Lega Nord in Italien: „Viel Feind, viel Ehr“

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Matteo Salvini, Chef der frem­den­feind­li­chen Lega Nord in Italien koket­tiert offen mit dem faschis­ti­schen Erbe Benito Mus­so­li­nis. Ein Porträt in 4 Posts.

Am besten fühlt er sich, wenn er ange­grif­fen wird. Haupt­sa­che, er ist im Gespräch, im Mit­tel­punkt der öffent­li­chen Debatte. Und so postete Ita­li­ens Innen­mi­nis­ter und Vize­pre­mier Matteo Salvini, Chef der rechts­po­pu­lis­ti­schen Lega, auf Twitter: „Tanti nemici, tanto onore“ – „viel Feind, viel Ehr“. Das geflü­gelte Wort hatte vor fünf­hun­dert Jahren Georg von Frund­s­berg, Lands­knechts­füh­rer in kai­ser­lich-habs­bur­gi­schen Diens­ten, in die Welt gesetzt. Das weiß in Italien kaum jemand. Aber dass sich Mus­so­lini einst mit den Worten „molti nemici, molto onore“ brüs­tete, was jus­ta­ment das­selbe bedeu­tet, weiß in Italien jeder – spä­tes­tens seit dem 29. Juli 2018, nachdem Salvini die Worte des Duce, leicht abge­wan­delt, get­wit­tert hatte. Und wie es der Zufall so will, ist Mus­so­lini an einem 29. Juli geboren. Salvini spielt gerne mit geziel­tem Tabubruch.

Ein Mann der sozia­len Medien

Auf Face­book hat Vize­pre­mier Salvini 3,3 Mil­lio­nen Freunde und nimmt damit in Italien eine einsame Spit­zen­po­si­tion ein. Auch auf Twitter, Insta­gram, Youtube ist er omni­prä­sent. Wie kein zweiter ita­lie­ni­scher Poli­ti­ker ver­steht er es, über die sozia­len Medien zu kom­mu­ni­zie­ren, Themen zu setzen, seine Macht aus­zu­bauen. Luigi di Maio, Arbeits­mi­nis­ter und eben­falls Vize­pre­mier, zudem Chef der links­po­pu­lis­ti­schen Fünftster­ne­be­we­gung, die aus den Wahlen vom März 2018 als stärkste Partei her­vor­ge­gan­gen ist, steht inzwi­schen ganz im Schat­ten Sal­vi­nis. Und Minis­ter­prä­si­dent Giu­seppe Conte, den im Ausland kaum einer kennt, ist nicht viel mehr als Aus­hän­ge­schild, Gali­ons­fi­gur, Früh­stücks­di­rek­tor. Seinen Job hat der farb­lose Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor für Pri­vat­recht nur dem Umstand zu ver­dan­ken, dass keiner seiner beiden Stell­ver­tre­ter dem andern den Vor­tritt lassen wollte.

Der starke Mann in der unhei­li­gen Allianz von Rechts- und Links­po­pu­lis­ten ist also ein­deu­tig Salvini. Di Maio getraut sich nicht, die in seiner Fünf­sterne-Bewe­gung umstrit­tene Regie­rungs­ko­ali­tion platzen zu lassen. Denn alle Umfra­gen zeigen, dass aus Neu­wah­len die Lega von Salvini gestärkt her­vor­ge­hen würde. Wer aber ist dieser Salvini, der sich gerne als „Capi­tano“ anspre­chen lässt, als „Kapitän, Anfüh­rer“? Mit dem „Duce“ (Führer) hat er einiges gemein­sam. Beide arbei­te­ten als Jour­na­lis­ten bei den Zei­tun­gen ihrer Partei, Salvini bei „La Padania“ („Die Po-Ebene“), der Tages­zei­tung der Lega Nord, wie die Partei bis vor einem Jahr hieß. Mus­so­lini war Chef­re­dak­teur von „L’Avanti“, Organ der Sozia­lis­ti­schen Partei Ita­li­ens (PSI). Während der „Duce“ einst ein Expo­nent des linken Flügels des PSI war, gehörte der „Capi­tano“ inner­halb der Lega Nord zunächst der Strö­mung der „Comu­nisti padani“, den „Kom­mu­nis­ten Pada­ni­ens“, an, wobei Pada­nien für das ima­gi­näre Reich Nord­ita­li­ens steht. Und wenn Salvini seinen Körper als poli­ti­sches Signal ein­setzt (sei es auf dem Sprung über ein Absperr­git­ter, sei es in Bade­hose mit Schmer­bauch posie­rend), mag dies an ein in ganz Italien bekann­tes Foto erin­nern, auf dem Mus­so­lini mit nacktem Ober­kör­per Getreide drischt. Aber solche Ver­glei­che führen nicht sehr weit. Zu unter­schied­lich sind die Zeiten und gesell­schaft­li­chen Umstände.

