Vom Mut zur Moderne

(c): Alex­an­der Schank /​ Zentrum Libe­rale Moderne

Über die Auf­takt­ver­an­stal­tung „Geg­ner­ana­lyse. Anti­li­be­ra­les Denken von Weimar bis heute“

Steil sind die Ränge im weiten Rund des Tier­anato­mi­schen Thea­ters an der Ber­li­ner Charité. Es hat also schon was Inspi­rie­ren­des zum Auftakt des Pro­jekts „Geg­ner­ana­lyse. Vom anti­li­be­ra­len Denken von Weimar bis heute“ an diesen Ort ein­zu­la­den, um das Denken der Neuen Rechten zu sezie­ren. „Wie damals leben wir auch heute in einer Umbruch­zeit, in einer Phase beschleu­nig­ter Moder­ni­sie­rung, die eine große Zahl von Men­schen in Unruhe ver­setzt“, sagte Ralf Fücks vom Zentrum Libe­rale Moderne in seiner Eröff­nung. Die Wei­ma­rer Demo­kra­tie habe die geis­tige Aus­ein­an­der­set­zung ver­lo­ren, lange bevor Hitler die Macht in den Schoß gefal­len sei. „Das soll uns nicht wieder pas­sie­ren“, so Fücks. Das sei Sinn und Zweck des Projekts.

Die libe­rale Demo­kra­tie braucht Men­schen mit Mut, die sich für die offene Gesell­schaft ein­set­zen“, betonte Juliane Seifert, Staats­se­kre­tä­rin beim Bun­des­mi­nis­te­rium für Familie, Senio­ren, Frauen und Jugend, in ihrem Gruß­wort. Das Minis­te­rium fördert das Projekt aus Mitteln des Bun­des­pro­gramms „Demo­kra­tie leben“. Es gehe im Projekt „Geg­ner­ana­lyse“ nicht allein darum, „alte Nar­ra­tive zu deco­die­ren“, sondern auch darum „lange Linien der offenen Gesell­schaft kennt­lich zu machen.“ Seifert prä­sen­tierte drei Zitate aus dem Kai­ser­reich, der Wei­ma­rer Repu­blik und der Bun­des­re­pu­blik von heute, um auf sich wie­der­ho­lende Muster anti­de­mo­kra­ti­schen Denkens hin­zu­wei­sen. Sie rief dazu auf, die Aus­ein­an­der­set­zung mit den Gegnern der libe­ra­len Demo­kra­tie mit Selbst­be­wusst­sein und Zuver­sicht zu führen.

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Schmitt, Heid­eg­ger, Jünger – drei Denktraditionen

Micha Brumlik legte diese Fäden an drei prä­gen­den anti­li­be­ra­len Denkern offen.

  • Der Jurist Carl Schmitt (1888–1985) führte mit seiner poli­ti­schen Theo­lo­gie in den 20er-Jahren das Freund-Feind-Denken in die Politik als „prä­gende Kon­stante“ (Brumlik) ein. Das libe­rale Ver­fah­ren des Ver­han­delns, Kom­pro­mis­ses und Aus­gleichs ist in einer solchen Politik nicht vor­ge­se­hen. Mit seiner Vor­stel­lung von einer „Iden­ti­tät von Regie­ren­den und Regier­ten“ schal­tet Schmitt gleich­sam den freien Willen des Indi­vi­du­ums aus. Homo­ge­ni­tät wird die bestim­mende Kon­stante seiner poli­ti­schen Theologie.
    Brumlik: „Eine solche ima­gi­nierte Einheit von Führer und Geführ­ten steht im offenen Wider­spruch zur Plu­ra­li­tät der libe­ra­len Gesellschaft.“
  • Der Phi­lo­soph Martin Heid­eg­ger (1889–1976) sprach in seinem Buch „Sein und Zeit“ (1927) vom kol­lek­ti­ven Schick­sal als bestim­mende Macht. Das Leben der Ein­zel­nen sei unlös­bar mit der Volks­ge­mein­schaft ver­wo­ben. Heid­eg­ger ver­fehle mit seiner Beschwö­rung der homo­ge­nen Gemein­schaft den kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Plu­ra­lis­mus der moder­nen Gesellschaft.
  • Der Schrift­stel­ler Ernst Jünger (1895–1998) wie­derum heroi­sierte in seinen Erin­ne­run­gen an den Ersten Welt­krieg („In Stahl­ge­wit­tern“, 1920) den Kampf als Daseinsform.

