Lechts und Rinks – Ideo­lo­gi­sche Ver­or­tun­gen an den Rändern fran­zö­si­scher Politik

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Der Auf­stand der Gelb­wes­ten zeigt ein tiefes Unbe­ha­gen gegen die Eliten in Frank­reich. Marine Le Pen und Jean-Luc Mélen­chon ver­su­chen davon zu profitieren.

Von einer „Krise der Demo­kra­tie“ ist spä­tes­tens seit dem kräf­ti­gen Erstar­ken von Rechts­po­pu­lis­ten die Rede – in Deutsch­land wie in Frank­reich. Unter­mau­ert wird der Ein­druck von jüngs­ten Zahlen, die in Frank­reich auf eine sin­kende Unter­stüt­zung der Demo­kra­tie hin­deu­ten. In nur vier Jahren fiel der Anteil der­je­ni­gen, die in der Demo­kra­tie das beste poli­ti­sche System sehen, kon­ti­nu­ier­lich von 76 Prozent auf 64 Prozent. Am aus­ge­präg­tes­ten in der Alters­gruppe der unter 35-Jäh­ri­gen: Dort sieht nur knapp die Hälfte in der Demo­kra­tie die beste Staats­form. Beson­ders bei den Anhän­ge­rin­nen und Anhän­gern zweier poli­ti­scher Strö­mun­gen fallen die Ergeb­nisse auf: Bei der extre­men Rechten rund um Marine Le Pens Ras­sem­blem­ent Natio­nal (RN, vormals Front Natio­nal, FN) ist die Unter­stüt­zung beson­ders gering (2014: 55 Prozent, 2018: 36 Prozent); bei der radi­ka­len Linken Jean-Luc Mélen­chons und seiner Partei La France Inso­u­mise (LFI) ist wie­derum der Rück­gang beson­ders stark (2014: 83 Prozent, 2018: 57 Prozent)[1].

Trotz einer schwa­chen Präsenz im Par­la­ment rekla­mie­ren Le Pen wie Mélen­chon den Status der stärks­ten Oppo­si­tion gegen­über Prä­si­dent Emma­nuel Macron und seiner Regie­rung für sich. Le Pen und Mélen­chon sind Ant­ago­nis­ten: poli­ti­sche Gegner mit ganz und gar gegen­sätz­li­cher poli­ti­schen Sozia­li­sie­rung – und greifen doch zurück auf ähn­li­che Dis­kurs­ele­mente einer all­ge­mei­nen Eliten- und Glo­ba­li­sie­rungs­kri­tik oder Ver­weise auf das „Volk“ im Gegen­satz zur „Elite“.

Spä­tes­tens seit den Prä­si­dent­schafts­wah­len 2017 ist klar, dass sie ähn­li­che Wäh­ler­grup­pen anspre­chen: Die von „der Politik Ver­ges­se­nen“, die­je­ni­gen, die sich nicht (mehr) reprä­sen­tiert fühlen von den vormals großen Par­tei­fa­mi­lien. Die kürz­lich erfolg­ten Ver­su­che beider Seiten, die Pro­teste der Gelb­wes­ten („Gilets Jaunes“) für sich zu ver­ein­nah­men, zeigen diesen Kampf um das­selbe Terrain. Doch bedeu­tet die­selbe Stra­te­gie noch bei weitem kein gemein­sa­mes Ziel. Das zeigt auch der Blick auf die ideo­lo­gi­schen Ver­an­ke­run­gen und Refe­ren­zen beider Bewegungen.

Die his­to­ri­sche Epoche, auf die Marine Le Pen oft Bezug nimmt, ist Frank­reichs Dritte Repu­blik; eine Zeit rund um den Über­gang ins 20. Jahr­hun­dert, die vom Auf­kom­men einer „natio­na­len Erzäh­lung“ geprägt und mit dem Erstar­ken anti­re­pu­bli­ka­ni­scher Kräfte immer wieder von Kon­flik­ten und Insta­bi­li­tät gekenn­zeich­net war. Intel­lek­tu­ell hat die heutige extreme Rechte dort ihre Wurzeln, doch bleiben die Ver­weise auf natio­na­lis­ti­sche Vor­den­ker impli­zit. Immer wieder zitiert Le Pen auch linke Intel­lek­tu­elle aus dieser Zeit – Jean Jaurès oder Emilie Zola – und folgt damit der von ihrer Partei schon seit den 90er-Jahren ein­ge­schla­ge­nen Stra­te­gie der Öffnung durch den Grund­satz „weder rechts noch links“ (der sei­ner­seits eben­falls ursprüng­lich von rechten Bewe­gun­gen unter der III. Repu­blik gebraucht wurde). So pickt sie sich ent­spre­chende intel­lek­tu­elle Anlei­hen dort heraus, wo es diese Linie unter­stützt und ent­zieht sich so Vor­wür­fen des Rechts­ra­di­ka­lis­mus. Dessen Grund­pfei­ler bleiben dabei aber immer in Sicht­weite: Das Anpran­gern einer glo­ba­len Wirt­schafts­elite nährt Ver­schwö­rungs­theo­rien; das Ver­fech­ten von Femi­nis­mus oder Lai­zis­mus findet dann statt, wenn mehr oder weniger direkt in Islam­kri­tik und Ableh­nung von Immi­gra­tion mündet.

