Sigrid Hunke
... und weitere antiliberale Vordenkerinnen
von Kirsten Heinsohn
Antiliberale Vordenkerinnen versuchten in den zwanziger Jahren Antworten auf die „Frauenfrage“ und damit auf eine Herausforderung der liberalen Moderne zu geben. Sind Männer und Frauen gleich und haben deshalb die gleichen Rechte? Während Antifeministinnen die politische Gleichberechtigung von Frauen ablehnten, wollten völkische Frauenrechtlerinnen vermeintliche Unterschiede der Geschlechter für eine antidemokratische Politik nutzen. Sie behaupteten, es sei Aufgabe der „deutschen Frau“ sich für die Interessen der „Volksgemeinschaft“ einzusetzen. Dafür stehe ihr die Mitwirkung in allen Bereichen des Lebens zu, öffentlich und privat, mit Ausnahme des Wehrdienstes.
Die wenigen rechten „Vordenkerinnen“ waren eine sehr kleine Minderheit in der Weimarer Republik. Nach 1945 spielte die Frage der weiblichen Partizipation zunächst keine Rolle mehr. Lediglich Sigrid Hunke befasste sich in den fünfziger Jahren weiter mit der Frage der Geschlechterordnung. Vertreterinnen der Neuen Rechten berufen sich dagegen nicht mehr auf die Vordenkerinnen aus der Weimarer Republik. Sie suchen Anschluss an die Teile der feministischen Debatte, die ihrem Weltbild entspricht.
Gleichheit versus Geschlechterordnung
Als Ellen Kositza 2017 in einem Interview mit der Wochenzeitung „Der Freitag“ erklärte, sie sei „kein Gleichheitsfanatiker“, vielmehr sei Gleichheit „langweilig“ (1), fasste sie ein Credo antiliberaler Vordenkerinnen in Deutschland anschaulich zusammen. Schon die ersten antidemokratischen Ideologinnen im Kaiserreich und der Weimarer Republik arbeiteten sich an der Idee der Gleichheit ab: Manche polemisierten grundsätzlich gegen diese Basiskategorie moderner Gesellschaften, andere suchten nach Modellen, in denen sowohl Unterschiede als auch Gleichwertigkeiten von Gruppen zusammen gedacht werden konnten, alle aber sahen sich davon herausgefordert, Stellung zur „Frauenfrage“ zu nehmen.
Diese „Frage“ resultierte bekanntlich, theoretisch wie praktisch, aus der Ambivalenz zwischen der liberalen Grundüberzeugung, alle Menschen seien von Natur aus gleich, und der herrschenden (bürgerlichen) Geschlechterordnung. Frauen und Männer sind nach diesem bürgerlich geprägten Ordnungsmodell biologisch und kulturell unterscheidbare Wesen, mit jeweils anderen sozialen Aufgaben und darüber abgeleitet auch unterschiedlichen gesellschaftlichen Räumen und Rechten zugeordnet. Wie soll da Gleichheit entstehen, oder noch zugespitzter gefragt: Kann es überhaupt eine Gleichheit zwischen Mann und Frau geben? Was auf den ersten Blick wie eine theoretische, philosophische Frage aussieht, stand und steht für antiliberale Vordenkerinnen im Zentrum ihrer Gegenwartsdiagnosen und Gesellschaftsutopien. In ihrem Denken beschreibt das Verhältnis von Mann und Frau ein Grundelement der gesellschaftlichen Kultur und kann daher nicht unbeachtet bleiben.
Antworten auf die „Frauenfrage“
Die Antworten der Antiliberalen fielen jedoch sehr unterschiedlich aus, je nachdem welche Tragweite die jeweiligen Vorstellungen über Gleichheit und Differenz hatten. Die harten Antifeministen und Antifeministinnen etwa verstanden die Geschlechterordnung auch als Muster für eine „natürliche“ räumliche wie politische Differenz: Der Staat ist ein männlicher Bereich, die Familie, das Private dagegen wird als weiblich bezeichnet, wobei der Mann auch rechtlich im Privaten der Frau übergeordnet ist, als Vertreter der Familie. In einer solchen Gesellschaftskonzeption werden Forderungen nach politischen Rechten und nach Gleichberechtigung von Frauen mit Männern zu einer Bedrohung für Staat und Nation. Entsprechend wandten sich Vertreter und Vertreterinnen des Antifeminismus nachdrücklich gegen jede Überschreitung der Geschlechtergrenzen.
