Männlichkeit
In den kulturpessimistischen Zeitdiagnosen der radikalen Rechten wurden und werden gesellschaftliche Krisen fast immer auch als Krisen der Männlichkeit analysiert. So hätten etwa die Entmystifizierung der Welt, die Zivilisierung der modernen Gesellschaft, der technische Fortschritt und die Formalisierung von Konfliktlösungen durch die Politik zur Verflachung, Verweichlichung und Domestizierung des Mannes geführt.
Die gesellschaftliche Ordnung, die die radikale Rechte wiederherstellen will, ist maßgeblich über die Einhaltung von geschlechtlichen Rollenmustern bestimmbar. Es wird mit angeblichen anthropologischen Konstanten argumentiert, denen zufolge Vitalität und Männlichkeit miteinander verbunden seien. Geschichtsmächtige Tatkraft sei dementsprechend eine männliche Qualität und darum sei eine entsprechende Organisierung der Gesellschaft notwendig. Abweichende Geschlechterrollen in Familie und Gesellschaft werden als widernatürlich und schädlich angesehen und als Zerfallserscheinungen gedeutet.
Diese Vorstellungen haben lang zurückreichende ideengeschichtliche Vorläufer. Der Philosoph Julius Langbehn (1851–1907) beklagte etwa bereits 1890 in „Rembrandt als Erzieher“ die „Degeneration“ seiner Zeit und stellte ihr ein zu revitalisierendes Männlichkeitsideal entgegen. Für den Philosophen Oswald Spengler (1880–1936) galt die Blüte einer Kultur als „Männlichkeit“, deren Rückbildung dagegen als Merkmal kulturellen Niedergangs.
Im deutschsprachigen Raum entfaltete auch die 1903 veröffentlichte Schrift „Geschlecht und Charakter“ des österreichischen Philosophen Otto Weininger (1880–1903) großen Einfluss. Hierin wurde Männlichkeit mit Rationalität, Vitalität, Vernunft, aber auch mit Tapferkeit und Heldenmut verknüpft. In der Männlichkeit erkannte Weininger ein idealistisches Prinzip wirken, dem er die Weiblichkeit zersetzend gegenüberstellte, da sie materialistisch und dem Genuss verfallen sei. In dem er ferner das Jüdische mit dem Weiblichen assoziierte, formte er in seiner Schrift ein gleichermaßen frauenfeindliches wie antisemitisches Weltbild.
Der Psychologe Hans Blüher (1888–1955) stellte seinerseits Studien zum Männerbund und der Wandervogelbewegung an. Auch er verband in seiner Schrift „Der bürgerliche und der geistige Antifeminismus“ (1916) Antisemitismus mit Männlichkeitskult: Das Judentum sei als minderwertig zu betrachten, da in ihm weibliche Werte dominierten und eine „Männerbundschwäche“ herrsche. Ulrike Brunotte beschreibt die Haltung Blühers als Folge der Erschütterung von Geschlechteridentitäten zur Zeit der Jahrhundertwende. Nach 1900 seien Vorstellungen von hyperviriler Männlichkeit entstanden, die den vermeintlichen Bedrohungen einer als ‚weiblich‘ und zugleich ‚jüdisch‘ empfundenen Kultur der Moderne widerstehen sollten. Die Vorstellung eines „wilden Kriegers“ und stammesgeschichtliche Initiationsriten hätten hierdurch an Bedeutung gewonnen.
Ein wichtiges Ideal der radikalen Rechten ist zudem das einer kriegerischen Männlichkeit, die mit militaristischen Vorstellungen verknüpft ist. Die menschliche Geschichte wird als zyklenhafte Abfolge von Kampf, Krieg und dem Ringen um Herrschaft begriffen. Um eine Gesellschaft ‚geschichtstüchtig‘ zu halten, sei sie darum in wesentlichen Bereichen nach militärisch-hierarchischer Logik zu gestalten und hierzu sei der Mann prädestiniert. Nicht selten wird eine idealisierte Vorstellung der Gesellschaftsordnung des antiken Sparta zum Vorbild erklärt. Männlichkeit realisiere sich idealtypisch auf dem Schlachtfeld.
In der radikalen Rechten sind heroisierende Auffassungen von Krieg und Konflikt weitverbreitet, weil diese wesentlich für die Konstitution von Männlichkeit seien. Kameradschaft – als soziale Bindungskraft unter männlichen Gleichgestellten in einer existenziellen Situation – sei am besten in Krieg und Konfliktsituationen erfahrbar. Krieg wird als Fortsetzung früherer Auseinandersetzungen zwischen Stämmen, Sippen und anderen sozialen Einheiten angesehen und verherrlicht. Männlichkeit kann in der radikalen Rechten affirmativ als „barbarisch“ betrachtet werden, denn im Kampf trete Männlichkeit zutage und könne ausagiert und für die zivilisierte Gegenwart eingehegt werden. Männerbünde werden vielfach als Organisationsformen gesellschaftlicher Eliten begrüßt, wozu unter anderem studentische Verbindungen zählen.
Der Schriftsteller Ernst Jünger (1895–1998) verherrlichte in seinem Werk Krieg, Heroismus und Männlichkeit. Wie Irmela von der Lühe schreibt, finde sich in seinen Essays eine Begeisterung für den Krieg, der „befreit und erlöst“ sei „aus einer ereignislosen und doch dekadenten, technisierten und doch monotonen Wirklichkeit; im Krieg wachen die Urkräfte des Menschen (vor allem des Mannes!) endlich wieder auf, er stiftet wahre Gemeinschaft, er aktiviert ein brachliegendes Triebleben.“ Gleichwohl war Jüngers Verhältnis zum modernen Krieg ambivalent. Die Technisierung, Stellungskrieg und Giftgaseinsatz degradieren nach seiner Ansicht den Soldaten zum Kanonenfutter. Eine echte ritterliche Begegnung im Kampf Mann gegen Mann sei daher unmöglich geworden.
In jüngerer Zeit wird in der radikalen Rechten das auf Platon zurückgehende und von Peter Sloterdijk diskutierte Konzept des Thymos rezipiert. Thymos beschreibt zornige Leidenschaft oder rohe Lebenskraft und sei eine der grundsätzlichen menschlichen Gefühlslagen. Sie ist stark mit Männlichkeit konnotiert. Eine Überbetonung des Logos (Verstandeskraft) sorge für eine „thymotische Unterversorgung“, so der Sloterdijk-Schüler und Bundestagsabgeordnete Marc Jongen. Diese Unterversorgung sei ein Merkmal zerfallender, überregulierter Gesellschaften.
In der westlichen Welt und besonders in Deutschland sei derzeit zudem eine „große Verschwulung“ zu beobachten, beklagte der Schriftsteller Akif Pirinçci 2015. Während Homosexualität bei Einzelpersonen – auch im eigenen Lager – oft durchaus als unproblematisch betrachtet wird, wird die breite Anerkennung nicht-heterosexueller Lebensentwürfe als gesellschaftszerstörend abgelehnt und unter anderem mit einer Entmännlichung beziehungsweise Feminisierung der Gesellschaft assoziiert.
Damit in Zusammenhang steht, dass Antifeminismus ein bedeutendes, mobilisierendes Thema in der radikalen Rechten ist. Feminismus, Gender Studies, „political correctness“, „gender mainstreaming“ werden als ideologische Irrlehren und widernatürliche und verderbliche Gesellschaftsexperimente verdammt.