Elite und Elitarismus

Ernst Jünger (2. von rechts) stand für eli­tä­res Dan­dy­tum und ver­ach­tete die moderne Mas­sen­ge­sell­schaft, Bild: Matt eagle 81 /​ CC BY-SA

Die Neue Rechte pflegt ein beson­de­res Ver­hält­nis zur Elite. Vor­der­grün­dig nährt sie die Ver­ach­tung auf „die da oben“. Sie seien eine abge­ho­bene Klasse, die sich angeb­lich nicht für die Sorgen und Nöte der „ein­fa­chen Leute“ inter­es­siere. Mit­un­ter wird behaup­tet, die Inter­es­sen des Volks würden von den herr­schen­den Eliten absichts­voll ver­ra­ten. Gleich­zei­tig ist das anti­li­be­rale Denken, auf das sich die Neue Rechte beruft, zutiefst von der beson­de­ren Stel­lung von Eliten bis hin zum Füh­rer­kult geprägt. Der „kleine Mann“ hat hier gleich gar nichts zu melden.


Im All­ge­mei­nen wird mit Elite (lat.: eligere, „aus­wäh­len“) eine zah­len­mä­ßig begrenzte Per­so­nen­gruppe mit über­durch­schnitt­li­chen Qua­li­fi­ka­tio­nen beschrie­ben. In der Sozio­lo­gie umfasst der Begriff „die Summe der Inhaber von Herr­schafts­po­si­tio­nen, deren Ent­schei­dun­gen auf­grund ihrer Posi­ti­ons­rol­len gesamt­ge­sell­schaft­li­che Folgen haben können.“[1] Oft wird das Wort mit Bezeich­nun­gen wie „herr­schende Klasse“ oder „Ober­schicht“ synonym gesetzt. Für eine genaue Bestim­mung sind Dif­fe­ren­zie­run­gen in Macht‑, Funktions‑, Wirt­schafts- oder Wer­te­li­ten gebräuchlich.

Lange Zeit galten Eli­ten­kon­zepte als „Gegen­stü­cke zu Demo­kra­tie­theo­rien“.[2] Die Geschichte der moder­nen Eli­ten­for­schung selbst ist eine Reak­tion auf den Wandel west­li­cher Gesell­schaf­ten in moderne Indus­trie­ge­sell­schaf­ten und der damit ein­her­ge­hen­den Ver­än­de­rung der Legi­ti­ma­tion poli­ti­scher Herr­schaft. Als Begrün­der gelten Gaetano Mosca (1858–1941) und Vil­fredo Pareto (1848–1923). Ihr „erster in einem gesell­schafts­theo­re­tisch Sinn“ gepräg­ter Eli­te­be­griff war „als Gegen­be­griff zur Masse bzw. zur demo­kra­ti­schen Mas­sen­ge­sell­schaft mit ihren Gleich­heits­for­de­run­gen kon­zi­piert; er bezog sich auf eine kleine Gruppe wert­be­wuss­ter, der Zukunft zuge­wand­ter Männer, die zur Herr­schaft berufen sind.“ [3]

Das heutige Ver­ständ­nis von Funk­ti­ons­eli­ten ent­wi­ckelte sich erst nach dem Zweiten Welt­krieg und wurde wesent­lich von Sozio­lo­gen wie Ralf Dah­ren­dorf (1929–2009) geprägt.

Für anti­li­be­ral-auto­ri­täre Vor­stel­lun­gen poli­ti­scher Ordnung sind – nicht selten irra­tio­nal begrün­dete – Eliten seit jeher kon­sti­tu­tiv. In Deutsch­land haben der­ar­tige Kon­zepte ihren ideen­ge­schicht­li­chen Ursprung am Vor­abend des 20. Jahr­hun­derts. Der Nie­der­gang des euro­päi­schen Adels, das Ende der alt­her­ge­brach­ten Ordnung und die sozia­len wie poli­ti­schen Umbrü­che betrach­te­ten Teile des Bür­ger­tums als kul­tu­rel­len wie natio­na­len Nie­der­gang. Titel wie „Der Unter­gang des Abend­lan­des“ (1918) von Oswald Speng­ler (1880–1936) oder „Die Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen“ (1927) von Edgar J. Jung (1894–1934) fassten den Kul­tur­pes­si­mis­mus und die Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik in grif­fige Schlagworte.