Die Differenz der Geschlechter definiert in diesem Modell auch die Grundstruktur von Nation, Staat und Gesellschaft. Insbesondere Teile der völkischen Bewegung, unter ihnen auch Frauen, haben nach der Einführung des allgemeinen und demokratischen Wahlrechtes in Deutschland 1918 dafür plädiert, Frauen vom politischen Raum fernzuhalten, um eine Feminisierung von Politik und Staat zu verhindern. Zwei weibliche Mitglieder des „Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“ hatten beispielsweise 1919 eine Eingabe an die Nationalversammlung geschickt, in der sie forderten, Frauen das Wahlrecht wieder abzuerkennen bzw. eine Abstimmung unter „sämtlichen Frauen Deutschlands“ durchzuführen, um „den wahren Frauenwillen“ zu erkunden (2). In den folgenden Jahren tat sich eine der Initiatorinnen dieser Petition, Emma Witte (Lebensdaten nicht bekannt), immer wieder mit Angriffen auf „Frauenrechtlerei“ in konservativen und völkischen Kreisen hervor. Sie forderte 1924 im „Deutschen Tageblatt“ „frauenreine Wahllisten“, da „in die erste Linie der Kampffront […] immer der deutsch-völkische Freiheits-Mann“ gehöre:
Etwas Ähnliches schrieb der Herausgeber der jung-konservativen Zeitung „Das Gewissen“, Mitglied des Stahlhelms sowie Reichstagsabgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei (ab 1933 dann der NSDAP) Eduard Stadtler (1886–1945) 1925 an Käthe Schirmacher. Er meinte, dass „wir an der Feminisierung der Männerwelt zu Grunde gegangen sind. Gerade in der Politik drängte sich im wilhelminischen Zeitalter der feminine Mann nach oben und nach vorn“ (4). Die Adressatin des Briefes schrieb dazu an den Rand: „Blödsinn“.
Der Absender musste gewusst haben, an wen er sein Lamento richtete, denn Käthe Schirmacher (1865–1930) war nicht nur eine der bekanntesten völkischen Publizistinnen der Weimarer Republik, die sich vor 1914 noch den Liberalen zugerechnet hatte, sondern auch eine bekennende Frauenrechtlerin und aktive Politikerin der konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Sie und mit ihr andere weibliche antiliberale Intellektuelle und Politikerinnen wie Pia Sophie Rogge-Börner (1878–1955), Mathilde von Kemnitz-Ludendorff (1877–1966), Magdalene von Tiling (1877–1974) oder Paula Mueller-Otfried (1865–1946) hielten den völkischen Antifeminismus für die vollkommen falsche Antwort auf die Herausforderungen der Moderne. In ihren Schriften herrschte die Überzeugung vor, Männer und Frauen müssten ihren jeweils eigenen Beitrag zu allen gesellschaftlichen und staatlichen Bereichen liefern (mit Ausnahme des Wehrdienstes), gerade weil es eine Differenz der Geschlechter gebe.
Auch sie verurteilten den „femininen Mann“, da er die natürliche Wesensverschiedenheit der Geschlechter symbolisch in Frage stellte und damit „unnatürlich“ sei. Die feminine Frau dagegen, die sollte „nach oben und nach vorn“ kommen, um mitzuwirken an der Heilung der von Liberalismus und „jüdischem Bolschewismus“ deformierten Nation, nach dem schmählichen Untergang des deutschen Kaiserreiches.
