Gestörte Part­ner­schaft

Wenn aus Ein­zel­fäl­len Struk­tu­ren werden: Der Sam­mel­band „Extreme Sicher­heit“ beleuch­tet und ana­ly­siert rechte Struk­tu­ren in Polizei, Bun­des­wehr, Ver­fas­sungs­schutz und Justiz. 

Stellen Sie sich vor: Die Wohnung eines Rechts­extre­mis­ten soll durch­sucht werden – aber der Ver­däch­tige wird recht­zei­tig von Poli­zis­ten gewarnt. Oder: Eine Gruppe Ter­ro­ris­ten plant Spreng­stoff­an­schläge auf linke Kom­mu­nal­po­li­ti­ker und erhält die nötigen Daten und Details nach­weis­lich aus Kreisen der Bereit­schafts­po­li­zei. Später wird die Staats­an­walt­schaft die Ermitt­lun­gen ein­stel­len. Oder: Hoo­li­gans ver­ab­re­den sich in Chats zu Gewalt­ta­ten – und erhal­ten dort vorab Ein­zel­hei­ten zu ihren spä­te­ren Opfern. Der Poli­zist, der die Details wei­ter­ge­reicht hat, wird anschlie­ßend ver­setzt – in eine Poli­zei­fach­schule, wo er junge Dienst­an­wär­ter ausbildet.

Dies sind nur drei von Dut­zen­den Fällen, die in dem im Herder Verlag erschie­ne­nen Sach­buch „Extreme Sicher­heit“ doku­men­tiert sind. Die beiden Her­aus­ge­ber, der Tages­spie­gel-Redak­teur Mat­thias Meisner und die Rechts­extre­mis­mus-Exper­tin Heike Kleff­ner, ver­sam­meln darin 28 Texte von Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten, die dem Problem von „Rechts­ra­di­ka­len in Polizei, Ver­fas­sungs­schutz, Bun­des­wehr und Justiz“ nach­ge­hen. Erst­mals wird damit auf 320 Seiten zusam­men­ge­fasst, was bereits seit Jahren, Nach­richt für Nach­richt, an die Öffent­lich­keit dringt.

In seiner Dichte und Vehe­menz ver­deut­licht das Buch die Dring­lich­keit der lange all­ge­mein unter­schätz­ten und poli­tik­sei­tig viel zu oft rela­ti­vier­ten Gefahr von rechts für die Gesell­schaft. Wovon „Extreme Sicher­heit“ erzählt, ist weit mehr als der alte Corps­geist, den es unter Staats­die­nern stets gegeben hat. Tat­säch­lich geht es den Extre­mis­ten um die sys­te­ma­ti­sche Unter­wan­de­rung und Nutz­bar­ma­chung des Sicher­heits­ap­pa­ra­tes. Um die Erschüt­te­rung des Ver­trau­ens jedes ein­zel­nen in die staat­li­chen Organe. Mithin um die tat­säch­li­che Gefähr­dung der öffent­li­chen Sicher­heit und letzt­lich um den Sturz der poli­ti­schen Ordnung.

Es ist kein Thema wie jedes andere“, schrei­ben Kleff­ner und Meisner in ihrer Ein­lei­tung, sie spre­chen von einer inhalt­li­chen „Tie­fen­boh­rung“. Denn es geht um eben jene Insti­tu­tio­nen und ihre Funk­ti­ons­trä­ger, die den demo­kra­ti­schen Rechts­staat schüt­zen sollen – und nicht gefähr­den. Diese Gefähr­dung aber ist real, schaut man sich an, welche Befug­nisse und Instru­mente deren Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­tern zur Ver­fü­gung stehen. „Poli­zis­ten und Sol­da­ten dürfen Waffen tragen und sie im Ernst­fall auch ein­set­zen, Rich­te­rin­nen dürfen den Frei­heits­ent­zug anord­nen und Haft­stra­fen ver­hän­gen, Polizei und Ver­fas­sungs­schutz dürfen Men­schen über­wa­chen und sie (…) prä­ven­tiv in Haft nehmen.“ Wenn das Ver­trauen der Bür­ge­rin­nen und Bürger in jene erschüt­tert wird, von denen sie eigent­lich Schutz erwar­ten, kommt die ganze Gesell­schaft ins Rutschen.