Gleich­zei­tig bildete die Klage über „Ver­mas­sung“, „Deka­denz“, „Verlust der eigenen Iden­ti­tät“ usw. „den Hin­ter­grund für einen Genie­kult, der nach einer elitär gelenk­ten Gesell­schaft Aus­schau hielt.“[4] Uneinig waren sich die ver­schie­de­nen Ver­tre­ter und Ver­tre­te­rin­nen des alten und neuen Natio­na­lis­mus darin, wie eine Herr­schaft der Eliten aus­zu­se­hen habe. Die Visio­nen reich­ten von einer Rege­ne­ra­tion der Mon­ar­chie, einer wesens­be­stimm­ten Aris­to­kra­tie, einem geis­ti­gen Adel, „Cäsa­ris­mus“ und anderen Formen cha­ris­ma­ti­scher Herr­schaft, bis hin zu Kon­zep­ten völ­ki­schen Füh­rer­tums.[5] Mes­sia­ni­schen Füh­rer­glaube und Füh­rer­prin­zip trieben beson­ders die Natio­nal­so­zia­lis­ten zum Äußers­ten. Dass sie an die Macht gekom­men waren, hatten sie nicht zuletzt der Unter­stüt­zung weiter Teile der alten poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Eliten zu verdanken.

Nach 1945 ori­en­tier­ten sich die ver­schie­de­nen Frak­tio­nen und Strö­mun­gen der extre­men Rechten an den in der Vor­kriegs­zeit erdach­ten Herr­schafts­kon­zep­ten und passten sie der neuen his­to­ri­schen Situa­tion an. In der jungen Bun­des­re­pu­blik waren es mit Carl Schmitt (1888–1985), Hans Freyer (1887–1969) oder Arnold Gehlen (1904–1976) erneut Ver­tre­ter anti­de­mo­kra­ti­schen Denkens in der Wei­ma­rer Repu­blik die sich in schein­ba­rer Abgren­zung zur NS-Dik­ta­tur dem Elite-Topos wid­me­ten und neben den Thesen von Gustave Le Bon (1841–1931) und José Ortega y Gasset (1883–1955) im kon­ser­va­ti­ven Spek­trum Gehör fanden. Ihr Eli­te­be­griff stellte eine „seman­ti­sche Brücke“ dar, „über die sich die Recht­fer­ti­gung von Ungleich­heit in die schein­bar ega­li­täre Demo­kra­tie trans­por­tie­ren ließ.“[6]

Seit den 1960er Jahren greift beson­ders die soge­nannte Neue Rechte die auto­ri­tä­ren Staats­mo­delle und Eli­ten­ge­dan­ken der „Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tion“ der Wei­ma­rer Repu­blik wieder auf. Inner­halb dieses Milieus bemüht sich gegen­wär­tig das im Jahr 2000 gegrün­dete private Insti­tut für Staats­po­li­tik (IfS) um die Her­an­bil­dung einer ideo­lo­gisch gefes­tig­ten „Gegen­elite im War­te­stand“.[7] Dabei geht es nicht nur um die Bildung einer geis­ti­gen Elite, sondern – bezug­neh­mend auf den erstmal 1984 ver­öf­fent­lich­ten Titel des Publi­zis­ten Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ner (1939–2011) – um eine „Erzie­hung für den Ernst­fall“. Der Ernst­fall, dass ist die große Staats­krise, in der mit poli­tisch hand­lungs­fä­hi­gem Per­so­nal ein ent­spre­chen­der Eli­ten­wech­sel voll­zo­gen werden soll. Bereits jetzt geht dieses Selbst­ver­ständ­nis mit einem eli­tä­ren und (pseudo)intellektuellen Habitus der Akteure einher.