Zwei Begriffe standen für diese antiliberalen Frauenrechtlerinnen dabei im Zentrum ihres Denkens: Die Figur der „deutschen Frau“ zum einen, das Ordnungsmodell „Volksgemeinschaft“ zum anderen. Beide Begriffe dienten zugleich der politischen Abgrenzung gegenüber liberalen Gesellschaftsmodellen wie auch zur Beschreibung antiliberaler, völkisch orientierter Frauenpolitik. (5)
Antiliberaler Code: Die „deutsche Frau“
Seit dem Ersten Weltkrieg entwickelten antiliberale Vordenkerinnen zunehmend die Figur der „deutschen Frau“ zu einem politisch-kulturellen Code, mit dem die eigene Position beispielsweise innerhalb der Frauenbewegung prägnant markiert werden konnte. Die Schriftstellerinnen Käthe Schirmacher und Lenore Kühn etwa setzten diesen Code bewusst ein, um für eine antiliberale Gesellschaftsordnung zu kämpfen – beide zunächst sehr aktiv in der neu gegründeten DNVP. Schirmacher warb für diese Partei unter den Frauen mit dem Hinweis, diese sei die einzige Partei, in der „die nationale (nicht die internationale) Politisierung der Frau, als deutsche Frau und Mutter“ gefordert werde. (6) Kühn, die einige Jahre für die Frauenabteilung der DNVP arbeitete, forderte eine „Frauenbewegung auf deutschem Boden, erfüllt vom deutschen Geist“. (7)
Diese Aussagen verweisen auf die wichtigsten Inhalte, die mit dem Code „deutsche Frau“ aufgerufen werden sollten: Die „deutsche Frau“ engagierte sich nicht im internationalen Kontext und schon gar nicht für die Friedensbewegung, sondern setzte ihr weibliches und mütterliches Potential allein für die Interessen des deutschen Volkes ein. Zudem wurde der deutsche Geist als christlich geprägt verstanden und das Deutschtum als eine natürliche Eigenschaft, die man qua Geburt hat und die kulturell gepflegt werden muss, die Nicht-Deutsche jedoch nicht über Assimilation oder Integration erwerben können. Die rhetorische Figur der „deutschen Frau“ war damit Teil des antisemitischen kulturellen Codes (Shulamith Volkov) und ganz deutlich einem politischen Lager zugeordnet.
Schließlich sollte die „deutsche Frau“ ihre wesensgemäßen Aufgaben, sowohl als Mutter als auch als Bürgerin, im Rahmen einer klassentranszendierenden „Volksgemeinschaft“ erfüllen. Nicht die Interessen einzelner Gruppen und deren Ausgleich über Verhandlungen oder Kompromisse sollten Antrieb und Modus gesellschaftlicher Entwicklung sein, sondern die Belange der nationalen Gemeinschaft. Innerhalb dieser Gemeinschaft sollten die beiden Geschlechter entsprechend ihrer Anlagen wirken, als natürlich unterschiedene, jedoch gleichwertige Individuen.
In diesem Teilaspekt der „deutschen Frau“ gab es große Schnittmengen mit den Ansprüchen vieler Frauengruppen – daher war die sprachliche Figur zunächst noch nicht eindeutig dem rechten politischen Spektrum zuzuordnen. Auch liberale und sozialdemokratische Vertreterinnen sprachen über die „deutsche Frau“, vor allem noch in den Jahren des Weltkrieges. Auch liberale Frauenpolitikerinnen waren überzeugt, dass Frauen ihre besonderen Wesenseigenschaften in Gesellschaft und Politik einbringen sollten. Aber seit Beginn der zwanziger Jahre waren die antiliberalen Frauen erfolgreich bemüht, den politischen Code „deutsche Frau“ ausschließlich für sich zu reklamieren.
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„Wir deutschen Frauen“
1924 erschien eine Ausgabe der Süddeutschen Monatshefte unter dem Titel „Wir deutschen Frauen“, in der die Mehrheit der Beiträgerinnen aus dem rechten Spektrum stammte, u.a. Lenore Kühn, Mathilde Kemnitz und Pia Sophie Rogge-Börner. Nur eine einzige Autorin gehörte nicht dazu: Gertrud Bäumer (1873–1954), langjährige Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) und seit 1919 Reichstagsabgeordnete der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). In der Einleitung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in diesem Heft nur Frauen schrieben, „die ihr bewußtes Deutschtum und ihren nationalen Willen durch ihre Werke in der Öffentlichkeit wiederholt bekundet haben“. (8)
Gertrud Bäumer nahm sicherlich für sich in Anspruch, dies auch getan zu haben. Das Heft aber stellte eine Zusammenschau aller antiliberalen Diskurselemente über die „deutsche Frau“ vor, aus der der Beitrag von Bäumer in bezeichnender Weise herausfiel: Sie sprach an keiner Stelle von der „deutschen“ oder „nationalen“ Frau, sondern ausschließlich vom „weiblichen Staatsbürgertum“. Die Texte der anderen Autorinnen dagegen waren allesamt Versuche, die „deutsche Frau“ gegenüber diesem liberalen Modell abzugrenzen. Mathilde von Kemnitz behauptete, das allgemeine und gleiche Wahlrecht sei „durch und durch undeutsch“. Die Frauenbewegung müsse sich wieder einer „germanischen Einstellung“ zuwenden, die auf der Führung durch eine Elite beruhe. Pia Sophie Rogge-Börner erklärte, die „deutsche Frau“ habe sich „bewußt [...] von jeglicher Abhängigkeit von der internationalen Geldmacht“ gelöst.