Wie dring­lich das Thema, wie ver­dienst­voll die Text­samm­lung tat­säch­lich ist, illus­triert der Umstand, dass die Buch­pre­miere Ende Sep­tem­ber 2019 in Berlin nicht nur heillos über­füllt war und selbst die New York Times einen Bericht­erstat­ter ent­sandt hatte. Auch das Par­la­men­ta­ri­sche Kon­troll­gre­mium für die Geheim­dienste been­dete an diesem Abend eigens seine Sitzung im Bun­des­tag früher. Fünf pro­mi­nente Innen­po­li­ti­ker von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linken wollten unbe­dingt mit­dis­ku­tie­ren, wenn es um eines der ihrer Auf­fas­sung nach drän­gends­ten sicher­heits­po­li­ti­schen Themen im Land geht. Es war kein Zufall, dass kein Fach­po­li­ti­ker der AfD unter ihnen war. Denn gerade in dieser seit 2017 im Bun­des­tag ver­tre­te­nen Partei finden sich immer häu­fi­ger Sol­da­ten und Poli­zis­ten: In der dor­ti­gen Frak­tion arbei­ten für Abge­ord­nete Per­so­nen mit lang­jäh­ri­gen und struk­tu­rier­ten Ver­bin­dun­gen ins rechts­extreme Milieu. Ebenso verhält es sich in den Landesparlamenten.

All diese Ver­bin­dun­gen und Ver­stri­ckun­gen beleuch­tet „Extreme Sicher­heit“ gründ­lich und absolut lesens­wert. Nach einer Bestands­auf­nahme der aktu­el­len Lage und deren Her­lei­tung über die zurück­lie­gen­den Jahre und Jahr­zehnte, schrei­ten die Autorin­nen und Autoren alle gefähr­de­ten gesell­schaft­li­chen Berei­che ab. Geschil­dert werden die Poli­zei­skan­dale in ganz Deutsch­land, wo sich zum Bei­spiel Beamte zu Ku-Klux-Klan-Gruppen zusam­men­ta­ten oder Daten von Poli­zei­com­pu­tern nach außen drangen. Es geht weiter mit dem Jus­tiz­ap­pa­rat, der Bun­des­wehr und dem Ver­fas­sungs­schutz. Die geschil­der­ten Fälle sind meist alar­mie­rend, ohne unnötig zu skan­da­li­sie­ren. Das braucht es gar nicht ange­sichts der zahl­lo­sen Komp­tenz­über­schrei­tun­gen durch deut­sche Beamte, die einen Eid auf jenen Staat abge­legt haben, dem sie zu schaden ver­su­chen, statt ihn zu schützen.

Ein wei­te­res Ver­dienst des Buches ist seine Ana­ly­se­fä­hig­keit und Lösungs­ori­en­tiert­heit. Die Autorin­nen und Her­aus­ge­ber belas­sen es nicht bei der Beschrei­bung des Pro­blems, sie leiten es auch her und bieten Hand­lungs­vor­schläge an. In Inter­views mit Rechts- und Poli­tik­wis­sen­schaft­lern, mit Kri­mi­no­lo­gen und Poli­zei­aus­bil­dern wird deut­lich, wie aus einem häufig archa­isch männ­li­chen Selbst­ver­ständ­nis rechte Gefolg­schafts­struk­tu­ren wachsen können. Und inwie­weit zum Bei­spiel Polizei und Bun­des­wehr, die für sich in Anspruch nehmen, ein Spie­gel­bild der Gesell­schaft zu sein, gegen­steu­ern können und sollten. Es ist weiß Gott kein leich­tes Thema, das hier behan­delt wird. Sondern eines, das nicht länger beschwie­gen werden darf. Dieses Schwei­gen durch­bro­chen zu haben, ist nicht nur ver­dienst­voll, sondern auch ein Beweis großer Sach­kennt­nis und per­sön­li­chen Mutes aller Autorin­nen und Autoren.

Mat­thias Meisner/​Heike Kleff­ner: Extreme Sicher­heit. Rechts­ra­di­kale in Polizei, Ver­fas­sungs­schutz, Bun­des­wehr und Justiz. Verlag Herder, Frei­burg i. Br. 2019, 320 S., Euro 24,-

Hinweis: Das Zentrum Libe­rale Moderne hat den Sam­mel­band mit einem Druck­kos­ten­zu­schuss unterstützt.

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