Moni­to­ring August:

Gender-Gaga

Gender-Ideo­lo­gie“, „Früh­sexua­li­sie­rung“, „Gender-Gaga“, „Regen­bo­gen-Agenda“, „Indok­tri­na­tion“, „Kin­des­wohl­ge­fähr­dung“ – wenn es um das Thema Gender geht, schla­gen die Wellen beson­ders hoch. Über kaum ein anderes Thema ist man sich in soge­nann­ten „Alter­na­tiv-“ und rechts­po­pu­lis­ti­schen Medien so einig und über kaum ein anderes Thema wird abwer­ten­der geschrie­ben. In diesem Monat wollen wir uns anschauen, warum das so ist und was gemeint ist, wenn von „Gender-Gaga“ gespro­chen wird.

Das Haupt­nar­ra­tiv hinter diesem The­men­kom­plex ist, dass es sich bei „Gender“ um eine Ideo­lo­gie und poli­ti­sche Agenda handle, die in einem Gleich­klang aus Staat, Bildung, Wis­sen­schaft und Medien ver­brei­tet würde. Hierin hätten die „Trans-Lobby“ oder „Regen­bo­gen-Struk­tu­ren“ einen großen Ein­fluss auf die Gesell­schaft und würden ihre Inter­es­sen der großen Mehr­heit auf­zwin­gen und diese so gegen­über Min­der­hei­ten benachteiligen.

Daran schlie­ßen häufig große Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen wie etwa die vom Trans­hu­ma­nis­mus an – nach der ist „Gender“ ein wich­ti­ges Instru­ment bei der Ent­mensch­li­chung (im Sinne einer gewalt­sa­men Ent­fer­nung von der Natur) und Unter­jo­chung jeder, jedes Ein­zel­nen. Auch andere Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen sind eng ver­bun­den. Zum Bei­spiel die von „denen da oben“, die der Gleich­schal­tung von Wis­sen­schaft und Medien als Instru­mente der poli­ti­schen (Gender-)Agenda oder vom „Großen Aus­tausch“, der als Folge von Femi­nis­mus und „Gender-Ideo­lo­gie“ prä­sen­tiert wird. Der Anti­gen­de­ris­mus hat viele Schnitt­men­gen mit radikal rechten Dis­kur­sen, Anti­fe­mi­nis­mus und christ­li­chem Fun­da­men­ta­lis­mus, der homo- und trans­feind­li­che oder anti­plu­ra­lis­ti­sche Posi­tio­nen in eine schein­bar legi­time Debatte um Kin­des­wohl­ge­fähr­dung kleidet und auf diese Weise an Ein­fluss gewinnt. Dies geschieht häufig unter dem Stich­wort „Früh­sexua­li­sie­rung“.

Viele Nar­ra­tive rund um „Gender-Gaga“, ins­be­son­dere der vor­ge­scho­bene Schutz der Kinder vor einem über­grif­fi­gen und ideo­lo­gi­sie­ren­den Staat, hat viele Anknüp­fungs­punkte und ein großes Mobi­li­sie­rungs­po­ten­tial. „Anti-Gen­de­ris­mus und Pan­de­mie­ver­harm­lo­sung sind eng ver­bun­den – durch ver­schie­dene Akteur_​innen, argu­men­ta­tive Ver­knüp­fun­gen oder Metho­den wie der Ver­brei­tung von Fake News oder der Abwer­tung von Per­so­nen und Gruppen“ schrei­ben die Sozio­lo­gin­nen Lucia Killius und Kathrin Peltz in ihrem Artikel zum „Kampf gegen ‚Gender‘“.

Doch was sind die realen Themen hinter dem Reiz­wort „Gender“? Egal ob Auf­re­gung über gen­der­be­wusste Sprache, Regen­bo­gen­fah­nen oder viel­falt­s­of­fene Bil­dungs­ar­beit: Es geht um Selbst­be­stim­mungs­recht sowie Gleich­be­hand­lungs­for­de­run­gen von Men­schen, die nicht der hete­ro­se­xu­el­len und zwei­ge­schlecht­li­chen Norm ent­spre­chen, es geht um Sicht­bar­keit, sowie viel­falt­s­of­fene oder geschlech­ter­be­wusste Ange­bote in Bildung und Medien.

In der auf­ge­la­de­nen Debatte geht es aller­dings selten um eine Aus­ein­an­der­set­zung mit diesen kon­kre­ten Themen. Anti­gen­de­ris­mus ist eine anti­li­be­rale (hass­be­setzte, undif­fe­ren­zierte, aus­wei­chende) Abwehr­hal­tung gegen die Auf­lö­sung tra­di­tio­nel­ler Geschlech­ter­rol­len, die offen­sicht­lich in Teilen als Ver­un­si­che­rung emp­fun­den wird. Er gilt als Nach­weis für eine all­ge­mein mit der Moderne hadern­den, kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Zeit­dia­gnose von angeb­li­chem Verfall und „kranker Gesell­schaft“. Der Begriff Gender dient als Pro­jek­ti­ons­flä­che für die Ableh­nung all dessen – einer moder­nen, inklu­si­ven Gesell­schaft, die auch auf Ver­trauen in Wis­sen­schaft und unab­hän­gige Medien basiert. Denn sexu­elle und geschlecht­li­che Viel­falt sind keine Ideo­lo­gie und bedro­hen nicht die Gesell­schaft. Sie sind eine Rea­li­tät, die immer schon da war, nur in der offenen Gesell­schaft sicht­ba­rer wird und die eine wach­sende Sicht­bar­keit auch in Wis­sen­schaft und Politik zur Folge hat.

Antigen­de­ris­mus richtet sich häufig gegen Men­schen, die nicht der hete­ro­se­xu­el­len und bio­lo­gis­ti­schen Geschlech­ter­norm ent­spre­chen wie Frauen und LGBTIQ+-Personen, Men­schen die sich für Selbst­be­stim­mung und Gleich­be­hand­lung oder gen­der­sen­si­ble Ver­än­de­run­gen enga­gie­ren, aber auch Wis­sen­schaft­ler, Wis­sen­schaft­le­rin­nen aus den Berei­chen der Gen­der­ Studies. Sie werden dämo­ni­siert, ver­höhnt und bedroht.

Im August haben wir soge­nannte „Alter­na­tiv­me­dien“ zum Thema Gender-Gaga unter die Lupe genom­men. Dabei haben wir uns erst­mals nicht nur den ver­gan­ge­nen Monat ange­schaut, sondern einen grö­ße­ren Zeit­raum, um einen bes­se­ren Ein­druck von den Argu­men­ta­tio­nen zu bekommen.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Demokratie leben! Bundeszentrale für politische Bildung