Jörg Urban und der Sachsen-AfD steht ein heißer Herbst bevor

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Im Macht­kampf um die Aus­rich­tung der AfD wächst die Kritik am säch­si­schen Lan­des­vor­sit­zen­den Jörg Urban. Obwohl der den Schul­ter­schluss mit dem „Flügel“ sucht, gilt er einigen als nicht radikal genug.

Wie sehr die radikal rechte Grup­pie­rung namens „Der Flügel“ rund um den Bran­den­bur­gi­schen AfD-Kopf Andreas Kalbitz und sein Thü­rin­ger Pendant Björn Höcke derzeit ver­sucht, zahl­rei­che Lan­des­ver­bände der Partei auf ihre Linie zu bringen, ist weithin bekannt.

Bisher unter­halb dem Radar der Öffent­lich­keit bahnt sich nun auch ein Macht­kampf um die AfD in Sachsen an. Nament­lich geführt wird er von gemä­ßigt Rechten wie dem Ham­bur­ger Lan­des­ver­band der Partei sowie Dieter Stein, dem Chef­re­dak­teur der „Jungen Frei­heit“, einer­seits und dem neu­rech­ten Autor Bene­dikt Kaiser aus dem Schnell­ro­daer Umfeld des Ver­le­gers Götz Kubit­schek ande­rer­seits. Im Feuer steht dabei Jörg Urban, Lan­des­vor­sit­zen­der und Spit­zen­kan­di­dat der Sachsen-AfD bei der am Sonntag anste­hen­den Land­tags­wahl. Aus Sicht von Kaiser ist Urban offen­bar nicht radikal genug und liefert zu wenig, was für Letz­te­ren als Bot­schaft sehr bitter sein muss, so sehr wie er sich dem „Flügel“ gerade erst bei dessen all­jähr­li­chem „Kyff­häu­ser­tref­fen“ ange­dient hat.

Gegen Ende dieses Tref­fens, das vor allem eine Höcke-Show war, traten die Spit­zen­kan­di­da­ten der Partei im Osten auf. Dar­un­ter auch Jörg Urban, der eine poli­tisch schil­lernde oder besser schlän­gelnde Ent­wick­lung auf­weist. In der DDR war er Mit­glied der Umwelt­be­we­gung „Grüne Liga Sachsen“, Jahr­zehnte später kurz­zei­tig Teil der „Pira­ten­par­tei“. Längst aber ist er ein stram­mer AfD.ler ohne Berüh­rungs­ängste zum „Flügel“. So hatte er im Spät­som­mer des letzten Jahres keine Hem­mun­gen, Seite an Seite gemein­sam mit Björn Höcke, Andreas Kalbitz und „Pegida“-Gründer Lutz Bach­mann beim soge­nann­ten „Schwei­ge­marsch“, dem sich auch Rechts­extreme anschlos­sen, durch Chem­nitz zu ziehen. Damals träumte er, wie der „Focus“ berich­tete, gar davon, mög­li­cher­weise sogar Regie­rungs­ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Das klang so: „Wenn die CDU wei­ter­hin an ihrer Politik der offenen Grenzen fest­hält, treibt sie uns die Wähler direkt in die Arme. Ich schließe nichts aus, viel­leicht kommen wir auch an die 40 Prozent ran“. Nun ja. Aktuell liegt die AfD in Sachsen bei 25 Prozent.