Die Anfänge der Lega (und Salvinis)

Kaum 17 Jahre alt, trat Salvini 1990 der erst ein Jahr zuvor gegrün­de­ten Lega Nord bei, deren obers­tes Ziel damals die Sezes­sion Nord­ita­li­ens war. Mit 20 Jahren war er bereits Mit­glied des Stadt­rats von Mailand. Bei den Par­la­ments­wah­len 1992, die zwei Monate nach Auf­de­cken eines gewal­ti­gen Kor­rup­ti­ons­skan­dals („Tan­gen­to­poli“) statt­fan­den, der in Italien die ganze poli­ti­sche Klasse hin­weg­fegte und das Ende der ersten Repu­blik ein­läu­tete, gewann die Lega Nord, obwohl sie nur im Norden ver­an­kert war, lan­des­weit mehr als acht Prozent der Stimmen. 1993 eroberte die Lega das Bür­ger­meis­ter­amt von Mailand und ein Jahr später trat sie der ersten Regie­rung unter Ber­lus­coni bei. Salvini wurde 2004 ins Europa-Par­la­ment und 2008 ins Par­la­ment Ita­li­ens gewählt. Im Dezem­ber 2013 wurde er Par­tei­chef. Mit 82 Prozent Zustim­mung hatte er die par­tei­in­ter­nen Wahlen gegen Umberto Bossi gewon­nen, der die Partei gegrün­det und fast ein Vier­tel­jahr­hun­dert lang gelei­tet hatte.

 

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Più di 3 mesi senza sig­arette! Nono­stante tutte le rotture di balle, il lavoro e gli attac­chi, si resiste?

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Freund und Feind, der Gegner wird stets gebro­chen – und sei es die Zigarette

Bossi als Förderer

In seiner Auto­bio­gra­phie, die Matteo Salvini 2016 im Alter von 43 Jahren ver­öf­fent­lichte und die er in fri­vo­ler Anspie­lung auf das Mat­thäus-Evan­ge­lium „Secondo Matteo“ („Nach Matteo“) beti­telte, bezeich­net er Bossi als seinen Mentor. Von Bossi hat Salvini in der Tat vieles gelernt: das hemds­är­me­lige Auf­tre­ten des Rabau­ken, die rotz­fre­che, ver­let­zende Sprache, die umstands­lose Ver­höh­nung des Gegners. Doch krem­pelte er den „Car­roc­cio“, wie die Partei in den Medien all­ge­mein genannt wird, inner­halb kür­zes­ter Zeit um.

Im Mit­tel­al­tar war der Car­roc­cio der von Ochsen gezo­gene vier­räd­rige Karren mit Altar, Glocke, Kreuz und Insi­gnien der ört­li­chen Macht, mit dem die nord­ita­lie­ni­schen Stadt­staa­ten in den Krieg zogen. Der Car­roc­cio ver­sinn­bild­licht die alte Lega Nord mit ihren Stan­dar­ten, his­to­ri­schen Kos­tü­mie­run­gen und dem „Va, pen­siero“, dem Gesang aus Verdis Nabucco, in dem sich die Sehn­sucht der unter die baby­lo­ni­sche Gefan­gen­schaft gera­te­nen Juden nach ihrer Heimat aus­drückt. Er wurde – aus vielen tausend Kehlen mit Inbrunst gesun­gen – zur Natio­nal­hymne Pada­ni­ens, der uner­lös­ten, von der Zen­tral­macht in Rom besetz­ten Heimat.

Unter Bossi, der gerne im grünen Par­tei­hemd auftrat, hieß der Feind noch „Roma ladrona“, das räu­be­ri­sche Rom, das über Steuern das in Nord­ita­lien erar­bei­tete Geld absahnte, in der Büro­kra­tie ver­schwen­dete und auch noch die „terún“, die faulen Süd­ita­lie­ner, durchfütterte.

