Veranstaltungsbericht: Ambivalenzen der Moderne
Woraus beziehen antiliberale Gegenbewegungen ihre Kraft und wie können wir ihnen begegnen?
Es ist die Frage, die Demokratinnen und Demokraten nicht erst seit dem Wahlerfolg Donald Trumps umtreibt und für die doch noch keine eindeutige Antwort gefunden wurde: Wie kommt es zum Aufstieg antiliberaler Bewegungen? Sind es die Widersprüche, Zumutungen und Ambivalenzen der Moderne selbst, die immer wieder nationalistische und autoritäre Gegenbewegungen hervorbringen?
Mit diesen Fragen eröffnete Gastgeber Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne am 14. März 2019 die zweite Podiumsdiskussion im Projekt Gegneranalyse in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Mit Prof. Dr. Irmela von der Lühe, Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, Dr. Jens Hacke, Universität Greifwald, und Tobias Rapp, Der Spiegel, sollte über die „Ambivalenzen der Moderne“ diskutiert werden.
Weshalb also bringt die Moderne von Anfang an antiliberale Gegenbewegungen hervor? Für Irmela von der Lühe ist die Frage verkehrt gestellt. Zuallererst müsse man die Moderne als Gegenbewegung zur alten Ordnung begreifen. Wir sollten also nicht fragen, was an der Moderne verkehrt sei, sondern: „Was also macht die Moderne richtig, dass sie die antiliberalen Gemüter so erregt?“
Dr. Jens Hacke hob darauf ab, dass wir es mit „Reaktionen auf Modernisierungserfahrung“ zu tun haben. Schon zu Zeiten der Weimarer Republik ging es um die Frage, wie man auf die „Fragmentierung der Gesellschaft“ reagieren solle. Damals, so Hacke, habe es eine „Obsession mit Homogenität“ gegeben, obwohl die Gesellschaft ethnisch, religiös und kulturell weit weniger heterogen war als heute. Die Ambivalenzen der Moderne wären demnach vor allem als Identitätsproblem zu begreifen. In Anbetracht des freudigen Patriotismus, der sich mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zeigte, scheint der oft zitierte Verfassungspatriotismus das Bedürfnis nach Gemeinschaft nicht zu stillen.
Auf eine besondere Gemeinsamkeit zwischen Demokratinnen und ihren Gegnern wies Tobias Rapp hin: „Der Gegner lebt in unserer Welt, er schaut die gleichen Filme, liest die gleichen Bücher.“ Nur sei die Interpretation eine andere. So sei der Blockbuster „Black Panther“ auf liberaler Seite als erster schwarzer Superheldenfilm mit starken Frauenrollen gelobt worden, während sich auch die Rechte begeistert zeigte, weil es der erste identitäre und ethnopluralistische Hollywoodfilm sei. Erst vor dem Hintergrund der Gemeinsamkeiten seien die virulenten Unterschiede zu erkennen.
Ralf Fücks verwies darauf, dass es übergreifende Motive des „Unbehagens an der Moderne“ gibt, die von Anfang an die industrielle Revolution begleiten: die Klage über die permanente Beschleunigung, die Zerstörung traditioneller Bindungen, den Verlust von Sicherheit und das ständige Überschreiten von Grenzen. Für Tobias Rapp warf das eine entscheidende Frage auf: „Ich kann mir für alle beschriebenen Probleme auch ‚linke‘ Antworten vorstellen. Warum also entscheiden sich manche für die Rechte?“
Das Podium suchte unterschiedliche Zugänge zu dieser Frage. So stellte Jens Hacke fest: „Die liberale Demokratie war dann am stärksten, wenn der Gegensatz zwischen Masse und Elite am geringsten war.“ Es gehe um Aufstiegschancen und soziale Teilhabe – etwas, das der verhältnismäßig durchlässige Politikbetrieb und der „rheinische Kapitalismus“ der alten Bundesrepublik in großem Ausmaß ermöglicht hätte. Und etwas, das angesichts heutiger Krisendynamiken – ist es der Neoliberalismus? – zusehends in Gefahr gerate.
Irmela von der Lühe richtete ihren Blick auf die neuen Bundesländer, dorthin also, wo die ultrarechten Kräfte derzeit besonders stark sind. Für sie liegt eine große Herausforderung in den transgenerationalen Brüchen, die die Deutsche Einheit im Osten verursacht habe. Besonders im Fehlen einer demokratischen Tradition und der Abwertung von Lebensläufen seien Gründe für die Erfolge der Rechten zu suchen. Das Versprechen der Demokratie habe sich für viele Ostdeutsche als demütigende Erfahrung entpuppt.
Eine These, die auf dem Podium und im Publikum für Widerspruch sorgte. Schließlich sei die „Wiedervereinigung“ auch eine Befreiung für Millionen von Menschen gewesen, die ihnen individuelle Chancen eröffnete, sanierte Städte und eine moderne Infrastruktur. Für von der Lühe nicht der Kern des Problems: Sie stellt die enttäuschten Erwartungen in den Vordergrund, die der Anschluss an die Bundesrepublik für viele Ostdeutsche bedeutete. Es gebe ein lange aufgestautes „Unmutpotential“, das aus der „Anomiekrise“ der Einigung erwachse, ergänzte Politikwissenschaftler Hajo Funke, der sich unter den zahlreichen Gästen befand.
Die These, dass vor allem die „neoliberale Phase“ der 90er Jahre den Boden für die rechtspopulistische Welle gelegt hätten, blieb allerdings nicht unwidersprochen. Von der Pflegeversicherung bis zum Elterngeld und der Kinderbetreuung sei der bundesdeutsche Wohlfahrtsstaat weiter ausgebaut worden, die Sozialleistungsquote weiter gestiegen. Kulturelle Motive wie Fremdenfeindlichkeit und Abwehr der Geschlechterrevolution bildeten mindestens so sehr den Resonanzboden für die „Neue Rechte“ wie Erfahrungen sozialer Deklassierung und Abstiegsängste.
Am Ende einer regen Diskussion – auch zwischen dem Podium und den Gästen – ließ sich der gemeinsame Nenner wohl so formulieren: Antiliberale werden immer dann stark, wenn es heftige gesellschaftliche Umbrüche gibt, so Ralf Fücks. Mit einem „antiliberalen Grundrauschen“ müssten wir immer rechnen. Es sei aber ein Unterschied ums Ganze, ob die Gegner der liberalen Demokratie eine randständige Minderheit bilden oder ob ihnen – wie in den USA, in Ungarn oder Italien – der politische Durchbruch gelingt. „Die liberale Demokratie muss unter Beweis stellen, dass sie in der Lage ist, mit sozialen, technischen und kulturellen Umwälzungen produktiv umzugehen“, fasste Fücks letztlich zusammen.
Die gesamte Diskussion kann auf Soundcloud, Spotify und iTunes als Podcast nachgehört werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Hier können Sie die Aufzeichnung der Veranstaltung als Video ansehen:
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.