Urban sprach beim „Kyff­häu­ser­tref­fen davon, dass es „schön“ sei, unter „Gleich­ge­sinn­ten“ zu sein und attes­tierte dem „Flügel“, „stand­fest“ geblie­ben zu sein. Doch offen­bar betrach­ten ihn umge­kehrt nicht alle Ver­tre­ter des radi­ka­len Teils der Neuen Rechten als einen Gleich­ge­sinn­ten. Zumin­dest tut Bene­dikt Kaiser das nicht. Am 20. August ver­öf­fent­lichte Kaiser auf dem von Götz Kubit­schek betrie­be­nen Portal „sezession.de“ einen Text, der es in sich hat. Der Titel lautet „Notizen zur Sach­sen­wahl (1)“. Kaiser greift darin Aus­füh­run­gen auf, die er zuvor im gedruck­ten Heft der „Sezes­sion“ zum Thema „Sachsen“ getä­tigt hatte und wirft der dor­ti­gen AfD vor, bei der Kom­mu­nal­wahl Ende Mai „in etli­chen Klein- und Mit­tel­städ­ten gar nicht erst zur Wahl an(getreten)“ zu sein. Über­haupt fehle es „noch immer“ an der Ent­wick­lung „einer gras­wur­zel­ar­tige, alter­na­tive Nach­bar­schafts­po­li­tik“, welche „die unver­zicht­bare Grund­lage einer jeden basis­na­hen Bewe­gung“ dar­stelle. Zu sehr sei man „davon über­zeugt, es doch auch so mit einem Selbst­läu­fer zu tun zu haben – solange man 25 Prozent plus erreicht“. Tat­säch­lich aber sei die lokale Ver­an­ke­rung wichtig, falls „über­re­gio­nal mobi­li­sier­fä­hige Themen mit­tel­fris­tig“ ausbleiben.

Sodann setzt Kaiser zum Fron­tal­an­griff an und befürch­tet, „dass einige Per­so­nen im Lan­des­vor­stand diese Not­wen­dig­keit (noch?) gar nicht rea­li­sie­ren“. Deren „bis­wei­len gar arro­gant anmu­ten­der Blick“ richte „sich nur aufs Par­la­men­ta­ri­sche und auf mög­li­che selig­ma­chende Koali­tio­nen“. Anders als in „Bran­den­burg oder Thü­rin­gen“ fehle es „nach wie vor an ‚orga­ni­schen Poli­ti­kern‘ an der Sach­sen­spitze“, die „über ein poli­tik­theo­re­ti­sches Grund­ge­rüst ver­fü­gen“. Im Ver­gleich zu Bran­den­burg hänge „der säch­si­sche Wahl­kampf an einigen wenigen Per­so­nen der Basis“ und ver­laufe schlep­pend. Die Spitze, so Kaiser mit voller Breit­seite, agiere „nicht pro­fes­sio­nell“ und ver­passe „diese his­to­ri­sche Chance“. Davon nimmt er, und das ist das eigent­lich Inter­es­sante, nur zwei Per­so­nen aus, zu denen der Lan­des­vor­sit­zende Jörg Urban nicht gehört  Das klingt so:

Man glaubt bis­wei­len kaum, dass jemand aus dieser Mann­schaft ernst­haft in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung treten möchte. Leute vom Format eines Tino Chrup­alla oder Maxi­mi­lian Krah sind „oben“ allein auf weiter Flur – und die beiden Genann­ten kennen eigent­lich andere Schwer­punkte ihrer Arbeit im Bund und in Europa.“

Aber es kommt noch bit­te­rer für Urban, denn Kaiser zieht einen direk­ten Ver­gleich zu Höcke und Kalbitz:

Hinzu kommt, dass der Wahl­kampf – für Außen­ste­hende wie viele AfD-Mit­glie­der – so wirkt, als ob er »vor sich hin plät­schert«. Es mangelt an Biss, der dann, ver­gleich­bar Björn Höckes »Abschie­be­initia­tive 2020« in Thü­rin­gen oder Andreas Kalbitz‘ Auf­for­de­rung zur Zer­schla­gung linker Netz­werke, für Bericht­erstat­tung und Kon­tro­ver­sen sorgt.“

Auf­fäl­lig ist, wie anders die AfD Sachsen von Dieter Stein betrach­tet wird. Er hielt Anfang Juli im Ham­bur­ger Rathaus einen Vortrag vor der hie­si­gen AfD-Bür­ger­schafts­frak­tion, die inner­halb der AfD zu den gemä­ßig­ten Teilen zählt.