Sie benannte als Einzige auch eine Differenz innerhalb der antiliberalen Frauengruppen: Die deutsche Frau müsse nicht national sein, sondern völkisch. Damit setzte sie sich von allen anderen Beiträgerinnen ab, die „national orientiert“ und „deutsch“ als Synonyme verwandten. Rogge-Börner argumentierte ähnlich wie Käthe Schirmacher, die schon vor dem Krieg meinte, statt „national könnte man auch völkisch sagen“. (9) Diese Gleichsetzung sowie der politische Code „deutsche Frau“ für antiliberale Frauen waren Mitte der zwanziger Jahre erfolgreich etabliert.
Antiliberaler Diskurs: „Volksgemeinschaft“
Der zweite Begriff, mit dem antiliberale (Frauen-)Politik verbunden war, lautete „Volksgemeinschaft“. Hierbei handelte es sich um eine Ordnungsidee für Gesellschaften, die auf einer konservativen Gemeinschaftsideologie, verbunden mit Staatsbegriffen des Mittelalters oder der Germanenzeit, aufbaute. (10) Wie der Begriff „deutsche Frau“ war auch die Idee der „Volksgemeinschaft“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht eindeutig antiliberal konnotiert – dies vollzog sich jedoch im Laufe des Weltkrieges und vor allem der Weimarer Republik. (11) Am Ende der zwanziger Jahre war der Begriff „deutsche Volksgemeinschaft“ zu einem zentralen Diskurselement der Nationalsozialisten geworden und bis heute wird er in Forschung und Öffentlichkeit allein mit der NS-Diktatur in Verbindung gesetzt. Zu Beginn der zwanziger Jahre jedoch war die Bedeutung innerhalb des konservativen Milieus noch offen für unterschiedliche Ansprüche, so dass auch antiliberale Frauen versuchten, die weibliche Partizipation an Staat und Gesellschaft über den Beitrag der Frauen zur Volksgemeinschaft zu rechtfertigen. (12)
Eine der Vordenkerinnen in diesem Feld war die Theologin Magdelene von Tiling, Mitglied des Preußischen Landtages (1921–1930) und des Reichstages (1930–1933) für die DNVP. In einem Zeitungsbeitrag aus dem Jahre 1922 stellte von Tiling ihre Überlegungen zur „Volksgemeinschaft“ in einen größeren Zusammenhang, nämlich die Überwindung des Rationalismus des 18. Jahrhunderts wie des Sozialismus des 19. Jahrhunderts durch eine Gemeinschaftsphilosophie des 20. Jahrhunderts. (13) Anknüpfend an die Idee einer ständisch gegliederten Gesellschaft kritisierte sie die Geisteshaltungen der vorigen Jahrhunderte als einseitig, zerstörerisch und dem Leben fremd gegenüberstehend.
Stattdessen sollten die „natürlichen“ Gemeinschaftsformen der Menschen, wie die Familie, die christliche Gemeinschaft, die Heimat und das Volk, als politische Ursprünge und Organisationsprinzip von Gesellschaften neu belebt werden. Ein erster Bruch der rationalistischen Geisteshaltung sei schon mit dem Weltkrieg und der Revolution entstanden. Die Menschen seien nun auf der Suche nach neuem „Lebensgrund“ und würden diesen in den „Wurzeln“ der Gemeinschaft finden. Alle diese Gemeinschaften mündeten dann in den nationalen Staat. Eine „Volkgemeinschaft“ entstehe aber nicht durch Akklamation oder Zusammenschluss, sondern sei etwas, das nur erlebt werden könne:
„Gemeinschaft ist Leben, ist Einwurzelung Vieler in gleichem Lebensgrund. Gemeinschaftsfähig ist nur der Mensch, der Tiefe, der Seele hat, er aber braucht Gemeinschaft nicht zu machen, er erlebt sich in ihr. Hier ist der Bruch mit der Auffassung des 18. Jahrhunderts gegeben, hier gewinnen wir wahrhaft ein Neues. Unsere Aufgabe ist es, von hier aus eine tief innerlich begründete, wahrhaft neue Stellung zu den Problemen unserer Zeit zu erringen.“ (14)
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Eine „neue Stellung zu den Problemen der Zeit“, so von Tiling, müsse zwangsläufig von Männern und Frauen gefunden werden, da beide als differenzierte Geschlechtswesen in der „Volksgemeinschaft“ wirken sollten. Frauen falle insbesondere die Pflege der ursprünglichen Gemeinschaft Familie sowie deren Ethik und Moral zu. In der Schrift „Die neue Stellung der Frau in der Volksgemeinschaft“ diskutierte sie ausdrücklich die daraus abgeleiteten politischen Aufgaben der Frau. (15) Sie plädierte für die politische Gleichberechtigung der Geschlechter gerade vor dem Hintergrund ihrer Verschiedenheiten, um sowohl gleiche wie unterschiedliche Aufgaben für die Gemeinschaft erfüllen zu können.