Die Jour­na­lis­tin Ellen Daniel schaute auf Alain de Benoist und die Nou­velle Drotie in Frank­reich. Anti-ega­li­tär, anti-kle­ri­kal, anti-west­lich – Benoist koket­tierte gern mit dem Zeit­geist, um sich dann nach rechts­au­ßen von ihm abzu­set­zen. Inzwi­schen hat Benoist auch die öko­lo­gi­sche Frage ent­deckt und sti­li­siert sich als Vor­kämp­fer der Anti­wachs­tums­be­we­gung. Seine Selbst­be­schrei­bung als „nicht rechts, nicht links“ bezeich­nete Daniel als „Eti­ket­ten­schwin­del“ – Benoist weise alle Merk­male rechts­extre­men Denkens auf.

Der His­to­ri­ker und Publi­zist Volker Weiß verwies bei seiner Beschrei­bung der Neuen Rechten auf das habi­tu­elle Element: „Wir beob­ach­ten eine neue Form des Neo-Aris­to­kra­ti­schen“, so Weiß, mit der sich ihre Anhän­ger von der Masse abset­zen. Der elitäre Gestus ent­spricht dem anti-ega­li­tä­ren Denken der Neuen Rechten. Weiß plä­dierte für eine schär­fere Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen kon­ser­va­ti­ven, rechts­po­pu­lis­ti­schen und faschis­ti­schen Posi­tio­nen. Man solle den Rechts­extre­men nicht gestat­ten, sich als kon­ser­va­tiv zu drapieren.

Brüche der Moderne und die Nation als Zukunftsgemeinschaft

Wie Weiß verwies auch Micha Brumlik mit Blick auf „Die Dia­lek­tik der Auf­klä­rung“ von Theodor Adorno und Max Hork­hei­mer auch auf die inneren Wider­sprü­che der libe­ra­len Moderne. Beim Blick auf die 20er-Jahre und die Gegen­wart lassen sich einige Gemein­sam­kei­ten beob­ach­ten. „Es wächst die Angst vor der Zukunft. Kul­tur­pes­si­mis­mus, Abstiegs­ängste, Suche nach Sicher­heit in der Volks­ge­mein­schaft – das ist der Boden, auf dem auch heute die Revolte gegen die libe­rale Demo­kra­tie wächst“, stellte Ralf Fücks fest. Volker Weiß sprach mit Blick auf Kurt Lenk vom „Natio­na­lis­mus als ewiges Ideenreservoir“.

Wo der Natio­na­lis­mus regiert, ver­schwimmt der ein­zelne in der Masse, die Volks­ge­mein­schaft duldet kein selbst­be­stimm­tes Indi­vi­duum. Micha Brumlik stellte Herders orga­ni­schem Ver­ständ­nis der Nation als Abstam­mungs­ge­mein­schaft das Ver­ständ­nis Ernest Renans von der Wil­lens­ge­mein­schaft gegen­über. Statt die Nation durch Her­kunft zu defi­nie­ren, müsse man sie als Zukunfts­ge­mein­schaft ver­ste­hen. Die aktu­elle Debatte um die Frage „Wer gehört denn nun dazu, zur Nation?“ lässt sich in der offenen libe­ra­len Gesell­schaft damit pro­gres­siv wenden. Die Nation liegt nicht nur hinter uns.

Mit Rechten reden?

Stellt sich die Frage, wie eigent­lich umgehen mit der neuen Rechten. Micha Brumlik sah keinen Sinn darin, offenen Ras­sis­ten auch noch ein Podium zu bieten. Volker Weiß mochte nicht pau­schal von „der Rechten“ spre­chen, er warb für Bin­nen­dif­fe­ren­zie­run­gen. „Ich lege Wert darauf, nicht alles, was als neu erscheint und rechts blinkt, als neue Rechte zu titu­lie­ren. Das sollten wir mit klaren Begrif­fen auf den Punkt bringen und unter­schei­den, wer völ­kisch-natio­nal, kon­ser­va­tiv oder offen faschis­tisch ist“

Was lässt sich aus dem Schei­tern der Wei­ma­rer Repu­blik lernen? Micha Brumlik mochte bei Kurt Tuchol­sky oder Carl von Ossietzky als links­li­be­rale Vor­kämp­fer einer offenen Gesell­schaft „keine großen Fehler“ erken­nen. „Das Insti­tu­tio­nen­ge­füge der Wei­ma­rer Ver­fas­sung war viel schwä­cher aus­ge­legt“, sagte Brumlik. Volker Weiß erkannte als His­to­ri­ker mit Blick Kon­ti­nui­tä­ten in den Denk­tra­di­tio­nen, als Publi­zist der Gegen­wart stellte er fest. „Die Gesell­schaf­ten von Weimar und heute sind völlig unter­schied­lich kon­sti­tu­iert.“ Am Ende eines Abends stand libe­rale Zukunfts­ge­wiss­heit gegen neu­rechts-pes­si­mis­ti­sche Untergangsphantasien.

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