Stein übte in seinem Vortrag deut­li­che Kritik am „Flügel“ und der oftmals feh­len­den Abgren­zung zu beson­ders radi­ka­len Kräften in der Partei. Es dauere „oft viel zu lange bis sich die AfD zu Distan­zie­run­gen durch­ringt“. Zwar mache das Par­tei­en­recht Aus­schlüsse schwer, jedoch ent­lasse das „die Bun­des­spitze nicht aus der Ver­ant­wor­tung, den Kurs der AfD zu klären und Führung zu zeigen.“ Tat­säch­lich aber meine er zu beob­ach­ten, dass „bei AfD Vor­stän­den regel­mä­ßig tak­ti­sche Rück­sicht­nah­men mit Händen zu greifen (sein), weil jeder ein­zelne glaubt, beim nächs­ten Par­tei­tag auf Stimmen des „Flügels“ ange­wie­sen zu sein“. Ähnlich hatte Stein sich zuvor bereits in der „Jungen Frei­heit“ geäu­ßert. Auch habe, so Stein in der anschlie­ßen­den Publi­kums­dis­kus­sion, die AfD sich in den letzten Jahren gerade nicht in die Mitte bewegt, sondern „im Zweifel gemä­ßigte Mit­glie­der verloren.“

Was Höcke angeht, meinte Stein, der sel­bi­gen seit Jahren scharf kri­ti­siert und dessen 2018 erschie­ne­nes Buch „Nie zwei Mal in den­sel­ben Fluss“ deut­lichst ver­ris­sen hat, dass der AfD „schon gehol­fen“ wäre, „wenn er sich um seinen Lan­des­ver­band kümmert und sich auf den kon­zen­trie­ren würde.“ Sodann stellte er in Frage, dass Höcke „die große Inte­gra­ti­ons­fi­gur im Osten“ sei. Das sehe er ins­be­son­dere nach einem eigenen Besuch in Sachsen „über­haupt nicht“.

In Sachsen, so Stein in der Publi­kums­dis­kus­sion weiter, sei die AfD stärker als etwa in Thü­rin­gen, weil die han­deln­den Per­so­nen wie Jörg Urban und das Bun­des­tags­mit­glied Tino Chrup­alla selbst Sachsen seien – ein klarer Sei­ten­hieb auf die von Stein als „West­im­porte“ titu­lier­ten Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Und nicht der einzige. Für Stein gründet die von ihm iden­ti­fi­zierte Stärke der säch­si­schen AfD darauf, dass es dort keinen Spit­zen­po­li­ti­ker gebe, „der es darauf anlegt, bun­des­weit Furore zu machen“, sondern Leute, die „sich um ihren Lan­des­ver­band“ kümmern. Ein klarer Gegen­satz zu Kaisers Haltung, der, wie oben gesehen, Höcke und Kalbitz dafür lobt, „Bericht­erstat­tung und Kon­tro­ver­sen“ aus­zu­lö­sen. In Sachsen hat die AfD es aus Steins Sicht geschafft, dass es auf lokaler Ebene „halb­wegs normal“ sei, AfD-Mit­glied zu sein. Und zwar gerade nicht, weil man „klare Kante“ zeige. Alex­an­der Wolff, der Frak­ti­ons­vor­sit­zende der Ham­bur­ger AfD ergänzte, dass die säch­si­sche AfD mit „einem mode­ra­te­ren Kurs wahr­schein­lich nicht bei 20, sondern 30 oder mehr Prozent“ landen könnte.

Die Kon­flikt­li­nien rund um die säch­si­sche AfD sind damit mar­kiert. Jörg Urban steht wohl ein heißer, inner­par­tei­li­cher Herbst bevor. Das jeden­falls macht Kaiser mehr als deutlich:

Doch das Posi­tive ist: In vielen Kreis­ver­bän­den gibt es seit den Kom­mu­nal­wah­len kundige Man­dats­trä­ger, die dies ähnlich sehen und frohen Mutes an die Arbeit gingen bzw. gehen. Man steht am Anfang eines Pro­zes­ses, und es ist anzu­neh­men, dass die Sach­sen­ba­sis suk­zes­sive Per­so­nal­än­de­run­gen im Lan­des­vor­stand einleite.“

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