Dieser Beitrag gehörte – neben den Schriften Käthe Schirmachers auf völkischer Seite – zu den zentralen Texten antiliberaler Frauen in der Weimarer Republik, die nicht antifeministisch, sondern frauenrechtlerisch argumentierten. Für sie stand dabei im Vordergrund, die christlichen Aufgaben mit den neuen Pflichten sowie dem natürlichen Wesen der Frau zu vereinbaren. Aus dem Christentum heraus müsse „das subjektive Wünschen und Wollen, das Recht der Einzelpersönlichkeit, die Forderung des gleichen Rechts für Mann und Frau“ eigentlich abgewiesen werden. Andererseits sei aber die Frau verpflichtet, ihre von der Schöpfung bestimmte Aufgabe auch wahrnehmen zu können, sodass Gesetze, die sie daran hinderten, „vom Christentum her gesehen ein Unrecht“ seien. Sie zog daraus den Schluss, dass nur das Miteinander der Geschlechter ein wahrhaftes christliches Ziel sei und damit eine zentrale Achse echter Volksgemeinschaft bilde:
Das überindividuelle Leben, Wollen, Streben des Volkes muß (...) aus dem gemeinsamen Leben, Wollen, Streben der deutschen Männer und Frauen entstehen, sonst muß es krank werden. Und ist der Staat rechtlich geformte Volksgemeinschaft, so kann auch er nur aus beiden Geschlechtern bestehen, so muß auch die Frau Vollbürgerin im Staate sein, damit sie das Leben des Staates mittrage. (...) All dieser Staats- und Volksverpflichtung kann sie sich in keiner Weise mehr entziehen. Jede Frau trägt heute Verantwortung und Schuld für die Zukunft unseres Volkes wie jeder Mann (...). Sie will nun nicht nur, sie soll alle Güter der Nation verantwortlich mitverteidigen.“ (16)
Von Tiling hatte mit ihrer Argumentation eine Begründung für die staatsbürgerliche Gleichheit von Frauen entworfen, die zentrale Begriffe des zeitgenössischen antiliberalen Denkens aufnahm. Sie präsentierte auf dieser Grundlage eine politische Theorie des autoritären Staates, die auf einem idealtypischen Gegensatz zwischen konservativ und liberal basierte und von der Idee des christlichen Staates ausging. (17) Das konservative Staatsverständnis stehe dem liberalen diametral entgegen, denn der Liberale glaube an die Volkssouveränität, der Konservative dagegen an Staatssouveränität. Der Liberalismus führe „zuletzt zur Auflösung der Ordnungen menschlichen Zusammenlebens (…), zur Aufhebung von Autorität und Gehorsam, zur Aufhebung des Staates selbst. Dies erleben wir heute“ (18), meinte von Tiling 1930.
Rezeption?
