Bürgermeisterwahl in Görlitz bedeutet keine Trendwende
In Görlitz unterlag der AfD-Kandidat nur knapp Octavian Ursu. In der Stichwahl hatten auch Grüne und Linke zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen, um Sebastian Wippel von der AfD zu verhindern. Die Wahlniederlage bedeutet keine Trendwende.
Der AfD könnte das Ergebnis für die Landtagswahl nutzen. Sie kann ihre typische Opferrolle weiter kultivieren, indem sie eine gegen sich gerichtete Verschwörung der politischen Klasse behauptet, die sie als „Establishment“ deligitimiert. Der Zusammenschluss eines breiten politischen Spektrums gegen die AfD wird die Partei als undemokratisch brandmarken und dem politischen Gegnern Doppelmoral unterstellen. Der Vorwurf antidemokratischen Verhaltens der gegnerischen Parteien dient allzu oft als Rechtfertigung für das eigene undemokratische Verhalten.
Die AfD kann für die Landtagswahl weiter das Gefühl von Bevormundung und Fremdbestimmung mobilisieren, das schon im Wahlkampf in Görlitz zum Ausdruck kam: „Jetzt wollen sie uns wieder vorschreiben, dass wir den nicht wählen dürfen, aber das ist mir egal“, zitierte Jan Sternberg vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Samstag eine Seniorin in Görlitz, die damit offensichtlich auf die Verhältnisse in der DDR anspielte.
Die Gleichsetzung von DDR-Unrechtsstaat und Bundesrepublik gehört zum Standardrepertoir von Pegida über neurechte Köpfe wie Götz Kubitschek bis zu Stimmen aus der AfD.
Die Soziologin Julia Gabler sieht in der zugespitzen politischen Lage in Sachsen auch Positives. Die Leute seien endlich politisiert, redeten und stritten miteinander, was lange gefehlt habe und Kern des Problems gewesen sei. Sie beschreibt im Interview eine Geschichter der Ohnmacht und Entkoppelung. Die Leistungen derjenigen, die im Osten zurückgeblieben sind, seien nicht anerkannt worden. Diese Leute meldeten sich nun zu Wort.
Dem widerspricht Rolf Weidle, langjähriger Kommunalpolitiker in Görlitz, den Jan Sternberg im oben genannten Artikel zitiert: „Wenn diese zerstörerische Diskussionsunkultur nicht verschwindet, dann schwindet meine Hoffnung, dass sich dieses Land noch einmal erholt.“ Auch Danilo Kuscher aus der Görlitzer Kreativenszene sieht im Aufstieg der AfD keinen Demokratisierungsschub. Seine Familie im einige Kilometer nördlich gelegenen Neißeaue muss sich jetzt täglich Bemerkungen anhören, dass ihr Sohn zum verhassten „Establishment“ gehört.
Demokratisierung oder Vergiftung der demokratischen Kultur? So oder so stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der AfD, die bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2019 vielerorts stärkste Fraktion in den Gemeinderäten geworden ist. Ausgrenzen oder Zusammenarbeit? „Wir müssen mit denen reden, streiten, ins Gespräch kommen“, sagt Maria Schwalbe, Kandidatin der Linken für den Görlitzer Stadtrat. „Was sollen wir denn sonst tun?“ (siehe Artikel von Jan Sternberg). Danilo Kuscher fordert klare Kante in ideologischen Fragen, aber auch mal eine Zustimmung in Sachfragen: „Dann müssen wir über unseren Schatten springen, zustimmen – und ihnen die Opferrolle nehmen.“
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schließt im Interview mit dem Deutschlandfunk am Morgen nach der Bürgermeisterwahl eine Koalition mit der AfD kategorisch aus. Man dürfe nicht das Spiel der Populisten mitmachen und nur darüber reden, wogegen man sei. Man müsse für etwas sein: „...entscheidend ist: Wenn wir da rauskommen wollen und wenn Deutschland eine gute Zukunft haben will, müssen wir darüber sprechen, wie wir Klimaschutz machen wollen, in welches Verhältnis wir das zur Ökologie setzen, wie wir Kriminalität oder unsere Werte sehen und wie wir das konkret machen, und nicht immer nur ganz pauschal dagegen sein. Das ist kein guter Ratschlag.“