Elite und Elitarismus
Die Neue Rechte pflegt ein besonderes Verhältnis zur Elite. Vordergründig nährt sie die Verachtung auf „die da oben“. Sie seien eine abgehobene Klasse, die sich angeblich nicht für die Sorgen und Nöte der „einfachen Leute“ interessiere. Mitunter wird behauptet, die Interessen des Volks würden von den herrschenden Eliten absichtsvoll verraten. Gleichzeitig ist das antiliberale Denken, auf das sich die Neue Rechte beruft, zutiefst von der besonderen Stellung von Eliten bis hin zum Führerkult geprägt. Der „kleine Mann“ hat hier gleich gar nichts zu melden.
Im Allgemeinen wird mit Elite (lat.: eligere, „auswählen“) eine zahlenmäßig begrenzte Personengruppe mit überdurchschnittlichen Qualifikationen beschrieben. In der Soziologie umfasst der Begriff „die Summe der Inhaber von Herrschaftspositionen, deren Entscheidungen aufgrund ihrer Positionsrollen gesamtgesellschaftliche Folgen haben können.“[1] Oft wird das Wort mit Bezeichnungen wie „herrschende Klasse“ oder „Oberschicht“ synonym gesetzt. Für eine genaue Bestimmung sind Differenzierungen in Macht‑, Funktions‑, Wirtschafts- oder Werteliten gebräuchlich.
Lange Zeit galten Elitenkonzepte als „Gegenstücke zu Demokratietheorien“.[2] Die Geschichte der modernen Elitenforschung selbst ist eine Reaktion auf den Wandel westlicher Gesellschaften in moderne Industriegesellschaften und der damit einhergehenden Veränderung der Legitimation politischer Herrschaft. Als Begründer gelten Gaetano Mosca (1858–1941) und Vilfredo Pareto (1848–1923). Ihr „erster in einem gesellschaftstheoretisch Sinn“ geprägter Elitebegriff war „als Gegenbegriff zur Masse bzw. zur demokratischen Massengesellschaft mit ihren Gleichheitsforderungen konzipiert; er bezog sich auf eine kleine Gruppe wertbewusster, der Zukunft zugewandter Männer, die zur Herrschaft berufen sind.“ [3]
Das heutige Verständnis von Funktionseliten entwickelte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde wesentlich von Soziologen wie Ralf Dahrendorf (1929–2009) geprägt.
Für antiliberal-autoritäre Vorstellungen politischer Ordnung sind – nicht selten irrational begründete – Eliten seit jeher konstitutiv. In Deutschland haben derartige Konzepte ihren ideengeschichtlichen Ursprung am Vorabend des 20. Jahrhunderts. Der Niedergang des europäischen Adels, das Ende der althergebrachten Ordnung und die sozialen wie politischen Umbrüche betrachteten Teile des Bürgertums als kulturellen wie nationalen Niedergang. Titel wie „Der Untergang des Abendlandes“ (1918) von Oswald Spengler (1880–1936) oder „Die Herrschaft der Minderwertigen“ (1927) von Edgar J. Jung (1894–1934) fassten den Kulturpessimismus und die Zivilisationskritik in griffige Schlagworte.
Gleichzeitig bildete die Klage über „Vermassung“, „Dekadenz“, „Verlust der eigenen Identität“ usw. „den Hintergrund für einen Geniekult, der nach einer elitär gelenkten Gesellschaft Ausschau hielt.“[4] Uneinig waren sich die verschiedenen Vertreter und Vertreterinnen des alten und neuen Nationalismus darin, wie eine Herrschaft der Eliten auszusehen habe. Die Visionen reichten von einer Regeneration der Monarchie, einer wesensbestimmten Aristokratie, einem geistigen Adel, „Cäsarismus“ und anderen Formen charismatischer Herrschaft, bis hin zu Konzepten völkischen Führertums.[5] Messianischen Führerglaube und Führerprinzip trieben besonders die Nationalsozialisten zum Äußersten. Dass sie an die Macht gekommen waren, hatten sie nicht zuletzt der Unterstützung weiter Teile der alten politischen und wirtschaftlichen Eliten zu verdanken.