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Der kulturelle Code „deutsche Frau“, der Begriff „Volksgemeinschaft“ und die damit verbundene Ablehnung eines individualistischen Standpunktes im politischen Diskurs bildeten die Kernthemen der antiliberalen Vordenkerinnen in der Weimarer Republik. Ihre gedachten Ordnungen implizierten, dass Frauen die gleichen politischen Rechte wie Männern zustanden, gerade weil die Geschlechter als different angenommen wurden. In den völkischen Frauen-Kreisen wurde dieses Denkmodell zudem historisch ‚eingedeutscht‘, indem behauptet wurde, die Idee der Gleichwertigkeit von Frau und Mann habe bereits bei den Germanen geherrscht. Wichtigste Protagonistinnen für dieses Modell waren Käthe Schirmacher und Pia Sophie Rogge-Börner. (19) Eine spätere Vertreterin war Sigrid Hunke (1913–1999), Religionswissenschaftlerin und Publizistin, die die Geschlechterpsychologie Mathilde Vaertings aus den zwanziger Jahren mit rassentheoretischen Ideen verknüpfte. (20) Ihre Promotion aus dem Jahre 1941 befasste sich mit „Herkunft und Wirkung fremder Vorbilder auf den deutschen Menschen“. 1955 übertrug sie die Ideen von der je arteigenen Anschauung von Welt und Mensch auf das Geschlechterverhältnis, indem sie die verschiedenen Prägungen dieses Verhältnisses als Ausdruck verschiedener Kulturen vorstellte:
So hat man als Geschlechtsunterschiede bezeichnet, was in Wahrheit auf Stilunterschieden verschiedenartiger Menschengruppen beruht, und hat wiederum diese Begriffe nachträglich auf Völker und Zeiträume übertragen, denen ein bestimmter Stil das Gepräge gegeben hat.“ (21)
Die Behauptung, die Gleichwertigkeit von Mann und Frau sei nur in bestimmten Kulturen praktiziert worden, taucht bei ihr wieder auf. Hunke benennt vor allem die germanische Tradition, weist ergänzend aber auch auf Vorbilder in Ägypten, also im arabischen Raum, hin.
Nicht ein Gegenüber, sondern ein Neben- und Miteinander kennzeichnet auch das germanische Verhältnis der Geschlechter. Der germanische Mann will die Frau selbständig neben sich, und er will sie ebenbürtig.“ (22)
Sigrid Hunke gehörte in der Bundesrepublik zu den einflussreichsten weiblichen Publizisten im rechten Milieu, war dort aber mehr für ihre pro-arabischen und antichristlichen Schriften bekannt als für ihre geschlechtertheoretischen. Die „Frauenfrage“ war für viele Jahre kein Thema in rechtsextremen Kreisen, da es zum Selbstverständnis der überwiegend männlichen Gruppen gehörte, ein „traditionelles“ Verhältnis von Mann und Frau zu propagieren. Für Rückbesinnung auf die völkischen Frauenrechtlerinnen der zwanziger Jahre gab es daher keinen Anlass.
Erst durch die neue Frauenbewegung und dem feministischen Diskurs seit den 1980er-Jahren fühlen sich Rechte wieder herausgefordert. Die Vordenkerinnen der Neuen Rechten in der Bundesrepublik beziehen sich nun jedoch nicht mehr auf ihre Schwestern in der Weimarer Republik, sondern rezipieren die Teile der neueren feministischen Diskussion, die zu ihrem Weltbild passen. Ellen Kositza knüpft deshalb nicht an Käthe Schirmacher oder Mathilde Ludendorff an („In unserer Randklientel gibt es wirklich ein paar Ludendorff-Anbeter. Alles Männer!“), sondern an Camille Paglia, die sie als „Anti-Judith-Butler“ interpretiert, da diese die unveränderliche Natur der Geschlechter in den Vordergrund ihrer Philosophie stelle.
Eine Minderheit in der Minderheit
Alle diese antiliberalen Vordenkerinnen waren und sind eine Minderheit innerhalb des rechten Milieus und zudem noch als Frauenrechtlerinnen eine Minderheit in der Minderheit. Außerdem waren sie untereinander auch nicht immer einer Meinung; Käthe Schirmacher zeigte sich deutlich radikaler in ihren frauenrechtlerischen Positionen als etwa Lenore Kühn, Pia Sophie Rogge-Börner schloss sich dezidiert der völkischen Bewegung an, die von anderen Frauen, etwa Magdalene von Tiling und Paula Mueller-Otfried, wegen ihrer männerbündischen Struktur scharf kritisiert wurde. Der Einfluss der antiliberalen Frauen auf die politische Debatte in der Weimarer Republik ist aus all diesen Gründen nicht allzu groß gewesen. Innerhalb des antiliberalen Milieus waren ihre Namen aber bekannt und ihre Ideen wurden durchaus kontrovers aufgenommen, sowohl ablehnend wie auch zustimmend. Einig waren sich Frauen und Männer in diesem politischen Spektrum darin, dass die Geschlechterordnung ein wichtiges Grundelement der gesellschaftlichen Kultur und des Staates sei und deshalb entsprechend antiliberaler Prinzipien gestaltet werden müsse. „Langweilige“, weil spannungsarme und unnatürliche Gleichheit der Geschlechter, war für Antiliberale dabei eine besondere Herausforderung, die von den Vordenkerinnen angenommen, von ihren männlichen Mitstreitern aber nur als ein zweitrangiges Problem angesehen wurde. Das hat sich übrigens bis heute nicht geändert.
