Ver­passte Gelegenheit

Bild: Ch.Links Verlag

Ein Info-Reader über „Die Inter­na­tio­nale der Rechts­po­pu­lis­ten“ zeigt die Grenzen des rein Deskriptiven.


Der Gedanke war nahe­lie­gend und ver­dienst­voll: Wenn sich die euro­päi­sche Rechte zuneh­mend ver­netzt – weshalb sollten dann euro­päi­sche Jour­na­lis­tIn­nen nicht eben­falls ein Netz­werk bilden, um Infor­ma­tion gegen Pro­pa­ganda zu setzen? Seit Sommer 2018 arbei­ten deshalb im Recher­che­ver­band „Europe’s Far Right“ Taz, Libé­ra­tion, der Wiener Falter, die Zürcher WOZ, die War­schauer Gazeta Wybor­cza, die Buda­pes­ter HVG sowie die in Rom erschei­nende Inter­na­zio­nale eng zusam­men – nicht allein um Recher­chen aus­zu­tau­schen, sondern auch um konkret zu beschrei­ben, was droht, wenn die neue Rechte nicht nur in die Nähe der Exe­ku­tive kommt, sondern diese schließ­lich auch über­nimmt. Jetzt ist unter dem Titel „Angriff auf Europa. Die Inter­na­tio­nale des Rechts­po­pu­lis­mus“ ein Teil dieser Berichte, his­to­ri­schen Ein­ord­nun­gen und Hin­ter­grund-Erläu­te­run­gen erst­mals als Buch erschie­nen. Leider kommt der Band über die bloße Beschrei­bung seines Gegen­stands kaum hinaus.

Die detail­lier­ten Bei­spiele aus Ungarn und Polen sind abschre­ckend genug, wobei eines ins Auge fällt: Weder FIDESZ noch PIS hatten ihre Wahl­kämpfe mit jenen For­de­run­gen nach Schlei­fung der Gewal­ten­tei­lung bestrit­ten, die sie nach ihren Siegen in die Tat umsetz­ten, sondern vor­nehm­lich auf eine soziale Agenda gesetzt, ver­mischt mit geschür­ten Res­sen­ti­ments gegen­über Flücht­lin­gen. Was folgt daraus? Wohl zuerst einmal die höchst ambi­va­lente Schluss­fol­ge­rung, dass mit der For­de­rung nach Demo­kra­tie­ab­bau keine Wahlen gewon­nen werden, mit xeno­pho­ben Parolen jedoch sehr wohl. Das Stadt-Land-Gefälle spielt in allen unter­such­ten Ländern eine immense Rolle, wobei das Gefühl des „Abge­häng­tseins“ kei­nes­wegs ledig­lich den gekränk­ten Egos der „Rück­stän­di­gen“ ent­springt, sondern durch­aus empi­ri­schen hard facts: So hatte etwa in Polen die vor­he­rige libe­rale Tusk-Regie­rung in der Provinz nicht nur Zug­ver­bin­dun­gen ein­stel­len lassen, sondern auch an sons­ti­ger Infra­struk­tur und an der Gesund­heits­ver­sor­gung gespart. Viktor Orbáns Sieg, den dieser sogleich zu nutzen wusste zum insti­tu­tio­nel­len Umbau Ungarns zu einem erklär­ter­ma­ßen „illi­be­ra­len System“, war vor allem der desas­trö­sen Wirt­schafts­po­li­tik und den Kor­rup­ti­ons­skan­da­len der post­kom­mu­nis­ti­schen Vor­gän­ger­re­gie­rung geschuldet.

Bild: Ch. Links Verlag

Leider ist im betref­fen­den Text wenig Zusätz­li­ches über die Ant­wor­ten der regie­ren­den Popu­lis­ten auf reale soziale und wirt­schaft­li­che Pro­bleme zu lernen. Dabei wäre es gerade aus einer kri­ti­schen Per­spek­tive inter­es­sant, mehr über Orbáns Wirt­schafts- und Sozi­al­po­li­tik zu erfah­ren – und ob soziale Leis­tun­gen wie Kin­der­geld, das die pol­ni­sche PIS ein­ge­führt hat (dabei ledig­lich Fami­lien för­dernd und allein­er­zie­hende Frauen igno­rie­rend, um auch hier ein bestimm­tes Gesell­schafts­mo­dell durch­zu­set­zen), solide gegen­fi­nan­ziert oder nur auf Pump ver­teilt sind.