Nach 1945 orientierten sich die verschiedenen Fraktionen und Strömungen der extremen Rechten an den in der Vorkriegszeit erdachten Herrschaftskonzepten und passten sie der neuen historischen Situation an. In der jungen Bundesrepublik waren es mit Carl Schmitt (1888–1985), Hans Freyer (1887–1969) oder Arnold Gehlen (1904–1976) erneut Vertreter antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik die sich in scheinbarer Abgrenzung zur NS-Diktatur dem Elite-Topos widmeten und neben den Thesen von Gustave Le Bon (1841–1931) und José Ortega y Gasset (1883–1955) im konservativen Spektrum Gehör fanden. Ihr Elitebegriff stellte eine „semantische Brücke“ dar, „über die sich die Rechtfertigung von Ungleichheit in die scheinbar egalitäre Demokratie transportieren ließ.“[6]
Seit den 1960er Jahren greift besonders die sogenannte Neue Rechte die autoritären Staatsmodelle und Elitengedanken der „Konservativen Revolution“ der Weimarer Republik wieder auf. Innerhalb dieses Milieus bemüht sich gegenwärtig das im Jahr 2000 gegründete private Institut für Staatspolitik (IfS) um die Heranbildung einer ideologisch gefestigten „Gegenelite im Wartestand“.[7] Dabei geht es nicht nur um die Bildung einer geistigen Elite, sondern – bezugnehmend auf den erstmal 1984 veröffentlichten Titel des Publizisten Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1939–2011) – um eine „Erziehung für den Ernstfall“. Der Ernstfall, dass ist die große Staatskrise, in der mit politisch handlungsfähigem Personal ein entsprechender Elitenwechsel vollzogen werden soll. Bereits jetzt geht dieses Selbstverständnis mit einem elitären und (pseudo)intellektuellen Habitus der Akteure einher.
Das Ziel einer rechten Systemtransformation mit Hilfe eigener (Gegen)Eliten deckt sich grundlegend mit der populistischen Agitation von Rechtsaußenparteien gegen „das Establishment“. In der Bundesrepublik ist es aktuell vor allem die Alternative für Deutschland (AfD) die auf diese Form politischer Ansprache setzt. Ihr politischer Aufstieg wurde auch durch die Kontroverse um das Buch „Deutschland schafft sich ab“ (2010) von Thilo Sarrazin (geb. 1945) und die öffentliche Debatte um vermeintliche „Leistungseliten“ und angeblich „höher Begabte“ befördert. In ihrer Mobilisierung gegen „die da oben“ setzten die Repräsentanten der AfD auch auf die, in der extremen Rechten antisemitisch konnotierte, Legende kosmopolitischer Eliten.[8]
Auffällig ist, dass sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die „Struktur des antiegalitären Ressentiments“ kaum verändert hat: „Auch wenn Populisten sich heute selbst gerne auf den Willen ‚des Volkes‘ […] berufen, so liegt ihrem Elitismus letztlich eine tiefe Verachtung der republikanischen Staatsform zugrunde. Grundsätzlich wird – wie schon bei Spengler und Jung – den Subjekten die Befähigung abgesprochen, als ihr eigener Herr zu handeln.“[9]
[1] Otthein Rammstedt: Elite, in: Ders./Werner Fuchs-Heinritz/Rüdiger Lautmann/Hanns Wienold (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie, 4., grundl. überarb. Aufl., Wiesbaden 2007, S. 158, Sp. 1.
[2] Raimund Krämer: Res Publica. Eine Einführung in die Politikwissenschaft, 3. Aufl., Potsdam 2011, S. 63.
[3] Vgl. Bernhard Schäfers: Elite, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Jg. 54, 2004, H. 10, S. 3–6, hier: S. 3.
[4] Kurt Lenk zit. n. Volker Weiß: Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Spengler bis Sarrazin, Paderborn 2011, S. 75.
[5] Vgl. Stefan Breuer: Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871–1945, Darmstadt 2010, S. 105–146.
[6] Morten Reitmayer: „Elite“ im 20. Jahrhundert, in: APuZ, Jg. 64, 2014, H. 15, S. 9–15, hier: S. 13.
[7] Helmut Kellershohn: Die jungkonservative Neue Rechte zwischen Realpolitik und politischem Existenzialismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 63, 2015, H. 9, S. 721–740, hier: S. 730.
[8] Vgl. Michael Hartmann: Die kosmopolitischen Eliten – ein Mythos, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften (ZSE), Jg. 15, 2017, H. 2–3, S. 510–528.
[9] Weiß: Deutschlands Neue Rechte, S. 77.