Fussnoten und Literatur
- Gleichheit ist langweilig, Interview mit Ellen Kositza, in: Der Freitag, 18.08.2017.
- Zitate in: Ute Planert: Antifeminismus im Kaiserreich – Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität, Göttingen 1998, S. 243.
- Emma Witte: Feminismus und völkische Frauen, in: Deutsches Tageblatt, 18.04.1924.
- Stadtler an Schirmacher, 23.11.1925, zitiert nach Anke Walzer: Käthe Schirmacher – Eine deutsche Frauenrechtlerin auf dem Wege von Liberalismus zum konservativen Nationalismus, Pfaffenweiler 1991, S. 91.
- Kirsten Heinsohn: Denkstil und kollektiver Selbstentwurf im konservativ-völkischen Frauen-Milieu, in: Rainer Hering / Rainer Nicolaysen (Hrsg.): Lebendige Sozialgeschichte, Wiesbaden 2003, S. 189–205.
- Käthe Schirmacher: Die Frauen und die Parteien, Danzig 1918, S. 12.
- Lenore Kühn 1920, zitiert bei Christiane Streubel: Lenore Kühn (1878–1955) – Neue Nationalistin und verspätete Bildungsbürgerin, Berlin 2007, S. 48.
- Wir deutschen Frauen. Süddeutsche Monatshefte 22 (November 1924), Heft 2, S. 4. Dort auch alle folgenden Zitate.
- Käthe Schirmacher: Was ist national? Vortrag gehalten auf dem 5. Ostdeutschen Frauentage in Culm 1911, Lissa i. P. 1912, S. 3.
- Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1992 [1962].
- Michael Wildt: „Volksgemeinschaft“ als politischer Topos in der Weimarer Republik, in: Alfred Gottwaldt, u.a. (Hrsg.): NS-Gewaltherrschaft, Berlin 2005, S. 23–29. Ders.: Volk, Volksgemeinschaft, AfD, Hamburg 2017.
- Kirsten Heinsohn: „Volksgemeinschaft“ als gedachte Ordnung. Zur Geschlechterpolitik in der Deutschnationalen Volkspartei, in: Gabriele Boukrif, u.a. (Hrsg.): Geschlechtergeschichte des Politischen, Münster 2002, S. 83–106.
- Magdalene von Tiling: Die Deutschnationale Weltanschauung und die Stellung der Frau, in: Danziger Allgemeine Zeitung 19.04.1922.
- Ebd. Von Tiling lehnte sich hier an Arthur Moeller van den Bruck und Paul Anton de Lagarde an.
- Magdalene von Tiling: Die neue Stellung der Frau in der Volksgemeinschaft, Kirchlich-Soziale Flugschrift Nr. 20, Leipzig 1925.
- Ebd., S. 6.
- Magdalene von Tiling: Konservativ oder liberal? Zukunft oder Untergang? Deutschnationale Flugschrift Nr. 348, Berlin 1930. Vgl. dazu auch Gury Schneider-Ludorf: Magdalene von Tiling – Ordnungstheologie und Geschlechterbeziehungen, Göttingen 2001, S. 226–236.
- Ebd., S. 8.
- Vgl. Christiane Streubel: Radikale Nationalistinnen. Agitation und Programmatik rechter Frauen in der Weimarer Republik, Frankfurt/ New York 2006, S. 131–133,
- Vgl. Stephanie Dewor: Selbstbild rechter Frauen. Pia Sophie Rogge-Börner & Dr. Sigrid Hunke – Rechte Ideologinnen und Frauenrechtlerinnen des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2012.
- Sigrid Hunke: Am Anfang waren Mann und Frau – Vorbilder und Wandlungen der Geschlechterbeziehungen, Hamm 1955, S. 238.
- Hunke, S. 80.
Veröffentlicht: 26. August 2019