Glei­ches gilt auch für andere Bei­träge in diesem Band: Erhel­lende Hin­ter­grund-Ana­ly­sen oder gar stra­te­gi­sche Refle­xio­nen über ein erfolg­ver­spre­chen­des Zurück­drän­gen der auto­ri­tä­ren Neo­rech­ten bleiben weit­ge­hend Fehl­an­zeige. Was hier über die Häu­tun­gen von AfD, Front Natio­nal, FPÖ oder ita­lie­ni­scher Lega zu erfah­ren ist, findet sich auch bei Wiki­pe­dia oder etwa – ungleich aktu­el­ler – in der lau­fen­den Bericht­erstat­tung seriö­ser Medien. Beschrei­bun­gen von Soll­bruch­stel­len in der Stra­te­gie der Rechts­po­pu­lis­ten – z.B. über die berech­tigte Furcht Schwei­zer Bauern vor der Kli­ma­er­wär­mung, während „ihre“ SVP noch immer vom „Kli­ma­schwin­del“ schwa­dro­niert – finden sich dagegen allen­falls ansatzweise.

Die im Vorwort ange­kün­digte „Aus­ein­an­der­set­zung in eigener Sache“ fällt eben­falls aus. Andern­falls nämlich wäre die Frage nicht zu umgehen gewesen, wie es die publi­zis­ti­sche und poli­ti­sche Linke zuvor mit „Europa“ und einer „libe­ra­len Demo­kra­tie“ gehal­ten hat, die auf einmal derart ultra-empa­thisch besetzt werden – als wäre aus diesem Lager nie und nimmer auch jene abwer­tende Ver­dachts­rhe­to­rik gegen die EU und die demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen gekom­men, die nun (um offenen Ras­sis­mus erwei­tert), nach Rechts­au­ßen gewan­dert ist. Die irri­tie­ren­den Über­schnei­dun­gen zwi­schen der natio­na­lis­ti­schen Rechten und einer anti­glo­ba­lis­ti­schen Linken bleiben außen vor. Deshalb auch kein ein­zi­ges Wort dazu, dass ein Putin-affiner, anti­west­lich kon­no­tier­ter „Wir müssen Russ­land respektieren“-Sprech sowohl bei Alex­an­der Gauland wie bei den Poli­ti­kern und Wählern der Links­par­tei zu finden ist, in den Reden von Marine Le Pen ebenso wie in den Slogans ihres ver­meint­lich linken Kon­ter­parts Jean-Luc Mélenchon.

Auch die Analyse des Wider­spruchs zwi­schen markt­li­be­ra­len Frag­men­ten ihrer Wirt­schafts­po­li­tik und einem natio­nal ein­ge­färb­ten Sozi­al­po­pu­lis­mus, den rechte Par­teien bequem aus­hal­ten, bleibt auf halbem Weg stecken. Dabei ist die fol­gende Beob­ach­tung unge­mein wichtig: „Die ‚Auf­stiegs­ori­en­tier­ten‘ emp­fin­den sich selbst als leis­tungs­wil­lig, bereit zum Erfolg durch ‚harte Arbeit‘- und damit auf der Gewin­ner­seite einer rechten Rhe­to­rik, die die Inter­es­sen der ‚Macher‘ gegen die von Arbeits­lo­sen und Sozi­al­hil­fe­emp­fän­gern aus­spielt.“ Wo also bleiben dann Über­le­gun­gen, wie dieses offen­bar erfolg­rei­che Aus­spie­len gekon­tert werden könnte durch moderne, linke Poli­tik­an­ge­bote, die dann frei­lich mehr im Angebot haben müssten als jenen Sozi­al­pa­ter­na­lis­mus, den die Rechte min­des­tens ebenso gut (wenn nicht besser) beherrscht?

Schade, sehr schade, dass jen­seits des Deskrip­ti­ven hier offen­bar der Wille gefehlt hat, aus einem brauch­ba­ren Info-Reader ein wirk­lich rele­van­tes Buch zu machen. Das nenne ich eine ver­passte Gelegenheit.


Malene Gürgen, Patri­cia Hecht, Nina Horac­zek, Chris­tian Jakobs, Sabine am Orde: Angriff auf Europa. Die Inter­na­tio­nale des Rechts­po­pu­lis­mus. Ch. Links Verlag, Berlin 2019, 285 S., geb. Euro 18,-

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