Auch die ambi­va­lente Bezie­hung mit der „Neuen Rechten“ und ihrem Begrün­der Alain de Benoist zeigt, dass die Hete­ro­ge­ni­tät der ideo­lo­gi­schen Refe­ren­zen inner­halb des RN eben nicht pro­ble­ma­tisch sondern ganz wesent­li­cher Bestand­teil einer Stra­te­gie der „Ent­dia­bo­li­sie­rung“ mit dem Ziel der Wähl­bar­keit für breite Bevöl­ke­rungs­grup­pen ist. Die von De Benoits ent­wi­ckelte „Neue Rechte“ ent­stand in den 1960er- und 70er-Jahren etwa zur selben Zeit wie der Front Natio­nal, setzte sich aber mit seinem auf einen aus­ge­wähl­ten Eli­ten­zir­kel rechter Intel­lek­tu­el­ler aus­ge­rich­te­tem Cha­rak­ter von Le Pen ab. Auch ideo­lo­gisch gab es Wider­sprü­che, vor allem wirt­schafts­po­li­tisch. Le Pens Stra­te­gie, rechts und links zu über­win­den, kann als Annä­he­rung an de Benoists Ideen gesehen werden, ebenso wie der Wandel inner­halb der Partei von einem vormals von ihr ver­tre­te­nen Libe­ra­lis­mus hin zur Libe­ra­lis­mus­kri­tik. Wei­ter­hin der neu­rech­ten Denk­schule ent­ge­gen­ge­setzt sind jedoch Le Pens Kom­mu­ni­ta­ris­mus­kri­tik und ihre Ver­weise auf die Repu­blik und den Jako­bi­nis­mus. Dies hindert RN nicht daran, Ver­knüp­fun­gen ein­zel­ner Per­so­nen zwi­schen Partei und der „Neuen Rechten“ zu tole­rie­ren und gar zu fördern. Auch Le Pens Wür­di­gung des rechten Denkers Domi­ni­que Venners nach dessen Suizid als „poli­ti­scher Akt“ 2013 kann als Signal an die extreme Rechte gesehen werden.

Mélen­chons his­to­ri­scher Refe­renz­punkt ist ein voll­kom­men anderer: Er ver­or­tet sich ganz in der Tra­di­tion der Fran­zö­si­schen Revo­lu­tion. Wenn er von der „Ära des Volkes“ als Ziel seiner Politik spricht, meint er ein Volk im Sinne der Gesamt­heit aktiver Bürger, die unter den Bedin­gun­gen der Frei­heit und Gleich­heit den Gemein­wil­len im repu­bli­ka­ni­schen Sinne Rous­se­aus for­mu­lie­ren. Das Ergeb­nis seiner Politik solle es sein, „aus einem empör­ten Volk ein revol­tie­ren­des Volk zu machen“[2]. Haupt­kri­tik ist der Neo­li­be­ra­lis­mus als Ideo­lo­gie einer „herr­schen­den Klasse“. Beson­ders geprägt haben Mélen­chon Hugo Chávez, aber auch die post­mar­xis­ti­schen Theo­re­ti­ker Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, wenn­gleich er seine Politik nicht als „linken Popu­lis­mus“ ver­stan­den wissen will, wie ihn die beiden letz­te­ren ent­wor­fen haben. Er sieht seine Bewe­gung LFI in dem Kontext der sich welt­weit trans­for­mie­ren­den Linken rund um Bernie Sanders, Jeremy Corbyn oder die Bewe­gung Podemos, sagt aber zugleich – und hier reiht er sich in die Lesart Marine Le Pens und sogar Emma­nuel Macrons ein –, dass die Kate­go­ri­sie­rung von links und rechts über­holt sei.

Mit dem Feind­bild des „Ultra­li­be­ra­lis­mus“, der Dicho­to­mie einer „glo­ba­li­sier­ten Klasse“ und des „echten Volkes“, mit der For­de­rung nach Ele­men­ten direk­ter Demo­kra­tie zur Dar­stel­lung des „Volks­wil­lens“ sowie mit ver­ba­len Atta­cken gegen­über Medi­en­ver­tre­tern nutzen Frank­reichs radi­kale Rechte und Linke derzeit ähn­li­che Begriffe und Instru­mente um sich in einer Phase der Neu­ord­nung von Par­teien und poli­ti­schen Ideo­lo­gien zu posi­tio­nie­ren. Die Fina­li­tät beider Rich­tun­gen bleibt frei­lich eine gänz­lich andere, ebenso wie das ihr zugrunde lie­gende Men­schen­bild. Durch ihre Ver­or­tung als Alter­na­tive zu einem „herr­schen­den System“ pro­fi­tie­ren sie ebenso vom sin­ken­den Ver­trauen in die libe­rale Demo­kra­tie wie sie es selbst nähren.

[1] Siehe Frac­tures fran­çai­ses 2018, Fon­da­tion Jean Jaurès: https://jean-jaures.org/sites/default/files/redac/commun/productions/2018/0709/fractures_francaises_2018.pdf

[2] Siehe https://lvsl.fr/peuple-revolutionnaire-diner-gala-jean-luc-melenchon

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