Rätsel und Komplott

Die Mond­lan­dung ein Fake? Das behaup­tet eine ver­brei­tete Ver­schwö­rungs­theo­rie. Foto: Castleski/shutterstock.com.

Ver­schwö­rungs­theo­rien hat es auch schon vor der Corona-Krise gegeben. Ein Blick auf ihre Attrak­ti­vi­tät – und ihre Dechiffrierung.

Das Virus war neu. Und es raffte viele dahin. Der Ursprung aber war völlig unklar. So klang die Geschichte zunächst plau­si­bel. „AIDS. Man Made in USA“, titelte 1987 die linke „tages­zei­tung“. Zwei renom­mierte Zeugen bot das Blatt für die These auf, dass der Erreger der Immun­krank­heit aus einem Labor der US-Armee stamme: Schrift­stel­ler Stefan Heym inter­viewte den Bio­lo­gen Jakob Segal von der Ost-Ber­li­ner Hum­boldt-Uni­ver­si­tät. Pro­mi­nenz schützt nur vor Unfug nicht. Die Geschichte war im Kalten Krieg von öst­li­chen Geheim­diens­ten lan­ciert. Das Ziel: Das Ver­trauen in die USA zu untergraben.

Stephan Heym ist längst tot und auch Jakob Segal als wis­sen­schaft­li­cher Ver­tre­ter der Anklage ist ver­stor­ben – nur die These, dass AIDS vom US-Militär geschaf­fen worden sei, hält sich noch immer. Ver­schwö­rungs­theo­rien haben eine lange Halb­werts­zeit – und eine lange Geschichte. Ein Blick zurück:

Min­der­hei­ten als schein­bar Ver­ant­wort­li­che: Schon immer haben die Men­schen Uner­klär­li­ches gern auf andere zurück­ge­führt. Oft suchten sie für Pest, Hunger und andere Unbill nach schein­bar Ver­ant­wort­li­chen. Dabei gerie­ten Min­der­hei­ten in den Fokus, etwa Juden. 1287 wurde am Rhein nahe Mainz ein totes Kind ange­spült. Bald geriet die jüdi­sche Gemeinde in Ver­dacht. Das Ste­reo­typ vom Ritu­al­mord von Kindern zum Pessach-Fest war geboren. Er diente als Vorwand für furcht­bare Pogrome. Hein­rich Heine widmete dem Gesche­hen später die Erzäh­lung „Der Rabbi von Bacha­rach“. Doch lite­ra­ri­sche Über­hö­hung nützt wenig. Der jüdi­schen Min­der­heit wurden im Mit­tel­al­ter tote Kinder und Brun­nen­ver­gif­tung zu Pest-Zeiten ange­dich­tet. Anti­se­mi­ti­sche Ste­reo­type über­dau­ern bis heute: „Anti­se­mi­tis­mus hat immer etwas mit der Ver­gan­gen­heit zu tun und bezieht sich immer wieder auch auf aktu­elle Dis­kurse. Bedient werden klas­si­sche Ste­reo­type wie ‚jüdi­sche Welt­ver­schwö­rung‘ oder ‚Welt­fi­nanz­ju­den­tum‘“, so Meron Mendel von der Bil­dungs­stätte Anne Frank in Frankfurt.

Dis­kri­mi­nie­rung zielt auch gegen andere. So pole­mi­siert Ungarns Premier Viktor Orban mit anti­se­mi­ti­schen Ste­reo­ty­pen nicht nur gegen George Soros. Auch gegen Sinti und Roma zieht Orban zu Feld. Die Min­der­heit tauchte um 1400 erst­mals in Lübeck auf, zunächst als exo­tisch betrach­tet und mit Send­schrei­ben von Papst und Kaiser ver­se­hen auch respek­tiert. Das sollte sich ändern. Die Liste der Anschul­di­gun­gen ist lang, sie reicht von angeb­li­cher Kin­des­ent­füh­rung bis zur Spio­nage für fremde Mächte.

Frauen gerie­ten als Hexen ins Visier der Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker. Irr­glaube lautete der Vorwurf. „Hexen­ham­mer“ heißt das Buch des Paters Hein­rich Kramer, das 1486 die theo­lo­gi­schen Ver­feh­lun­gen auf­lis­tete und bis ins 17. Jahr­hun­dert in Umlauf war. His­to­ri­ker zeigten später, dass die Hoch­phase der Hexen-Ver­fol­gun­gen in die Zeit zwi­schen 1400 und 1700 fällt, eine Ära, auch als kleine Eiszeit bekannt, die von Miss­ern­ten gepaart mit reli­giö­ser Ver­un­si­che­rung geprägt war. Abwei­chung von der reinen Lehre war stets gefähr­lich – auch in anderen ortho­do­xen Bewe­gun­gen. Wo nach Kon­for­mi­tät gestrebt wird, wird es für Min­der­hei­ten gefährlich.

