Die AfD steht am Scheideweg
Die Abstimmung über die „Unvereinbarkeitsliste“ beim AfD-Parteitag ist keine Lappalie. Am Wochenende entscheidet sich, ob die AfD für die gesellschaftliche Mitte anschlussfähig bleibt oder in Extremismus abdriftet. Ein Kommentar.
Neulich beschwerte sich eine Leserin auf Facebook über eine Analyse, die ich zu einem Gesprächsband mit Björn Höcke verfasst hatte. Die Beschwerdeführerin nannte es eine „Lüge, Herr Höcke wolle den Führerstaat oder die Demokratie abschaffen,“ und die werde auch „nicht wahrer auch wenn Sie es immer wiederholen.“ Genau diesen Nachweis hatte ich aber in der Analyse zu erbringen versucht. Die Frau machte vielmehr die „Altparteien“ dafür verantwortlich, die Demokratie abzuschaffen. „Hören Sie nur auf, ihr spaltet und nicht die AFD“, gab sie mir mit auf den Weg.
Man mag solche Äußerungen als Folge von Verblendung oder verschobene Wahrnehmung ansehen. Klar wird aber, dass die Frau die AfD und den wohl bekanntesten Vertreter des völkischen „Flügels“ nicht als Radikale wahrnimmt. Vielmehr gilt hier die AfD als Kraft, die eine verloren geglaubte Ordnung wiederherstellen kann. In dieser Sichtweise sind manche sicher bereit, über Extremfälle geflissentlich hinwegzusehen, wenn die Gesamtrichtung stimmt. Die Ablehnung des „Establishments“ ist so stark, dass eine große Toleranz gegenüber Entgleisungen und Grenzverletzungen besteht.
Nun mag man einwenden, dass gerade deshalb die am Wochenende auf dem AfD-Parteitag drohende Abschaffung des „Unvereinbarkeitsbeschlusses“ völlig irrelevant ist – zum einen, weil eben die Toleranz der Anhänger gegenüber extremistischen Auswüchsen ohnehin übergroß ist, zum anderen, weil der Beschluss angesichts etlicher, dokumentierter Fälle ohnehin nicht mehr als Makulatur ist.
Aber die seit Jahren schwelende Auseinandersetzung über einen gemäßigteren und radikalen Kurs der Partei existiert nicht ohne Grund. In gewohnter Regelmäßigkeit stoßen der neurechte Spindoktor Götz Kubitschek als Mentor von Björn Höcke und seines „Flügels“ und Dieter Stein von der Zeitschrift „Junge Freiheit“ an der Frage aneinander, ob die AfD sich nach rechtsaußen abgrenzen und den Brückenschlag ins bürgerlich-konservative Lager schlagen sollte. Kubitschek lästert hierbei üblicherweise über den „politischen Waschzwang“ Dieter Steins. Offensichtlich gibt es unterschiedliche strategische Einschätzungen, was den Erfolg der Partei sicherstellt oder gefährden könnte.
Die AfD ist doch aber stärker, als die NPD es je war, weil sie eben keine eindeutig rechtextreme Partei wie die NPD ist – oder zumindest einen solchen Eindruck (bislang) erfolgreich vermeidet. Und selbst die Idee, in den Kommentierungen nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg für die eigene Partei den Begriff „bürgerlich“ zu etablieren, schrieb Alice Weidel kürzlich Götz Kubitschek zu. Höcke machte nach der Thüringenwahl dieses Versteckspiel ebenso mit, was seine parteiinterne Auseinandersetzung um eine Stärkung völkischer Ideen wenig konsistent erscheinen lässt.
Hinter dem Bemühen, die AfD als „bürgerlich“ darzustellen, steht der Versuch, weniger radikal zu wirken und damit anschlussfähig für die Mitte der Gesellschaft zu werden. Das ist ziemlich genau das Konzept der „kulturellen Hegemonie“, das die neue Rechte erklärtermaßen dem Kommunisten Antonio Gramsci entlehnt hat. Der Neonazi von heute trägt nicht mehr Springerstiefel, Bomberjacke und Baseballschläger sondern moderne Undercut-Hipster-Frisuren, kreiert modekompatible Logos wie das Lambda-Symbol der Identitären Bewegung und veranstaltet Kochshows auf Instagram – alles mit dem Ziel, die rassistischen und antidemokratischen Ideen in die gesellschaftliche Mitte zu tragen und dort salonfähig zu machen.
Insofern ist die Aufhebung der Unvereinbarkeit von AfD-Mitgliedschaft und Identitärer Bewegung vielleicht nur konsequent, bedienen doch beide das gleiche Konzept des Wolfs im Schafspelz. Aber die Identitären sind inzwischen offiziell vom Verfassungsschutz als rechtextrem eingestuft worden und damit verbrannt. Das erklärt auch die wütende Empörung von Höcke und Kubitschek über die Einstufung des „Flügels“ durch den Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“. Denn sie wissen, dass das amtliche Siegel als „rechtsextrem“ die hochtrabenden politischen Hoffnungen gefährden kann.
In diesem Sinne steht die AfD am Wochenende auch ein Stück am Scheideweg. Die Partei ist in Unruhe. Der Vorsitzende Gauland wird erst zum Rückzug gedrängt, um dann im Deutschlandfunk zu erklären, er halte sich eine erneute Kandidatur offen – möglicherweise um eine Wahl des Rechtsaußen Gottfried Curio zum Vorsitzenden zu verhindern. Es bleibt abzuwarten, wie stark der völkische „Flügel“ um Höcke ist und ob eine Machtübernahme der radikaleren Kräfte die Partei vielleicht stärker an den politischen Rand schiebt. Ausschließen kann man das nicht.