Das Ziel einer rechten Sys­tem­trans­for­ma­tion mit Hilfe eigener (Gegen)Eliten deckt sich grund­le­gend mit der popu­lis­ti­schen Agi­ta­tion von Rechts­au­ßen­par­teien gegen „das Estab­lish­ment“. In der Bun­des­re­pu­blik ist es aktuell vor allem die Alter­na­tive für Deutsch­land (AfD) die auf diese Form poli­ti­scher Anspra­che setzt. Ihr poli­ti­scher Auf­stieg wurde auch durch die Kon­tro­verse um das Buch „Deutsch­land schafft sich ab“ (2010) von Thilo Sar­ra­zin (geb. 1945) und die öffent­li­che Debatte um ver­meint­li­che „Leis­tungs­eli­ten“ und angeb­lich „höher Begabte“ beför­dert. In ihrer Mobi­li­sie­rung gegen „die da oben“ setzten die Reprä­sen­tan­ten der AfD auch auf die, in der extre­men Rechten anti­se­mi­tisch kon­no­tierte, Legende kos­mo­po­li­ti­scher Eliten.[8]

Auf­fäl­lig ist, dass sich seit dem Ende des 19. Jahr­hun­derts die „Struk­tur des antie­ga­li­tä­ren Res­sen­ti­ments“ kaum ver­än­dert hat: „Auch wenn Popu­lis­ten sich heute selbst gerne auf den Willen ‚des Volkes‘ […] berufen, so liegt ihrem Eli­tis­mus letzt­lich eine tiefe Ver­ach­tung der repu­bli­ka­ni­schen Staats­form zugrunde. Grund­sätz­lich wird – wie schon bei Speng­ler und Jung – den Sub­jek­ten die Befä­hi­gung abge­spro­chen, als ihr eigener Herr zu handeln.“[9]


[1] Otthein Ramm­stedt: Elite, in: Ders./Werner Fuchs-Hein­rit­z/Rü­di­ger Lautmann/​Hanns Wienold (Hrsg.): Lexikon zur Sozio­lo­gie, 4., grundl. überarb. Aufl., Wies­ba­den 2007, S. 158, Sp. 1.

[2] Raimund Krämer: Res Publica. Eine Ein­füh­rung in die Poli­tik­wis­sen­schaft, 3. Aufl., Potsdam 2011, S. 63.

[3] Vgl. Bern­hard Schä­fers: Elite, in: Aus Politik und Zeit­ge­schichte (APuZ), Jg. 54, 2004, H. 10, S. 3–6, hier: S. 3.

[4] Kurt Lenk zit. n. Volker Weiß: Deutsch­lands Neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Speng­ler bis Sar­ra­zin, Pader­born 2011, S. 75.

[5] Vgl. Stefan Breuer: Ord­nun­gen der Ungleich­heit – die deut­sche Rechte im Wider­streit ihrer Ideen 1871–1945, Darm­stadt 2010, S. 105–146.

[6] Morten Reit­mayer: „Elite“ im 20. Jahr­hun­dert, in: APuZ, Jg. 64, 2014, H. 15, S. 9–15, hier: S. 13.

[7] Helmut Kel­lers­hohn: Die jung­kon­ser­va­tive Neue Rechte zwi­schen Real­po­li­tik und poli­ti­schem Exis­ten­zia­lis­mus, in: Zeit­schrift für Geschichts­wis­sen­schaft, Jg. 63, 2015, H. 9, S. 721–740, hier: S. 730.

[8] Vgl. Michael Hart­mann: Die kos­mo­po­li­ti­schen Eliten – ein Mythos, in: Zeit­schrift für Staats- und Euro­pa­wis­sen­schaf­ten (ZSE), Jg. 15, 2017, H. 2–3, S. 510–528.

[9] Weiß: Deutsch­lands Neue Rechte, S. 77.

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