 

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Der Platt­ma­cher

Die Zuwan­de­rer als neues Feindbild

Nun wurde umge­polt. Unter Salvini, der sich seinem Volk im jugend­li­chen Sport­pull­over zeigt, avan­cierte der afri­ka­ni­sche Migrant zum neuen Feind­bild. Die Parole heißt jetzt: „Prima l’Italia“, auf ame­ri­ka­nisch: „Italy first“. Aus der Lega Nord, einer sepa­ra­tis­ti­schen Regio­nal­par­tei, ist die Lega, eine ras­sis­ti­sche Natio­nal­par­tei gewor­den, die sich gegen das Diktat aus Brüssel zu wehren hat.

Den Euro bezeich­nete Salvini als „kri­mi­nelle Währung“ und die EU als „Gulag“. Er for­derte – ver­geb­lich – eine offi­zi­elle Zählung sämt­li­cher Roma und Sinti im Land, ver­sprach im Wahl­kampf, „alle 600.000 Ille­ga­len raus­zu­schmei­ßen“, begrüßte die „Wie­der­ver­ei­ni­gung“ der Krim mit Russ­land, unter­stützte im ame­ri­ka­ni­schen Wahl­kampf Donald Trump, sprach sich für die Aner­ken­nung Jeru­sa­lems als Haupt­stadt Israels aus, schlug vor, in allen Eisen­bahn­zü­gen „die vor­ders­ten beiden Wagen für Frauen zu reser­vie­ren, die sich wegen der Zudring­lich­kei­ten und Frech­hei­ten vieler Migran­ten nicht sicher fühlen können“. Dem Mann, der seine Gegner gern als „buo­nisti“ ­ Gut­men­schen ­ ver­spot­tet und sich immer wieder selbst zum Opfer sti­li­siert, ist keine Pro­vo­ka­tion zu billig. Haupt­sa­che, er kommt ins Gespräch. Er setzt die Themen, bestimmt den Diskurs und ver­schiebt dessen Koordinaten.

Bevor Salvini die Lega Nord 2013 über­nahm, war sie auf 4,1 Prozent der Wäh­ler­stim­men abge­rutscht. Bei den Wahlen im März 2018 erreichte die Lega, die im Süden als Liste „Noi con Salvini“ auftrat – „Wir mit Salvini“, lan­des­weit 17,4 Prozent. Inner­halb des rechten Lagers wurde sie damit zum ersten Mal stärkste Kraft – vor Silvio Ber­lus­co­nis „Forza Italia“.

Umfra­gen zufolge liegt sie im Dezem­ber 2018 inzwi­schen bei über 30 Prozent. Fast zwei Jahr­zehnte lang hat Ber­lus­coni die poli­ti­sche Land­schaft geprägt, auch wenn er – in vier von Inter­val­len unter­bro­che­nen Amts­pe­ri­oden – ins­ge­samt nur ein Jahr­zehnt regiert hat. Er war nie gegen die EU oder gegen den Euro. Doch hat er mit seiner selbst­herr­li­chen Art, Italien wie ein Unter­neh­men zu führen, nicht nur die demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen, sondern auch die poli­ti­sche Kultur Ita­li­ens nach­hal­tig beschä­digt. Die Linke ihrer­seits ist zer­strit­ten und hat dem herr­schen­den Diskurs nichts ent­ge­gen­zu­set­zen. Das ist der Boden, auf dem nun die Saat des aggres­si­ven Popu­lis­mus aufgeht. Italien wurde mit der Bewäl­ti­gung der Pro­bleme, die die Immi­gra­tion mit sich bringt, zu lange allein­ge­las­sen. Die horrend hohe Jugend­ar­beits­lo­sig­keit in Süd­eu­ropa ist auch ein euro­päi­sches Problem. Wenn die Euro­päi­sche Union nicht umsteu­ert, könnte Matteo Salvini zu ihrem Toten­grä­ber werden. Ihm würde es passen. Haupt­sa­che, er geht in die Geschichte ein.

Thomas Schmid, geboren in der Schweiz, arbei­tete für die taz, berich­tete von den Kriegen auf dem Balkan unter anderem für Die Zeit und Ber­li­ner Zeitung, wo er nach 2008 auch die Mei­nungs­seite betreute.

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