Sehn­sucht nach Erlö­sung: Gerät die Welt aus den Fugen, wächst das Gefühl für Endzeit und Apo­ka­lypse. Der Pre­di­ger Joachim von Fiore sah im Mit­tel­al­ter die Rück­kehr des Hei­li­gen Geistes für das Jahr 1260 kommen. Kein Zufall, dass der Anbruch des himm­li­schen Reiches auf Erden mit dem Unter­gang der welt­li­chen Ordnung zusam­men­fiel. 1250 war Fried­rich II. gestor­ben, der letzte Kaiser aus dem Haus der Staufer. Eine herr­schafts­lose Zeit brach an – und Sehn­sucht nach Erlösung.

Die lässt sich auch in irdi­schen Heils­brin­gern finden. Fried­richs Groß­va­ter Bar­ba­rossa ertrank 1190 auf einem Kreuz­zug. Die Heimat mochte den fernen Tod des Kaisers nicht glauben. So hielt sich die Sage, Bar­ba­rossa warte in den Tiefen des Kyff­häu­ser und werde wie­der­kom­men, wenn die Zeit reif sei. Das 19. Jahr­hun­dert wollte Kaiser Wilhelm I. mit dem Kyff­häu­ser-Denkmal ein­rei­hen in die Liste großer Herr­scher. Heute lädt die AfD dort zu Treffen. Die Neue Rechte sucht Erlö­sung in der alten Ordnung.

Flucht aus der eigenen Ver­ant­wor­tung: Der Stern über dem Stall von Beth­le­hem – Wunder münden in Erfolgs­ge­schich­ten. Ver­schwö­rungs­theo­rien enden im Unter­gang. US-Prä­si­dent John F. Kennedy oder Papst Johan­nes Paul I.? Gemeu­chelt. Wahl­weise von der CIA oder dunklen Kräften im Vatikan. Wie sollte sich das Schei­tern von Hoff­nungs­trä­gern auch anders erklä­ren. Wen wundert’s, dass das eigene hin­läng­li­che Ich in solch einer dunklen Welt nicht vor­an­kommt. Die Flucht aus der eigenen Ver­ant­wor­tung macht Ver­schwö­run­gen so attrak­tiv. Und zugleich den Opti­mis­mus des Libe­ra­lis­mus für Anhän­ger solcher Thesen ebenso ver­däch­tig wie linke Verheißungen.

Der Ein­zelne erlebt in der Neuzeit einen unge­kann­ten Kon­troll­ver­lust. Unsi­cher­hei­ten und Ver­schwö­rungs­theo­rien gedei­hen in Umbruch­pha­sen mit brö­ckeln­der Ordnung. So ist es nicht über­ra­schend, dass in Zeiten der strau­cheln­den Ord­nungs­macht USA die wirren Mut­ma­ßun­gen blühen. Die Mond­lan­dung 1969? Perfide in der Wüste insze­niert. Die Ana­lo­gie zu Platons Höh­len­gleich­nis ist auf­fal­lend: Man muss nur genau hin­schauen. Chem­trails am Himmel ver­ne­beln die Sinne, Bill Gates greift über Impf­ak­tio­nen und inji­zierte Nano­chips nach der Welt­macht. Den vielen Ver­schwö­run­gen ist einiges gemein­sam: Anti-Estab­lish­ment und Anti-Ame­ri­ka­nis­mus, gern gepaart mit Anti­se­mi­tis­mus. Über­schnei­dun­gen zur Rechten sind nicht zufällig.

Rätsel und Kom­plotte“ heißt ein Buch des Sozio­lo­gen Luc Bol­tan­ski. Er unter­sucht die Stö­run­gen der Ordnung. Ver­schwö­rungs­theo­rien beruhen auf dem „starken Gefühl“, dass „hinter dem äußeren Anschein, dessen unmit­tel­ba­rer Sinn sich ver­flüch­tigt hat, etwas ver­steckt liegt“, so Bol­tan­ski. Das Rätsel zielt auf ratio­nale Lösung, das Kom­plott auf Para­noia. Das macht sie so attrak­tiv. Nicht jede krude These lässt sich so leicht wider­le­gen wie ein gefake­des AIDS-Interview.

 

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