infragestellung von alles und jedem verwechselt. Dieses tiefsitzende Misstrauen kehrte sich auch gegen Widerstand 2020: Es wurde gemutmaßt, ob es sich um eine „gesteuerte Opposition“ handele, ob gar Bill Gates hinter der Partei stecke. Nun könnte es einer Partei egal sein, ob derart abstruse und an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe kursieren, weil diese ausschließlich von einem Milieu verbreitet werden, das die Vernunft schon lange suspendiert hat. Das Problem ist: Es ist genau dieses Milieu, auf das die Partei zielt. Also sah man sich gezwungen, auf die Vorwürfe einzugehen. Nein, man sei natürlich nicht von Gates gekauft, man wolle ja gerade gegen ihn kämpfen. Doch solche Beteuerungen dürften kaum ausreichen, um einen handfesten Verschwörungstheoretiker zu bekehren.
Es ist genau diese inhaltliche wie argumentatorische Diffusität, die Widerstand 2020 zum Verhängnis werden dürfte. Interne Konflikte und Zerwürfnisse sind auch aus der AfD nur allzu gut bekannt, doch die programmatische Offenheit und das Fehlen eines noch so kleinen gemeinsamen Nenners prädestiniert die entstehende Partei dafür, sich selbst zu zerlegen. Vor wenigen Tagen gab Mitbegründerin Victoria Hamm bekannt, dass sie von ihrem Posten als Schatzmeisterin zurücktreten und der Partei den Rücken kehren werde. Der Grund sei aber nicht der Druck von außen, also etwa die negative Berichterstattung, sondern liege „im Inneren der Partei“. Es seien Entscheidungen getroffen worden, „mit denen ich mich selbst nicht identifizieren kann“.
Hinzu kommt: Die Entstehungs- und Gründungsgeschichte von Widerstand 2020 unterscheidet sich massiv von der der AfD. Die AfD etwa ist keineswegs entstanden aus einem spontanen Zusammenschluss protestierender Wutbürger, sondern sie wurde, wie der Soziologe Andreas Kemper bereits kurz nach der Parteigründung 2013 zeigen konnte, regelrecht installiert. Anders als etwa bei den Grünen gingen der Gründung der AfD keine organisierten und über Jahre währenden Bürgerbewegungen voraus. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass die Partei von Beginn an von Sympathisanten und Interessierten partizipativ organisiert wurde, wie dies bei der Piratenpartei stellenweise der Fall war. Die AfD wurde vielmehr von einem kleinen, gut organisierten Kreis gründlich vorbereitet und aufgebaut: von Professoren, Wirtschaftseliten und konservativen Intellektuellen, die sich bereits zuvor in Vereinen wie der „Zivilen Koalition“ oder dem „BürgerKonvent“ organisiert hatten.
Auf derartige Strukturen und Organisationserfahrung kann Widerstand 2020 nicht zurückgreifen. Ihrem eigenen Anspruch nach möchte sie eine „Mitmach-Partei“ sein, alle Mitglieder sollen gemeinsam das Parteiprogramm entwickeln. Doch demokratische Parteiarbeit ist mühsam, zeit- und kräfteraubend. Ein populistischer Reflex gegen „die da oben“ reicht nicht aus, um Strukturen zu schaffen und zu verfestigen.